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Seelenwanderung und literarische Kommunikation. Konjunkturen einer Denkfigur vom 18. bis zum 20. Jahrhundert

Institution:

Institut für Deutsche und Niederländische Philologie - Neuere deutsche Literatur

Mitarbeiter/innen:

Kyung Ho Cha

Martin Hense

Förderung:

DFG

Projektlaufzeit:
01.09.2008 — 28.02.2012
Seelenwanderung

Seelenwanderung
Bildquelle: Lavater: Aussichten in die Ewigkeit

Das Projekt setzt bei der Beobachtung an, dass die Vorstellungen von Seelenwanderung und Wiedergeburt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts selbst bei prominenten Aufklärern wie Lessing oder Lichtenberg eine auf den ersten Blick überraschende Konjunktur erleben. In der literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung wurde dieses Phänomen bisher mehrheitlich als irrationalistische Kehrseite der Aufklärung bzw. als Kompensation aufklärerischer Erkenntnisschocks abgehandelt.

Unser Forschungsvorhaben gründet hingegen in der Überzeugung, dass es zunächst gilt, das Feld des positiven Wissens zu beschreiben, innerhalb dessen Palingenesie und Metempsychose im 18. Jahrhundert und in Folge überhaupt diskutabel werden. Es geht demnach nicht darum, Seelenwanderung als Idee in einem religionsgeschichtlichen oder philosophiegeschichtlichen Kontext zu situieren, sondern als literarisches Motiv und als Modell künstlerischer Kommunikation, als eine Figur des Wissens in ihren diskursgeschichtlichen Zusammenhängen und Funktionen zu beschreiben.

Seelenwanderung erscheint als eine Sinnkonfiguration, in der das Verhältnis von Leib und Seele, von Geist und buchstäblicher Verkörperung, von Individuellem und Kollektiven, Tod und Geburt, Erinnern und Vergessen, literarischer Tradition und Neuerung, von Originalität und Nachahmung, Einmaligkeit und Wiederholung, und schließlich: von Natur und Kultur verhandelt und immer wieder neu unterlaufen und überbrückt wird. Ziel ist es, die Seelenwanderung in ihrem Status als untergründig präsentes und weitreichend wirksames epistemisches Modell, dessen Spur sich nicht nur bis in die Gegenwartsliteratur, sondern auch bis in die aktuelle Hirnforschung hinein verfolgen lässt, zu profilieren.

Im Rahmen des Projekts entstand eine umfangreiche Quellenbibliographie zur Seelenwanderung mit über 370 Einträgen und eine Forschungsbibliographie zur Seelenwanderung mit über 170 Einträgen, die beiderseits online durchsuchbar sind.

Martin Hense, Jutta Müller-Tamm (Hg.): Poetik der Seelenwanderung. Freiburg: Rombach Verlag, 2014.