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Waking Life

WAKING LIFE
Cinematic Mediations Between Technique and Life

10. - 12. Juli 2008, Berlin


Internationales Graduiertenkolleg "InterArt", Berlin
Graduiertenkolleg "Lebensformen und Lebenswissen", Potsdam und Frankfurt/Oder
Graduiertenkolleg "Mediale Historiographien", Weimar

 

Der Film erweckt die Dinge zum Leben, indem er die fotografische Welt zum Tanzen bringt. André Bazin sieht im Film sogar die „Verwandlung des Lebens in sich selbst“. Diese Idee einer direkten Affinität zwischen Film und Leben ist eine der Gründungsfiguren der Filmtheorie und zieht sich als Konstante durch die Historiografie und Theorie des Films. Was die diversen Herangehensweisen eint, ist ein emphatischer Bezug aufs Leben. Von Anfang an ist dem Verhältnis von Film und Leben jedoch ein Paradox eingeschrieben: Ausgerechnet die technischste aller Künste soll den Zugang zur Unmittelbarkeit des Lebens gewähren. Zentral ist dieser Figur jene zweiseitige Topografie, die den Film zwischen mechanischer Illusion und lebendigem Bewusstsein, automatischem Auge und subjektiver Form, Unmittelbarkeit und ihrer medialen Vermittlung, kurzum: Technik und Leben verortet. Dabei verweist diese filmästhetische Dialektik kulturgeschichtlich auf das grundlegende Spannungsverhältnis von Wissenschaft und Lebenswelt in der Moderne.
Der privilegierte Zugang zum Leben, der dem Film attestiert wird, impliziert immer schon das technische Versprechen, die Zeit einzufangen. Zeit und Bewegung sind im filmischen Raum gerade nicht einfach als objektive, homogene Zeit und als mechanistische Illusion zu verstehen, sondern als subjektiv erlebte Dauer, als das, was Henri Bergson durée nennt. Für Bazin ist die durée das entscheidende Differenzkriterium zwischen Fotografie und Film. Er beschreibt den Film auch in der paradoxen Figur der „Mumie der Veränderung“ und verweist damit auf die Tatsache, dass Film nie in einem direkten zeitlichen Abbildungsverhältnis zum Leben steht, sondern in der indexikalischen Latenz einer nachträglichen Animierung das Tote wieder zum Leben erweckt.
Der filmische Bezug zum Leben ist jedoch nicht mit einem bloßen Abbildrealismus gleichzusetzen. Das objektive Auge der Kamera zeigt einerseits das ‚Leben, wie es ist’, auf der anderen Seite wird neben der registrierenden zugleich die „enthüllende Funktion“ filmischer Bilder betont. Nach Walter Benjamin hat der Film sogar das Potenzial, das „Optisch-Unbewusste“ zu entbergen. Das Leben, das der Film uns zeigt, ist keineswegs notwendigerweise ein menschliches Leben: Die „ontologische Gleichheit“ des filmischen Bildes enthierarchisiert die Stratifikationen zwischen Menschen, Tieren und Dingen. Diese Affinität zu allen Aspekten der stofflichen Welt begründet für Jacques Rancière die ästhetische Gleichheit als „Ruhms des Beliebigen“. Film entfaltet sich demnach in der Spannung zwischen ästhetischer Autonomie und der Inkarnation des Lebens. Hier scheint die romantische Vision des Einschmelzens von Kunst und Leben auf, die im Film die bestimmte Form einer Vermittlung des Unmittelbaren oder einer Sichtbarmachung des Unsichtbaren annimmt.
Siegfried Kracauer sieht angesichts der Abstraktheit des Lebens in der Moderne im Film das geschichtliche Potenzial einer „Errettung der physischen Realität.“ Die Filmerfahrung, so Kracauer, geht dabei mit einem Moment der Entsubjektivierung einher: Die psychophysische Affizierung des Zuschauerkörpers wird als ‚innere’ Erschütterung zum Ausgangspunkt einer leiblichen Eröffnung der ‚äußeren’ Wirklichkeit. Gilles Deleuze versteht das Kino aufgrund seiner automatischen und psychomechanischen Eigenschaften als „geistigen Automaten“, der in der Lage ist, einen Begegnung mit dem Ungedachten im Denken zu induzieren. Auch Stanley Cavell zufolge erfüllt das Kino den alten Menschheitswunsch, der Subjektivität zu entkommen – die Welt von außen betrachten zu können, ‚so wie sie ist’, jedoch gerade ohne selbst involviert zu sein. Das ‚ungesehene Sehen’ stellt lediglich eine scheinbare Rückgewinnung von Unmittelbarkeit in unserem Verhältnis zur Welt dar: Die automatische Weltprojektion funktioniert nur um den Preis unserer Abwesenheit.

Die Tagung Waking Life möchte sich dem vielschichtigen Verhältnis von Film und Leben widmen, indem sie ihren Ausgangspunkt von jener paradoxen Figur einer filmischen Vermittlung des Un-mittelbaren nimmt. Von hier aus können verschiedene Fluchtlinien gezogen werden:
Ein Interart-Zugang, der Film als Teil der ästhetischen Avantgarden verortet, könnte Fragen der Transgressionen von Kunst und Leben stellen. Aus einem kulturgeschichtlichen wie epistemologischen Blickwinkel heraus, scheint der Bezug des Films zum Leben in zwei Traditionen gespalten: Neben der hier diskutierten Konzeption des Films als technisch hervorgebrachte Lebendigkeit, folgt die kinematografische Technologie einem gnostischen Impuls, einem Erkenntniszugriff auf das verdinglichte Leben. Die präkinematografischen Bewegungsstudien von Etienne Marey und Eadweard Muybridge sind in diesem Kontext einer biopolitischen Mobilisierung zu sehen. Beide Traditionslinien scheinen sich dabei wechselseitig zu bedingen. Aus einer aisthetischen Perspektive können Fragen bezüglich der körperlichen und affektiven Filmwahrnehmung gestellt werden. Die Rede vom Leben meint hier immer auch das soziale, alltagskulturelle Leben. Daraus ergeben sich kulturelle und anthropologische Fragen nach der Funktion des Films als kollektives Unbewusstes oder auch nach dem Kino als Ort der Bildung oder des Verlusts von Identität.  Aus einer intermedialen Perspektive – ausgehend von der Dichotomie des filmischen Lebens und des fotografischen Todes – können Fragen nach der medienspezifischen Relevanz der Figuren des Dazwischen wie das Gespenst, das Phantom oder der Widergänger gestellt werden.

Die Konferenzsprachen sind deutsch und englisch.

Konzept und Organisation:

Lisa Åkervall, Adina Lauenburger, Sulgi Lie, Christian Tedjasukmana

 

Das Programm der Tagung finden Sie hier als pdf.

 

Download des Call for Papers als pdf.