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Kunst und Macht: das Königliche Griechische Theater in England und Deutschland am Vorabend des Zweiten Weltkrieges

Konstantinos A. Dimadis

Im Frühjahr 1939 werden die katastrophalen Folgen der Außenpolitik deutlich, die die Regierungen von Großbritannien und Frankreich in den vergangenen Jahren gegenüber dem Naziregime in Deutschland verfolgt hatten. Die Deutsche Wehrmacht marschiert in die Tschechoslowakei ein und das Heer Mussolinis besetzt im April 1939 Albanien.

In Griechenland hatte König Georg der II. zusammen mit dem General Ioannis Metaxas im August 1936 eine Diktatur errichtet. Mit dem Thema, wie es dazu kam, können wir uns heute nicht beschäftigen. Ich möchte nur anmerken, daß die beiden großen Parteien, die Partei der Liberalen, geführt von dem bekannten Politiker Eleftherios Venizelos und die Volkspartei, es nicht schafften zusammenzuarbeiten und eine soziale Politik durchzuführen, die die Rückkehr König Georgs des II 1935 nach Athen und wenige Monate später die Errichtung der Diktatur von Georg dem II und Metaxas verhindert hätte, obwohl sie in der Zeit von 1928 - 1936 ungefähr 95% der Stimmen der wahlberechtigten Bevölkerung kontrollierten.

1938, zwei Jahre nach der Errichtung der Diktatur in Griechenland, war offensichtlich geworden, daß das britenfreundliche Lager der Partei der Liberalen keine Aussicht hatte, an die Macht zurückzukehren. 1) Georg der II und Metaxas weigerten sich, das Regime zu liberalisieren und eine Rückkehr des Landes zur Demokratie zuzulassen. 2) Großbritannien unterstützte das diktatorische Regime Georgs des II und Metaxas in Griechenland. Sowohl Metaxas, als auch Georg der II waren, jeder aus unterschiedlichen Gründen abhängige Werkzeuge der britischen Interessen im östlichen Mittelmeerraum. Unter anderem lehnt Metaxas 1939 den Vorschlag Mussolinis ab, den griechisch - italienischen Freundschaftsvertrag von 1928 zu erneuern, obwohl Metaxas zu dieser Zeit behauptete, eine neutrale Politik zu verfolgen.

Anläßlich der Verleihung der nationalen Preise für Literatur und Kunst in Deutschland 1937 führte Göbbels in seiner Rede folgendes an: "Wir Deutschen feiern heute den 1. Mai als nationales Fest. Bei einem solchen Fest dürfen die Künstler nicht fehlen, denn sie sind die hervorragendsten geistigen Arbeiter im Schoße des Volkes."

Metaxas und seine Mitstreiter versuchten vom ersten Moment der Errichtung der Diktatur an, mit ihren nationalsozialistischen Idealen und mit vielen ihrer Maßnahmen Einfluß auf die Jugend, auf die Pädagogen und die Künstler in Athen und den Provinzen auszuüben.

Erziehungsminister K. Georgakopoulos behauptete beispielsweise im Dezember 1936 in seinem Artikel in der "Ελληνική Επιθεώρηση" (Griechischen Rundschau), daß der Staat bis zu diesem Zeitpunkt kein Interesse gezeigt habe den Künstlern tatsächlich zu helfen. Er lud sie ein, an der Schaffung einer rein "griechischen künstlerischen Zukunft" mitzuwirken und gab ihnen gleichzeitig das Versprechen, daß sie "der persönlichen Zuneigung und Hilfe des "Regenten" (=Metaxas) gewiß seien könnten".

Gleichzeitig bezweckten die Maßnahmen, die die Regierung Metaxas im künstlerischen und bildungspolitischen Bereich durchführte, die vollständige Kontrolle über das geistige und Bildungs- Leben für das Regime sicherzustellen. Das Ministerium für Presse und Tourismus hat sich totalitäre Methoden und die Parteipropaganda zu Nutze gemacht. Das ist bekannt. Neben dem Ministerium für Presse und Tourismus übernimmt ab 1937 das Erziehungsministerium langfristig eine bestimmende Rolle.

Dieses Problem ist bis heute nicht hinreichend untersucht worden. Ein Aspekt dieser Frage bildet das Thema des heutigen Vortrags. Er ist auch dadurch von besonderem Interesse, daß das Materials aus der Presse von London, Frankfurt und Berlin des Jahres 1939, von dem ich Ihnen heute einen kleinen Teil präsentieren möchte, bis heute in der Forschung unberücksichtigt blieb.

Genau am Vorabend der Festlichkeiten, die das Diktatorische Regime 1937 organisiert um den ersten Jahrestag ihrer Machtübernahme zu begehen, beschließt die Regierung Metaxas im Erziehungsministerium gesonderte Abteilungen für Wissenschaft und schöne Künste einzurichten. Die beiden Direktorenposten werden mit zwei bekannten Literaten besetzt, Kostis Bastias und Pantelis Prevelakis. Bis 1939 sind sowohl Kostis Bastias als auch Pantelis Prevelakis in der Lage ein reichhaltiges Programm künstlerischer Veranstaltungen in und außerhalb Griechenlands durchzuführen. Von 1938 an ist Metaxas Ministerpräsident und gleichzeitig Erziehungsminister. Pantelis Prevelakis ist 1939 25 Jahre alt.

Dieselbe Absicht wird dadurch verfolgt, daß das Metaxasregime im September 1937 Kostis Bastias als Generaldirektor für das Nationaltheater (Königliche Theater) von Athen einsetzt, der mit der jetzt doppelten Eigenschaft in der Lage ist, den Haushalt und alle Aktivitäten der staatlichen Bühne zu kontrollieren.

Gleichzeitig setzt das Metaxasregime den bekannten Prosaschriftsteller und Theaterautor Angelos Terzakis als Generalsekretär des Königlichen Theaters ein. Angelos Terzakis ist 1937 29 Jahre alt. Wenige Jahre zuvor war er leidenschaftlicher Anhänger der Sozialdemokratie gewesen.

Ein Jahr später, am 28. Dezember 1938 veranstalteten die Musik- und Theatereinrichtungen Athens ein offizielles Essen zu Ehren des Diktators Ioannis Metaxas im Hotel "King George". Bei dieser Gelegenheit drückten viele Künstler und Kulturvertreter ihre Dankbarkeit aus für die Maßnahmen, die das diktatorische Regime während der vergangenen beiden Jahre zur Unterstützung der Belange der Künstler ergriffen hatte: der Direktor für Literatur des Erziehungsministeriums und Generaldirektor des Königlichen Theaters Kostis Bastias, der Präsident der Gesellschaft der Theaterschriftsteller Th. Synadinos, der Präsident der Gesellschaft der griechischen Komponisten M. Kalomiris, der Präsident des Verwaltungsrates des Königlichen Theaters I. Chalkokondylis, die bekannten Schauspieler Marika Kontopouli, Emilios Veakis und viele andere. Genau zu diesem Zeitpunkt ergreift Kostis Bastias eine der bedeutendsten Initiativen: mit Zustimmung des Ministerpräsidenten und Erziehungsministers Ioannis Metaxas bemüht er sich eine Reihe von Aufführungen des Königlichen Theaters außerhalb von Griechenland zu organisieren.

Sicher hatte dieses Ereignis in jener Zeit, als der Krieg in Europa bereits vor der Tür stand, besondere Bedeutung für die Propaganda des diktatorischen Regimes von Georg dem II und Metaxas, sowohl im In- als auch im Ausland.

Am 7. März 1939 reiste das gesamte Ensemble des Königlichen Theaters unter der Leitung von Kostis Bastias nach Ägypten und gab vom 9. bis 27. März dreizehn Vorstellungen in Alexandria und fünf in Kairo. Die Kritiken der Presse in Alexandria und Kairo sprechen von einem Triumph des Königlichen Theaters. Bedenkt man aber die großen griechischen Minderheiten in Alexandria und Kairo, so hat die folgende Tournee nach Großbritannien und Deutschland noch einen wesentlich höheren Stellenwert

Sofort nach der Rückkehr des Königlichen Theaters von seiner Tournee durch Ägypten wurde bekannt, daß Kostis Bastias im Laufe des April zu Verhandlungen nach Berlin reisen würde, um für das Ensemble des Königlichen Theaters Vorstellungen in der deutschen Hauptstadt zu vereinbaren. Doch wenig später, in der ersten Maiwoche 1939 wird in der Athener Presse mit besonderem Nachdruck angekündigt, daß das königliche Theater vom British Council zu einem offiziellen Gastspiel nach Großbritannien eingeladen wurde um Werke aus seinem Repertoire aufzuführen.

Kostis Bastias reist tatsächlich in die beiden Hauptstädte, London und Berlin und trifft vor dem 25. Mai entsprechende Vereinbarungen.

In dem erstaunlich kurzen Zeitraum von zwei Wochen war das Königliche Theater bereit zu seiner Tournee durch zwei der wichtigsten rivalisierenden europäischen Mächte, Großbritannien und Deutschland. Am 8. Juni 1939 kam das Ensemble des Königlichen Theaters in London an und präsentierte dem britischen Publikum zwei Werke in neugriechischer Übersetzung: Elektra von Sophokles (Cambridge 13. Juni, Oxford 14. Juni, London 19. und 21. Juni) und Hamlet ( London 20. Juni). Das Ensemble des Königlichen Theaters und Kostis Bastias persönlich wurden von der britischen Öffentlichkeit in allen drei Städten begeistert empfangen.

Die Zeitung The Times brachte am 19.6.1939, also am Tag der ersten Vorstellung des Königlichen Theaters in London folgende Mitteilung:

"Sophocles Electra will be given in Modern Greek by the members of the Royal Theatre Company of Greece at His Majestys Theatre to-night. The translation of Electra is by the Greek poet, Ioannis Gryparis, who also translatet Prometheus for the Delphi Festival. The name part will be played by Mme. Catina Paxinou, Chrysothemis by Mme. Vasso Manolidou, Clytemnestra by Mme. Hélène Papadaki, and Orestes by M. T. Cotsopoulos. A second performance of the play will be given on Wednesday and will be attended by the Duchess of Kent. To-morrow afternoon and evening Hamlet will be given in Modern Greek in a translation by the young Greek poet, Rotas, who taught himself not English but Elizabethan English. A talented young actor, M. Minot[i]s, will be the Hamlet of this production. Both plays will be under the direction of M. Dimitri Rondiris, who gave up his career as an actor to study production under Herr Max Reinhardt. [...] The company is here at the invitation of the British Council [...]."

Kostis Bastias seinerseits dankte London von der Bühne aus für " die Ehre, die Ermutigung und die Gerechtigkeit" mit der die Vorstellungen des Königlichen Theaters beurteilt wurden und sagte, daß das Werk, das das Königliche Theater vollbringe, "einen neuen Ölzweig" darstelle, "den ein Volk, arm an materiellen Dingen, überreich jedoch an heroischer Geschichte und Kultur, den anderen kultivierten Völkern darbringe". In seiner Rede im Londoner Rundfunk betonte Kostis Bastias auch, daß die erfolgreichen Bemühungen des Königlichen Theaters "nicht dem Zufall zu verdanken sind, sondern dem Willen des Regente des Landes (also Metaxas), die Fundamente für die Dritte Griechische Kultur zu legen.

Gleichermaßen leidenschaftlich waren die Berichte der Zeitung The Times über die Vorstellungen sowohl Hamlets als auch Elektras. Die Kritik in der Zeitung am Tag nach der ersten Aufführung von Elektra endete mit besonders lobenden Kommentaren über die Person des Kostis Bastias und unterstrich folgendes:

"[...] Tragedy, even Shakespeares, has become in England a rare experience, and the Electra had upon its audience an effect not only of its natural power but of an extraordinary freshness. To the majority of those who heard it, Grypariss modern Greek - and perhaps the Greek of Sophocles - was unknown, but throughout a continuous action of almost two hours the house was held by that silence of rapt attention which is distinguishable from the silence of courtesy. The first reason is that the production of M. Rondiris, under the general direction of M. Costis Bastias, has the effect of allowing the play itself, and not the imposed ingenuities of stagecraft, to be master of the stage. The Chorus, for the ancient uses of which there is no certain authority, is not employed as a background to the main characters nor as a self-assertive entity, but as a lead to Electra, as a means of convergence upon her, an instrument of unity; and the music of M. Mitropoulos, far from being, in the ordinary sense, an accompaniment to the words, is a rhythmic undercurrent to the whole dramatic movement, a link between the principal action and the choral comment, a response to mood. Elaborate though the production is in its study of collective movement and orchestrated sound, the impression it gives is of revealing the anatomy of the play, never of muffling it in hesitant decorations. [...] If one may record a single impression as a summary of the impressions given by this production it is one of spiritual excitement. This was not a performance undertaken in pious devotion to a classical tradition. It was unforced, beautifully simple, and, with Mme. Paxinou at the heart of the flame, burningly alive. The success of the Greek Royal Theatre, of which last nights performance gave proof, not as an organization only but as an artistic project, is in great measure due to the man, himself a dramatist of high rank, who has long watched over ist fortunes and is its Director-General. London, having had opportunity to enjoy the fruits of his work, may now express gratitude to him as an ambassador of his nations art, for certainly in no country has the stage owed more to the energy, enthusiasm, and connoisseurship of a single man than the Greek stage owes to M. Costis Bastias - αύξεται και Μοισα δι."

Ebenfalls am 19.6.1939 veröffentlichte die Times einen weiteren Artikel ("The Greek Theatre"), in dem sie den Lesern das Königliche Theater vorstellte, Informationen über seine Geschichte , seine Besonderheiten und sein Repertoire gab und Katina Paxinou in den höchsten Tönen lobte. Der Artikel beginnt folgendermaßen:

"The Greek Royal Theatre [...] will give their first performance in London to-night. You are welcome, masters; welcome all. Wellcome, good friends`, said Hamlet to the players. The link between their country and ours, always intimate and strong, has lately been strengthened; the spiritual bond is imperishable; and there is meaning in the wisdom and courtesy of their choice of plays, the Electra and Hamlet, their own and ours. [...]"

An dieser Stelle sollte man aufhorchen. Hier ist nicht mehr nur die Rede von einer großartigen Theateraufführung, sondern von dem Verhältnis zwischen England und Griechenland. "Immer schon" war dieses Verhältnis "innig und stark" - wann eigentlich? 1821, am Anfang des griechischen Freiheitskrieges? 1830, bei der Gründung des griechischen Staates? Oder ist die Antike gemeint? Wir erfahren es nicht; aber wir erfahren, daß diese Verbindung "in letzter Zeit noch stärker" geworden ist. Der Verfasser rechtfertigt die Anwesenheit des Königlichen Theaters zu diesem Zeitpunkt in Großbritannien mit dem Wert der Freiheit und der - zeitgenössischen - Demokratie, die, wie er schreibt, ihre Wurzeln in Griechenland hatten.

"[...] For these reasons, and because there is in this country an affection for all things Greek, we may repeat Hamlets welcome to the players. The British Council have done much to enable English actors to represent us abroad, have brought foreign companies here, and, with genuinely imaginative recognition of the theatres power to increase mutual understanding between peoples, have steadily encouraged an interchange of the real values of civilization. None of their activities is more certain of endorsement by public opinion than the invitation, which has brought the leading company of Greece to His Majestys Theatre, for, proud though we are of our own dramatic tradition, we know its seed and that if there had been no Athenians there would have been no Midsummer Nights Dream. It has often been said by those who give little cause for gratitude that there is no gratitude between nations, and that they are bound together, if at all, only by a shifting and precarious self-interest. This is conspicuously untrue of the relations between Greece and England. The loveliest and most remembering Compliment that a Greek can pay to an Englishman is to welcome him as a countryman of milord Byron, and it is often paid still, even to a lady, if she has hair of the right colour. The past is remembered in Greece as if it were to-day, and there is no travelleer or seaman among us that has not a sence of home-coming in the Aegean or cannot say, among those home-islands, Heureux qui, comme Ulysse, a fait un beau voyage. What sane men live and die for had its origin in Greece and has its perpetuation in our liberties. The Electra and Hamlet are reminders of this. Not that the Greeks or we are likely to forget it."

Zur Aufführung des Hamlet schließlich schrieb der Kritiker der Londoner Zeitung News Chronicle am 21 Juni 1939:

"Let me begin by saying that this production makes every single "Hamlet" that I have ever seen in this country or any other look like the flimsiest amateur theatricals. Let me go on to explain that the acting is in the same class as the Comédie Francaise, the Moscow Art Theatre and the Habima Players, and in my experience, excels all of them; that the mise-en scène is far beyond the wildest dreams of a Reinhardt or an Appia; that the emotional effect produced is at least as great as if Toscanini conducted Brahmss Requiem at the Funeral of an Emperor. And now, perhaps, I have conveyed a mild impression of the plane on which the Greek Royal Theatre works."

An dieser Stelle möchte ich anführen, daß genau zur selben Zeit, als das Königliche Theater von Großbritannien eingeladen wird, Nikos Kazantzakis eine Einladung des British Council annimmt, eine Reihe von Vorträgen an der Universität von Oxford zu halten. Nikos Kazantzakis und das Ensemble des Königlichen Theaters treffen auf Einladung des British Council in den ersten Junitagen 1939 fast gleichzeitig in Großbritannien ein.

Zweifellos war Nikos Kazantzakis bekannt für seine Reisen, besonders in den 20er Jahren in die Sowjetunion, nach Berlin und 1936 nach Spanien. Seine ausgezeichneten Beobachtungen hat er in den Bänden Rußland und Spanien verarbeitet. Ebenfalls ein Jahr zuvor, 1938, war sein Hauptwerk, die Odyssee erschienen.

Wenn Nikos Kazantzakis zu dieser Zeit vom British Council eingeladen wurde, Großbritannien zu besuchen und für ungefähr ein halbes Jahr zu bleiben, kann man das unter den Verhältnissen damals schwer für einen Zufall halten. Die Wirkung jenes Besuches zeigt sich sehr schnell, kurz vor der Besetzung Griechenlands durch die Deutsche Wehrmacht. Im März 1941 veröffentlicht Kazantzakis den dritten Band seines Werkes Ταξιδεύοντας (auf Reisen) mit dem Titel Αγγλία. Das Buch ist ein Hymnus auf die liberale Tradition der britischen Gesellschaft.

Gleichzeitig mit der Tournee des Königlichen Theaters in Großbritannien reist das Theater Kotopouli nach Paris und gibt dort Vorstellungen. Die Informationen der Presse bestätigen, daß das kunstbegeisterte Publikum der französischen Hauptstadt dem Ensemble Kotopouli einen enthusiastischen Empfang bereitete. Die französische Presse beurteilte seine Vorstellungen sehr anerkennend.

Am 22. Juni 1939 reiste das Königliche Theater von Großbritannien nach Deutschland für Vorstellungen in Frankfurt und Berlin. Auch hier gab es begeisterte Kritiken. Aber die politische Tendenz ist eine deutlich andere. Hören Sie etwa den Beginn der ausführlichen Kritik in der Frankfurter Zeitung vom 28. Juni 1939:

"Dieser Theaterabend, weit mehr als nur ein Theaterabend, steht außerhalb dessen, was wir gewohnt sind. In der bestürzenden Musik einer für uns seltsamen Sprache, im unaufhörlich schwellenden und ebbenden Rhythmus gemeinsamen Sich-Bewegens erstand, wuchs und verklang vor uns die dunkle Tragödie vom Schicksal der Agamemnonkinder, denen aufgetragen ist, den großen Doppelmord zu vollstrecken.

Eigentlich sollten wir eine Aufführung unter freiem Himmel sehen. Das Athener Königliche Theater bringt auf seiner Gastspielreise, die es durch England, Frankfurt und Berlin führt, eine Aufführung der "Elektra" des Sophokles mit (in neugriechischer Übersetzung von Jean Gryparis), die es zu Hause im antiken Dionysostheater unterhalb der Akropolis zu spielen pflegt. In Berlin wollen die Griechen auf der Dietrich-Eckart-Bühne gastieren, also auf einem modernen Freilichttheater nach antikem Vorbild. Und für Frankfurt hatten sie eigentlich den besonders eigenartigen Vorsatz, die griechische "Elektra" vor dem deutschen gotischen Römer zu spielen. Die Drohungen des nordischen Himmels verhinderten die Verwirklichung dieser Absicht. Die Vorstellungen mußten ins Schauspielhaus verlegt werden. Mochte man darüber anfangs enttäuscht sein - wir sind nun gerade dankbar dafür, daß wir diese differenzierte, in den Stimmen und im Bewegungsbild so gestufte Aufführung im unbeeinträchtigten Innenraum kennenlernen konnten.

Die Szene enthüllt sich langsam aus der Dämmerung: ein hohes einfaches Portal von vorzeitlicher Keilform, von dem der Bühnenboden, mehrmals um wenige Stufen gesenkt, bis nach vorn über den Orchesterraum führt. Aus dem Innern des Mykenischen Palastes dringt eine berückenden Sprechmelodie, untermischt durch dumpfe Musik: der Klageruf Elektras. Sogleich ist das was wir an klassischen Bildungsvorstellungen oder auch an Theatererinnerungen in uns tragen abgelöst durch einen viel dunkleren, heiser nächtlichen, verwirrenden Klang. Wir begreifen, daß dies griechisch ist. Griechentum von heute, dunkeläugiges, dunkelhaariges Griechentum. Es befällt uns dieser Eindruck erst recht, als nun - in der Einleitungsszene von Orests Ankunft, die noch bei verdüsterter Bühne spielt - die ersten Worte gesprochen werden. In einem für unsere Ohren zunächst ganz seltsamen raschen Zeitmaß. Eine unablässige Jagd der Silben der Reden und Gegenreden. Aber schon vernimmt man aus der nicht abreißenden Linie kleinster Sprachwellen einen großen zusammenfassenden vorwärtsdrängenden Rhythmus. [...]

Diese Kritik endet:

Die Griechen spielen uns noch einmal "Elektra", dann zweimal "Hamlet", worauf wir nun erst recht gespannt sein dürfen. An diesem ersten Abend wurden sie mit einer Herzlichkeit gefeiert, die selbst in unseren beifallfreudigen Theatern nicht häufig ist. Wieder und wieder mußten die Schauspieler, ihr Regisseur, ihr Dirigent und mit ihm ihr Generaldirektor, Kostis Bastias, sich bedanken, und Catina Paxinou erschien, oft und immer noch einmal gerufen, durch den eisernen Vorhang."

Diese Kritik ist alles andere als frei von Ideologie. Auch sie entwickelt weitreichende Vorstellungen vom "Griechentum". Aber das nationalsozialistische Deutschland proklamiert keinen Schulterschluß mit dem Metaxas-Regime. Die Kritik bleibt auf der Ebene ästhetischer Bewertung; so auch in anderen deutschen Kritiken.

In seiner Kritik mit dem Titel "Die Griechen spielen "Elektra". Gastspiel des Königlichen Theaters Athen im Schiller-Theater", die im Berliner Film-Kurier vom 4. Juli 1939 veröffentlicht wurde, schrieb Dr. Hermann Wanderscheck unter anderem:

"Der Eindruck dieser Aufführung verdichtet sich im sprachlich - musikalischen Bewegungsbild. Aus der Monumentalität spricht das dramatische Feuer, eine Wirkung, die sich den inneren Kräften der Tragödie zuwendet, der Auseinandersetzung zwischen Elektra und den Göttern. Mit packender szenischer Gleichförmigkeit sind die tragischen, menschlichen Kämpfe gebändigt. So entsteht die echte Tragödie, die zur Lebensbejahung führt.

Die griechischen Schauspieler haben der Spielleitung von D. Rondiris diese geschlossene Haltung zu danken, die nie den Kern der Tragödie, den Kampf der hochsinnigen Tochter mit der verbrecherischen Mutter, aufgibt. So wurde die Darstellung noch im längsten Monolog immer gegenständlich und das lebhafte gestische und mimische Spiel der Griechen ordnet sich nach monumentalen Stilprinzipien.

Die Aufführung des Königlichen Theaters Athen findet nach pausenlosem Spiel eine begeisterte Huldigung. Auf der Bühne erscheint auch Costis Bastias, der Generaldirektor des Athener Theaters, der Begründer der neugriechischen Bühne und eines neuen nationalen Theaters.

Im Mittelpunkt der schauspielerischen Leistung steht C. Paxinous Elektra. Ihr gilt der immer wieder aufflammende Beifall der deutschen Zuschauer, die sich mit einem edlen theatralischen Wollen vertraut machten, das manche enge Verbindung zur deutschen dramatischen und schauspielerischen Kunst kennt. Eine klassische Elektra in einem Ensemblespiel, das der Strenge der Tragödie letzte Klarheit und Hoheit verleiht."

Schließlich betonte Otto Ernst Hesse in seiner Kritik in der B.Z. am Mittag vom 4. Juli 1939:

"Bewundernswert ist die Sprechkunst des Ensembles in der Schnelligkeit, der Präzision und der seelischen Durchdringung. Als Elektra beherrscht Katina Paxinou den Abend. Ein tiefer Alt zuckt und dröhnt in allen Farben des Schmerzes, des Hasses und der Rachegier. Wundervoll führt diese geniale Sprecherin die Gestalt durch die Tiefe des Leides bis zum Entschluß der eigenen Tat, zur aufquellenden Freude über den wiedergeschenkten Bruder und zum Schlußhöhepunkt, jenem furchtbarsten Triumphschrei, den je ein Dichter einer Tochter einer Mutter gegenüber in den Mund legte: "Triff sie doppelt, wenn Du kannst!"

Ein großer, unvergeßlicher Abend. [...]"

Die griechische Presse ließ den großen internationalen Erfolg natürlich nicht unbeachtet, sondern es gab während der ganzen Tournee eine ausführliche Berichterstattung und bei der Heimkehr einen feierlichen Empfang für die Truppe. Die griechischen Artikel stellen den Ruhm in den Vordergrund, der hier errungen wurde. Ob das Volk so sehr an diesem Ruhm interessiert war, sei dahingestellt; deutlich ist, daß das Metaxas-Regime den Propaganda-Effekt beabsichtigt hatte und nun auch auskostete.

Die Tournee des Königlichen Theaters durch Großbritannien und Deutschland am Vorabend des zweiten Weltkrieges ist ein einzigartiges Ereignis in der Geschichte der Griechischen Staatlichen Bühne. Niemand kann die künstlerische Bedeutung dieses Ereignisses in Zweifel ziehen. Darüber hinaus traf Kostis Bastias im März 1940 eine Vereinbarung zwischen dem Königlichen Theater und dem Theater von Syrakus über gegenseitige Gastspiele in Italien und Griechenland.

Dieses bedeutende künstlerische Ereignis hat jedoch auch noch eine andere gleichermaßen bedeutende Dimension: Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges nutzten sowohl das diktatorische Regime von Georg dem II und Metaxas, ein diktatorisches Regime eines kleinen europäischen Landes, als auch zwei der bedeutendsten rivalisierenden europäischen Mächte das Gastspiel des Königlichen Theaters um daraus politische Vorteile zu ziehen. Die englische Presse sah den überragenden künstlerischen Triumph der Theatertruppe und integrierte ihn in das Klima der Waffenbrüderschaft zwischen Großbritannien und Griechenland. - Im nationalsozialistischen Deutschland hatte man kein Interesse, das Verhältnis zu der in Griechenland herrschenden Diktatur zu reflektieren, sondern führte die Tradition des deutschen Idealismus fort. - Für das griechische Regime war der internationale Erfolg willkommene Propaganda.

Dieses Beispiel muß der langen Reihe von Beispielen hinzugefügt werden, die wir von den sehr komplexen Beziehungen zwischen Kunst und Macht haben.

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