Dorothee Nolte
Dorothee Nolte: Redakteurin im Ressort Bildung und Wissenschaft, Der Tagesspiegel
Was hat man davon, Romanistik zu studieren, wenn man Journalistin werden will? Auf den ersten Blick nicht viel. In meiner Tätigkeit als Tagesspiegel–Redakteurin kann ich mein Französisch und mein Spanisch nur selten anwenden; hin und wieder übersetze ich mal einen Artikel, interviewe eine Französin oder gehe zu einer Konferenz, auf der französisch oder spanisch gesprochen wird. Und dafür der ganze Aufwand? In meiner Schule – einem altsprachlichen Gymnasium – wurde kein Französisch unterrichtet; ich habe es nebenbei am Institut Français in Berlin gelernt und mich deswegen vielleicht besonders stark mit der Sprache identifiziert. Sonst hätte ich auch genauso gut Anglistik studieren können; klar war nur, dass ich mich für Fremdsprachen und Literatur interessierte. Mein Studium – Französisch, Spanisch, Germanistik, anfangs war auch noch Geschichte dabei – habe ich 1982 in Freiburg begonnen; nach der Zwischenprüfung war ich ein Jahr lang als Fremdsprachenassistentin in Paris, danach habe ich an der FU Berlin weiter studiert und 1988 den Magister–Abschluss in Spanisch, Französisch und Germanistik gemacht (Thema der Magisterarbeit: "Die pícara als Romanheldin des 17. Jahrhunderts"). Das Spanische hat im Laufe der Zeit mehr Gewicht bekommen als das Französische; es schien mir weniger "überforscht" und deswegen frischer, lebendiger. Den ersten Kontakt mit dem Journalismus hatte ich nach meiner Rückkehr aus Paris, bei einem Praktikum in der Bildungsredaktion des Tagesspiegel. Daraufhin habe ich das ganze Hauptstudium hindurch als freie Mitarbeiterin Artikel für den Tagesspiegel, bald auch für andere Regionalzeitungen geschrieben. Frühzeitige praktische Erfahrung ist im Journalismus wichtiger als jedes Publizistik–Seminar! Dank eines Direktaustauschstipendiums der FU konnte ich 1988/89 ein Jahr an der Stanford University in Kalifornien verbringen, wo ich Seminare in "Feminist Studies", "Comparative Literature" und "Creative Writing" belegte und mein Dissertationsprojekt vorbereitete. Das Thema der Doktorarbeit war eher publizistisch als literaturwissenschaftlich ("Umbruchs–Fragen – das Genre des Interview–Porträts in der spanischen transición"), finanziert habe ich mich von 1989 bis 1992 über ein Stipendium der Nachwuchsförderungskommission des Landes Berlin und des Förderprogramms Frauenforschung (Disputation und Veröffentlichung 1994, Betreuer Professor Winfried Engler); daraus entstanden auch einige Aufsätze zur spanischen Gegenwartsliteratur und zwei Lehraufträge. Nach Praktika im FAZ–Feuilleton und im ZDF–Auslandsstudio Madrid begann ich im November 1992 als Redakteurin beim Tagesspiegel, zunächst im Feuilleton als Literaturredakteurin, dann im Ressort Bildung und Wissenschaft. In den letzten Jahren habe ich einen Roman geschrieben, ein Kind bekommen, eine Sammlung von Glossen veröffentlicht und angefangen, bei verschiedenen Bildungsträgern Schreiben und Journalismus zu unterrichten. Die Entscheidung, Romanistik zu studieren, habe ich übrigens nie bereut. Zwar habe ich mich über die konkreten Studienbedingungen, über manche Dozenten und Seminare geärgert, aber die intensive Beschäftigung mit Sprache und Literatur, mit fremden Kulturen hat sich für mich – als Autorin, als Redakteurin, als Dozentin – auf jeden Fall gelohnt. Ich wünsche der Romanistik, dass sie sich in Zukunft stärker der Praxis öffnet – damit die, die sich so intensiv mit Gesprochenem und Geschriebenem befassen, auch selbst gut sprechen und schreiben lernen.