Veranstaltungsreihe: Stimmen der Kritik
Die Veranstaltungsreihe Stimmen der Kritik versammelt Schriftsteller/Innen, Kritiker/Innen und Wissenschaftler/Innen, die sich in ihrer Arbeit an der Schnittstelle von Kunst und Kritik bewegen. An vier Abenden werden ausgewählte Gäste über die Bedeutung von Stil und Kritik in Kunst, Theorie und Wissenschaft diskutieren. Ziel ist es, die prinzipiell getrennten Bereiche der Kunstproduktion und der Reflektion über Kunst – der Poesie und der Poetologie – zusammenzubringen, um auf diese Weise einen Dialog über das Verhältnis von Kunst und Kritik anzustoßen. Im Zentrum der Veranstaltungen stehen „kritische Stimmen“, die nicht lediglich über Kunst und Literatur urteilen, sondern sich selbst künstlerisch oder literarisch artikulieren. Die Veranstaltungen verstehen sich als Kombination aus Lesung und Diskussion, literarischem Vortrag und theoretischem Diskurs.
Stimmen der Kritik richtet sich besonders an Interessierte aus dem Bereich der Literatur- und Geisteswissenschaften, aber auch an Künstlerinnen und Künstler, Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Kritikerinnen und Kritiker.
#4: Joshua Groß, Charlotte Krafft und Rudi Nuss
Ort: Literarisches Colloquium Berlin, Am Sandwerder 5, 14109 Berlin-Wannsee
Einführung und Moderation: Jutta Müller-Tamm, Simon Schleusener
Eintritt: Frei. Eine kostenlose Registrierung auf der Seite des LCB ist erforderlich. Achtung: Bitte beachten Sie die aktuellen Hygieneregeln auf der Seite des LCB. Aktuell gilt die 2G-Regelung. Als Nachweis müssen digital lesbare Impf- oder Genesenenzertifikate (digital oder auf Papier) vorgelegt werden. Die Vorlage eines Impfausweises ohne QR-Code oder ein aktueller Testnachweis reichen für den Besuch leider nicht mehr aus.
In zahlreichen Beispielen der jüngeren Literatur manifestiert sich ein komplexer Gegenwartsbezug und ein multidimensionaler Realitätsbegriff. So geht es vielen Autor:innen zwar um eine kritische Diagnose realer Verhältnisse, doch verfahren ihre Texte oftmals weder im negativen Modus einer traditionellen Idee von Kritik, noch operieren sie im Sinne einer realistischen Abbildästhetik. Stattdessen wird die Gegenwart spielerisch und genreüberschreitend auch auf ihre irrealen, fantastischen oder spekulativen Aspekte und Tendenzen hin befragt – und nicht selten ausgehend von der Imagination einer unbestimmten Zukunft. Gerade vor dem Hintergrund der digitalen Kultur wird so einerseits das Verhältnis von Fakt und Fiktion, Realem und Virtuellem, offline und online verkompliziert, andererseits aber auch dasjenige von Affirmation und Negation. Im Spannungsfeld von Wirklichem und Möglichem navigieren jene Texte mittels wechselnder Ton- und Affektlagen zwischen Überaffirmation und Melancholie, Optimismus und Pessimismus, Ironie und Post-Ironie.
In dieser vierten Veranstaltung der Reihe Stimmen der Kritik werden diese und ähnliche Phänomene in einem Dialog erkundet, der sich zwischen Literatur und Wissenschaft bewegt. In den Abend einführen wird Jutta Müller-Tamm. Danach lesen Joshua Groß, Charlotte Krafft und Rudi Nuss aus ihren Werken, um anschließend mit Simon Schleusener über die kritischen und poetischen Potentiale der Gegenwartsliteratur zu diskutieren.
Joshua Groß
Joshua Groß, geboren 1989 in Grünsberg, studierte Politikwissenschaft, Ökonomie und Ethik der Textkulturen. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Anna Seghers-Preis 2019, dem Hölderlin Förderpreis 2021, dem Literaturpreis der A und A Kulturstiftung 2021 sowie mit einem Aufenthaltsstipendium des Literarischen Colloquium Berlin 2021. Bei Matthes & Seitz erschienen Flexen in Miami (2020) und Entkommen (2021).
Bildquelle: Charlotte Krusche
Charlotte Krafft
Charlotte M. Krafft, 1991 in Berlin-Wedding geboren, studierte Historische Linguistik, Deutsche Literatur und Literarisches Schreiben in Berlin und Leipzig. Sie ist Gründungsmitglied der Literatur-Clique Rich Kids Of Literature und Entdeckerin der Hyperironie. Ihr erster Erzählband Die Palmen am Strand von Acapulco, sie nicken; Eine endlose Geschichte über den Tod in einer fremden Welt erschien 2020 im Korbinian Verlag.
Bildquelle: William Minke
Rudi Nuss
Rudi Nuss, geboren 1994, lebt im Internet. Wenn er mal in der echten Welt anzutreffen ist, hat er ein ganz komisches Gefühl. An der Freien Universität Berlin studiert er Komparatistik, arbeitet daneben beim wortbau e. V. zur Förderung junger Literatur und ist als Redakteur bei der Epilog – Magazin zur Gegenwartskultur tätig. Er war Preisträger des Treffens junger Autor*innen 2013 und 2015 sowie beim open mike 2016 und veröffentlichte u.a. in der BELLA triste, mikrotext und VICE. Für sein Romanprojekt Die Realität kommt erhielt er 2020 das Literaturstipendium des Berliner Senats.
Bildquelle: Dirk Skiba
#3: Karl Wolfgang Flender, Judith Schalansky und Anja Utler
Livestream: Literarisches Colloquium Berlin, www.lcb.de
Einführung und Moderation: Jutta Müller-Tamm und Simon Schleusener
Nach dem Fall der Berliner Mauer war lange die Auffassung dominant, dass wir in einer „breiten“ oder „endlosen“ Gegenwart leben und quasi ein „Ende der Geschichte“ erreicht sei. In dieser Zeitkonstellation, in der der Gestus des Triumphs bald einem allgemeinen Gefühl von Alternativlosigkeit wich, schien die Idee der Zukunft zunehmend an Bedeutung zu verlieren. Kritiker wie Mark Fisher diagnostizierten ein Schwinden des utopischen Impulses und eine allmähliche Aufkündigung der Zukunft („the slow cancellation of the future“). Die aktuellen Debatten um Ökologie, den Klimawandel und das Anthropozän laufen dieser Gegenwartsfixierung jedoch zuwider. So haben Protestbewegungen wie Fridays for Future mit dem Thema der Generationalität auch die Frage der Zukunft wieder ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Zugleich werden klassische Zeitvorstellungen durch die Aufmerksamkeit auf geologische und klimatische Transformationsprozesse oder das gegenwärtige Massenaussterben nachhaltig irritiert.
Die dritte Veranstaltung der Reihe „Stimmen der Kritik“ widmet sich den hier skizzierten Zeitverhältnissen und ihrer Relevanz für die Literatur. Eingeladen sind Karl Wolfgang Flender, Judith Schalansky und Anja Utler, die aus ihren Werken lesen und mit Simon Schleusener über Literatur, Zeitlichkeit und Ökologie diskutieren werden.
Karl Wolfgang Flender
Karl Wolfgang Flender ist Autor der Romane „Greenwash, Inc.“ (2015) und „Helden der Nacht“ (2018), erschienen im DuMont Buchverlag. Derzeit promoviert er an der Freien Universität Berlin zu digitaler Literatur.
Bildquelle: Birte Filmer / DuMont Buchverlag
Judith Schalansky
Judith Schalansky, 1980 in Greifswald geboren, studierte Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign. Zu ihren Büchern zählen neben dem „Atlas der abgelegenen Inseln“ (2009) die Romane „Blau steht dir nicht. Matrosenroman“ (2008) und „Der Hals der Giraffe. Bildungsroman“ (2011) sowie zuletzt das „Verzeichnis einiger Verluste“ (2018). Sie ist darüber hinaus Herausgeberin der Reihe Naturkunden und lebt als Gestalterin und freie Schriftstellerin in Berlin. Ihr Werk ist in mehr als 20 Sprachen übersetzt und wurde vielfach ausgezeichnet.
Bildquelle: Réné Fietzek
Anja Utler
Anja Utler, *1973 in Schwandorf, lebt nach Jahren in Wien, Regensburg und Prag derzeit in Leipzig. Sie arbeitet als Dichterin und Übersetzerin und hat zu Fragen der Lyriktheorie publiziert. Zuletzt erschien der poetische Monolog „kommen sehen. Lobgesang“ in der Edition Korrespondenzen, Wien (2020). Anja Utler wurde für ihre Arbeit vielfach ausgezeichnet, zuletzt war sie Thomas-Kling-Poetikdozentin an der Universität Bonn, 2020 bekam sie als erste Preisträgerin den Lyrikpreis der Südpfalz zugesprochen.
Bildquelle: Dirk Skiba
#2: Juan S. Guse, Enis Maci und Johanna Maxl
Ort: Literarisches Colloquium Berlin, Am Sandwerder 5, 14109 Berlin-Wannsee
Einführung und Moderation: Jutta Müller-Tamm, Jan Lietz
Eintritt: frei
Die jüngere Literaturproduktion zeichnet sich durch eine Konjunktur metareflexiver Erzählungen aus, in denen das angespannte Verhältnis von Realität und Fiktion thematisch wird. In der zweiten Ausgabe unserer Veranstaltungsreihe wollen wir mit Juan S. Guse, Enis Maci und Johanna Maxl über die kritischen Implikationen und Potentiale dieses Zusammenhangs diskutieren. In Verlusts- und Transformationsmotiven zeugen ihre Romane, Essays und Theaterstücke von der wechselseitigen und oftmals brüchigen Konstitution von Erzählung, Selbst und Wirklichkeit. Wie stellt sich unser Verhältnis zur Wirklichkeit im Medium der Fiktion her? Ist es zugleich deren Form, unter der sich uns die Wirklichkeit unweigerlich entzieht? Und können auch Erzählungen Wirklichkeitsverlust erleiden? Diese und weitere Fragen werden den Rahmen unseres Abends bilden.
Juan S. Guse
Juan S. Guse ist Autor und Soziologe. Derzeit arbeitet er als wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Hannover, mit dem Schwerpunkt auf Arbeits- und Organisationssoziologie. 2015 erschien bei S. Fischer sein Debüt Lärm und Wälder und 2019 der Roman Miami Punk. Für seine literarische Arbeit erhielt er zuletzt das Fellowship der Villa Aurora, den Literaturpreis Hannovers und das Aufenthaltsstipendium des LCB.
Bildquelle: Daria Brabanski
Enis Maci
Enis Maci hat Literarisches Schreiben und Kultursoziologie in Leipzig und London studiert. Sie ist Autorin der Theaterstücke Lebendfallen, Mitwisser und AUTOS sowie des Essaybands Eiscafé Europa. Ihre Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Stipendium der Villa Concordia und dem Literaturpreis „Text & Sprache“ des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft.
Bildquelle: Max Zerrahn
Johanna Maxl
Johanna Maxl arbeitete mit ihren literarischen Texten bislang vor allem intermedial, in Performances oder Installationen. Mit dem Künstler Jakub Šimčik leitet sie die interdisziplinäre Plattform Initiative Wort & Bild. Nach dem Studium am Deutschen Literaturinstitut ist sie Meisterschülerin in der Fachklasse für Intermedia an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Unser großes Album elektrischer Tage, auch von der Performancegruppe James & Priscilla inszeniert, ist ihr Debütroman über fluide Identitäten im 21. Jahrhundert. 2019 bekam sie für diesen Roman den erstmals vergebenen Literaturpreis der Stadt Fulda.
Bildquelle: Jakub Šimčik
#1: Hannes Bajohr, Daniel Falb und Mara Genschel
Ort: Literarisches Colloquium Berlin, Am Sandwerder 5, 14109 Berlin-Wannsee
Einführung und Moderation: Jutta Müller-Tamm, Simon Schleusener
Eintritt: frei
Wie verhält sich die Kunst zur Kritik? Ist es zwangsläufig so, dass zwischen den zwei Bereichen eine Kluft besteht? Oder existieren Anschlüsse und Übergänge, die zwischen Kunstproduktion und -reflexion, Literatur und Wissenschaft, Poesie und Poetologie vermitteln? Diese und ähnliche Fragen stehen im Fokus des Abends, an dem die Lyriker*innen Hannes Bajohr, Daniel Falb und Mara Genschel Teile ihres Werks präsentieren und über ihre literarische Praxis Auskunft geben. In den Arbeiten der drei Autor*innen wird Lyrik nicht als formvollendete, hermetische Geheimsprache begriffen, sondern als offenes Laboratorium, das die Rezipierenden experimentell und diagnostisch in die Diskrepanzen der Gegenwart verwickelt und sie dazu zwingt, über die Produktionsbedingungen literarischer Texte nachzudenken.
Hannes Bajohr
Hannes Bajohr ist Autor, Philosoph und Literaturwissenschaftler. Er wurde mit einer Arbeit über Hans Blumenbergs Sprachtheorie an der Columbia University, New York promoviert und ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin, wo er das Forschungsprojekt "Negative Anthropologie" leitet. Zusammen mit Gregor Weichbrodt betreibt er 0x0a, ein Textkollektiv für digitale konzeptuelle Literatur. Letze Veröffentlichungen: Timidities (Berlin: Readux 2015); Durchschnitt. Roman (Berlin: Frohmann 2016), Monologue (Berlin: Frohmann 2017) und Halbzeug. Textverarbeitung (Berlin: Suhrkamp 2018). Als Herausgeber: Code und Konzept. Literatur und das Digitale (Berlin: Frohmann 2016). Website: hannesbajohr.de | 0x0a.li
Bildquelle: Julia Pelta Feldman
Daniel Falb
Daniel Falb ist Lyriker und Philosoph. Er lebt und arbeitet in Berlin, wo er Philosophie studierte und mit einer Arbeit zum Begriff der Kollektivität promovierte. Falb veröffentlichte die Gedichtbände die räumung dieser parks (2003), bancor (2009) und CEK (2015), alle im Verlag kookbooks Berlin. Neben der Dichtung arbeitet Falb zu Fragen der Geophilosophie und Poetik. Er war Kollaborateur der kollektiven Poetik Helm aus Phlox (Merve 2011). In jüngerer Zeit erschien Anthropozän. Dichtung in der Gegenwartsgeologie (Verlagshaus Berlin 2015) sowie das Langgedicht CHICXULUB PAEM (en, Broken Dimanche Press 2017). Falbs Arbeit wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen gefördert, zuletzt erhielt er den Kurt Sigel-Lyrikpreis des PEN Zentrums Deutschland (2016). Im Frühjahr 2019 erscheint der Essay Geospekulationen (Merve) sowie der Gedichtband Orchidee und Technofossil (kookbooks).
Bildquelle: privat
Mara Genschel
Mara Genschel studierte an der Hochschule für Musik in Detmold und am Literaturinstitut in Leipzig. Ihre schriftstellerische Arbeit bezieht die Entwicklung von unabhängigen Publikations- und Präsentationsformen mit ein. Neben Büchern entstehen dabei auch Performances, Installationen und Hörspiele. Sie lebt in Stuttgart und Berlin. Unter anderem erschienen: Referenzfläche (fortlaufendes Publikationskonzept seit 2012), Cute Gedanken (roughbooks 2017), Villa Genschel (Hessischer Rundfunk 2017), Gablenberger Tagblatt (Brueterich Press 2018), Übungen aus einem anderen Jahrtausend (Performance mit Hilfsheft 2018) und zuletzt FUR SESSIONS (zusammen mit Anca Bucur, frACTalia 2018). Website: https://referenzflaeche.com/ | https://hoeherevasen.wordpress.com/
Bildquelle: Dirk Skiba