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Dr. Christian Wenkel: Auf der Suche nach einem anderen Deutschland. Das Verhältnis Frankreichs zur DDR im Spannungsfeld von Perzeption und Diplomatie

11.04.2013 | 18:00 c.t.

Vortrag von Dr. Christian Wenkel (Deutsches Historisches Institut Paris) im Rahmen des Deutsch-Französischen Kolloquiums.

 

Ein Vortrag im Rahmen des Deutsch-Französischen Kolloquiums.

 

Verglichen mit Beziehungen anderer westeuropäischer Staaten zur DDR, kann das Verhältnis Frankreichs zur DDR als besonders intensiv beschrieben werden. Die Arbeit versucht den Motiven für das französische Interesse am zweiten deutschen Staat nachzugehen und beschreibt die Genese der französisch-ostdeutschen Beziehungen auf privatgesellschaftlicher, kultureller, wirtschaftlicher, parlamentarischer und auf Regierungs-Ebene. Grundlage dafür ist die Auswertung zahlreicher französischer Archive. Am Anfang steht die Analyse der historischen Ursprünge einer spezifisch französischen Deutschlandwahrnehmung, die es bestimmten Kreisen in Frankreich ermöglichte in der DDR das „andere“ bzw. das „bessere“ Deutschland zu sehen, das man seit dem späten 19. Jahrhundert verloren glaubte. Daran schließt sich die Auseinandersetzung mit der nur schwer erreichbaren und dennoch nicht allzu fernen DDR als Projektionsfläche politischer Utopien an. Eine Untersuchung der Perzeption ist umso wichtiger, als sich die Beziehungen von französischer Seite zumeist auf der Basis privater Kontakte entwickelten und der zentrale französische Akteur in diesen Beziehungen bis in die 1970er Jahre eine Privatgesellschaft war. Auf wirtschaftlicher Ebene wurden diese Kontakte auf der Leipziger Messe geknüpft, auf kultureller Ebene übernahm auch das Théâtre des Nations diese Funktion. Im politischen Bereich waren es die französischen Abgeordneten, die lange vor der offiziellen Anerkennung die DDR erkundeten und sich für die französisch-ostdeutschen Beziehungen im Zeichen einer allgemeinen Entspannung in den Ost-West-Beziehungen in Europa einsetzten. Vollwertige politische Beziehungen hat es indessen nie gegeben, und das trotz der Staatsbesuche von Erich Honecker und François Mitterrand. Die Arbeit zeigt vielmehr, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Februar 1973 keine grundsätzliche Veränderung der französischen Haltung zum zweiten deutschen Staat und damit zur deutschen Frage insgesamt zur Folge hatte. Ihren Ursprung hat die erstaunliche Kontinuität im Verhältnis zur DDR, die von Robert Schuman über Charles de Gaulle bis hin zu François Mitterrand reicht, in der französischen Europa-Konzeption: Zwar sollten die französisch-ostdeutschen Beziehungen im Kontext der Détente-Politik normalisiert werden, gleichzeitig aber galt eine definitive Anerkennung der deutschen Teilung mit dem Streben nach umfassender Integration Deutschlands in Europa als nicht vereinbar.

 

Zur Person:

Christian Wenkel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut Paris und Lehrbeauftragter bei SciencesPo Paris. Er studierte Geschichte, Philosophie und Romanistik an den Universitäten in Mainz und Dijon und wurde mit einer Arbeit zum Verhältnis Frankreichs zur DDR im Rahmen einer co-tutelle an SciencesPo Paris und der LMU München promoviert. Die Arbeit wurde 2010 mit dem Dissertationspreis des Deutsch-Französischen Historikerkomitees ausgezeichnet. Zu seinen Arbeitsgebieten zählen die Geschichte der französischen Außenpolitik, der Ost-West-Beziehungen in Europa während des Kalten Krieges, die deutsch-französischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert sowie die Funktion von Wahrnehmung und Erinnerung in den internationalen Beziehungen. Am DHI Paris leitet er eine Nachwuchsforschergruppe die sich am Beispiel Frankreichs mit den Wechselwirkungen zwischen Kaltem Krieg und europäischer Integration in den 1970er und 1980er Jahren beschäftigt. Neben seiner 2013 in einer Schriftenreihe des IfZ München-Berlin im Oldenbourg-Verlag erscheinenden Dissertation „Auf der Suche nach dem anderen Deutschland. Das Verhältnis Frankreichs zur DDR zwischen Perzeption und Diplomatie“, hat er gemeinsam mit Maurice Vaïsse eine Auswahl von Quellen zum Thema „La diplomatie française face à l’unification allemande“ publiziert (erschienen 2011 bei Tallandier). Er ist Herausgeber verschiedener Themenhefte in den Zeitschriften Francia („Deutsche Zeitgeschichte nach 1945: Stand der Forschung aus westeuropäischer Perspektive“ erschienen 2011), Parlement[s] („La diplomatie parlementaire en France après 1945“ in Zusammenarbeit Emilia Robin-Hivert, erschienen 2012) und Revue d’histoire diplomatique („1979-1981. Un tournant dans les relations internationales“ in Zusammenarbeit mit Guia Migani, erschienen 2012) sowie zweier Sammelbände zur europäischen Geschichte (zuletzt bei Peter Lang erschienen „Européanisation au 20e siècle: un regard historique“ in Zusammenarbeit mit Matthieu Osmont, Emilia Robin-Hivert, Katja Seidel und Mark Spoerer). Zudem ist er Autor zahlreicher Artikel und Buchkapitel, zuletzt erschienen „L’‚autre‘ dans le rapport franco-allemand“ in einem von Reiner Marcowitz und Hélène Miard-Delacroix herausgegebenen Sammelband „50 ans de relations franco-allemandes“ (2013 bei Nouveau monde éditions).

 

Vortrag in deutscher Sprache, Diskussion in deutscher und französischer Sprache.

 

Die Veranstaltung findet im Rahmen des Deutsch-Französischen Kolloquiums statt. Es präsentiert und diskutiert Frankreichforschung in vergleichender Perspektive und findet im Semester einmal im Monat statt.

 

Veranstalter:

Anne Kwaschik, Juniorprofessorin für Westeuropäische Geschichte, FU Berlin/Frankreich-Zentrum

Peter Schöttler, Directeur de recherche CNRS-IHTP Paris /Honorarprofessor, FU Berlin

Patrice Veit, Directeur de recherche CNRS, Directeur du Centre Marc Bloch

Kontakt: a.kwaschik@fu-berlin.de, peter.schoettler@ihtp.cnrs.fr, patrice.veit@cmb.hu-berlin.de

 

 

 

Zeit & Ort

11.04.2013 | 18:00 c.t.

Freie Universität Berlin, Frankreich-Zentrum, Rheinbabenallee 49, 14199 Berlin