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Trauerrede Zotz Maerz

Worte von Dr. Nicola Zotz
bei der Trauerfeier für Christoph März

Liebe Studierende, liebe Kollegen und Freunde von Christoph März!

Es fällt mir schwer, heute hier zu sprechen, denn ich bin immer noch fassungslos angesichts des plötzlichen Todes von Christoph März vor drei Wochen. Ich bin aber auch dankbar, dass wir uns heute gemeinsam an ihn als Menschen, als Wissenschaftler und als Hochschullehrer erinnern und dass ich dazu ein paar Gedanken und Erinnerungen beitragen darf.

Ich habe Christoph März zum ersten Mal im Jahr 2001 auf einer Tagung zum spätmittelalterlichen Lied getroffen. Ich habe ihn als einen überaus diskreten und zurückhaltenden Menschen erlebt, insbesondere was seine eigene Person betraf. Aber vieles an seiner Art zu denken und zu schreiben, an seinem Verständnis von Wissenschaft und seinem Umgang mit den Texten und mit der Sprache habe ich verstanden, wenn ich seine Schriften gelesen habe. In gewisser Hinsicht hat er mir mehr über sich verraten, wenn er schrieb, als wenn ich mit ihm sprach.

Bei der Vorbereitung meines Vortrags für die genannte Lied-Tagung habe ich mit Christoph Märzens Ausgabe und Kommentar des Mönchs von Salzburg gearbeitet. Ich hatte unmittelbar vorher in Tübingen ein Oberseminar zu Philologischer Kommentierung besucht, in dem wir verschiedene Kommentare einer kritischen Untersuchung unterzogen hatten; keiner von ihnen konnte dabei unserer Kritik standhalten. Als ich nun den Mönch-Kommentar las, konnte ich nur bedauern, dass wir ihn nicht im Seminar berücksichtigt hatten. Er erläutert Unklarheiten präzise, ohne sie zu leugnen, herunterzuspielen oder gar über ihre Qualität zu urteilen. Christoph März hatte die höchste Achtung vor seinem Gegenstand; um der Texte willen hat er gearbeitet, nie um seiner selbst willen. Ein silentium doctum war ihm fremd. Für ihn war es selbstverständlich, sich in seinem Kommentar auch zu den Stellen zu äußern, die er nicht verstanden hatte. So habe ich ihn auch auf Tagungen, in Seminaren und im Einzelgespräch über Texte erlebt: Er hat selbst seine Grenzen artikuliert, aber auch von anderen die gleiche Ehrlichkeit und Hochachtung vor dem Gegenstand eingefordert.

Ein anderes Kennzeichen seiner Arbeiten ist eine große Genauigkeit und Gründlichkeit. Auch sie scheint mir eine Folge davon zu sein, dass er den Gegenstand so ernst nahm. Er hat von sich (und wieder: auch von den anderen) verlangt, die Fragen bis zum Ende zu durchdenken, sich nicht vorschnell mit Lösungen zufrieden zu geben, bis hin zu stilistischen und typographischen Feinheiten. Ihm lag an der berühmten Kursivierung des Punktes. Nicht aus Prinzipienreiterei, sondern weil er die Dinge vollständig durchdringen und ihnen einen angemessenen schriftlichen Niederschlag geben wollte.

Vielleicht das Auffälligste an den Arbeiten von Christoph März ist seine Sprache. Er wollte nicht geschmeidig schreiben, Floskeln waren ihm zuwider. Auch bei anderen bestand er auf der eigenständigen Formulierung (sich nicht mit fremden Federn schmücken, nannte er das), die das eigenständige Denken spiegeln sollte. Dadurch war sein Stil von Widerhaken geprägt, die häufig einen ganz eigenen Witz entfalteten. Und auch diesen konnte man nicht nur in seinen Schriften feststellen, sondern er war kennzeichnend für den Menschen Christoph März. Mit überraschenden Gedanken in ungewohnten Formulierungen wollte er irritieren und zum Nachdenken bringen, auch wenn es um Alltäglichkeiten ging.

Ich habe ihm, als ich ihn dann auf der Tagung traf, meine Begeisterung über seinen Kommentar erzählt. Wer ihn gut kannte, kann sich ausmalen, wie er reagiert hat: abwiegelnd, wegwerfend. Das war die andere Seite davon, dass er sich selbst zurücknahm: Er mochte sich nicht loben lassen, er mochte nicht, dass man ihm zum Geburtstag gratulierte, dass man seine Person in irgendeiner Weise zum Thema machte. Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, welche Form der Trauerfeier er sich gewünscht hätte. Ich glaube, dass er eine solche Feier als sentimental und überflüssig abgelehnt hätte. Andererseits habe ich doch gemerkt, dass er sich – auch wenn er das nie zugegeben hätte – über Lob gefreut hat. Für mich als Mitarbeiterin war das nicht immer einfach: Wenn ich einen Aufsatz gelesen hatte und ihm erzählte, was ich gut fand, schüttelte er den Kopf und wandte sich ab. Aber wenn ich nichts sagte, kam er auf mich zu und fragte nach meinem Eindruck.

Mehrfach schon habe ich jetzt seinen hohen Anspruch erwähnt, an sich und an andere. Für die, deren Arbeiten er begutachtete, bedeuteten die Ansprüche eine hohe Messlatte und damit eine große Herausforderung. Er war ein scharfer Kritiker, schonungslos in seinem Urteil. Ich vermute den Grund darin, dass es ihn aufbrachte zu sehen, wenn jemand die Sache nicht ernst genug nahm, wenn jemand unter seinen Möglichkeiten zu bleiben schien. Der Anspruch jedoch, den er an sich selbst hatte, hat ihm nach meinem Eindruck bisweilen auch zu schaffen gemacht. Er konnte sehr zornig werden über eigene Fehler. Seinen Arbeiten hat er die höchste Priorität eingeräumt, auch vor der eigenen Gesundheit. Es ist traurig, dass er die beiden größeren Projekte der letzten Jahre, die beide so gut wie fertig sind – ein Tagungsband und seine Überarbeitung der Oswald-Ausgabe in der Altdeutschen Textbibliothek – nicht mehr bis zum Druck hat bringen können.

Zum Schluss möchte ich noch auf einen Bereich eingehen, der Christoph März wissenschaftlich wie privat immer besonders am Herzen lag: die Musik. Das für das Mittelalter selbstverständliche Zusammenwirken von Text und Musik gerade in der Lyrik findet in der wissenschaftlichen Behandlung meistens keinen Niederschlag. Die mittelalterlichen Lieder werden bis heute in den meisten Fällen entweder von Germanisten oder von Musikwissenschaftlern untersucht. Christoph März war beides und hat beide Zugangsweisen in seinem Werk miteinander verbunden; außerdem hat er gern in engem Austausch mit Musikwissenschaftlern gearbeitet.

Und die Musik ist auch ein Bereich gewesen, der ihm privat große Freude gemacht hat. Er war ein exzellenter Pianist und einer der einfühlsamsten Begleiter, mit denen ich je Musik machen durfte. Und er war ein reger Konzertbesucher. Ich erinnere mich an verschiedene gemeinsame Besuche in der Philharmonie, wo ich merkte, mit welcher Kenntnis und mit welcher Begeisterung er die Musik verfolgte. Deshalb war es uns wichtig, diese Feier heute auch mit Musik zu umrahmen.

Den Verlust, den der Tod von Christoph März bedeutet, kann ich nicht in Worte fassen. Ich hätte gerne noch viel länger mit diesem Menschen zusammengearbeitet, geredet und mich ausgetauscht. Das gemeinsam Erlebte und nicht zuletzt sein wissenschaftliches Werk aber werden mir bleiben, und ich werde diese Erinnerungen an ihn gern bewahren