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Scott Bradfield - Samuel Fischer-Gastprofessor im Wintersemester 2000/2001

Scott Bradfield wurde 1955 in Kalifornien geboren. Er unterrichtete fünf Jahre lang an der University of California at Irvine, wo er in Amerikanischer Literatur promovierte. Bradfields erster Roman The History of Luminous Motion wurde 1989 veröffentlicht. Es folgten Animal Planet und What’s Wrong with America sowie die Kurzgeschichten-Sammlung Greetings From Earth. Bradfield schrieb außerdem für Film und Fernsehen. Scott Bradfield lebt heute abwechselnd in London und in Connecticut, wo er an der University of Storrs Englisch lehrt. Er schreibt regelmäßig für »The Times« (London), »The New York Times Book Review« und »TLS«. Scott Bradfield war im Wintersemester 2000/2001 als Samuel Fischer-Gastprofessor für Literatur am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und bot ein Seminar mit dem Titel Literature and Crap in American Pop Culture – What We Like To Read and What We’re Supposed To an.

Born in California in 1955, Scott Bradfield is the author of three novels – The History of Luminous Motion, What’s Wrong with America, Animal Planet – and a volume of collected stories, Greetings From Earth. He has written for both film and television. Recent adaptations of his work have been released both in the U.S. and abroad. He has published a work of nonfiction entitled Dreaming Revolution: Transgression in the Development of American Romance. Scott Bradfield taught for five years at the University of California, Irvine, where he received his doctorate in American Literature. He currently teaches English at the University of Connecticut at Storrs. He reviews regularly for »The Times« (London), »The New York Times Book Review«, and »TLS«. Scott Bradfield was Samuel Fischer Guest Professor for Literature in fall term 2000/2001. He taught a class, titled Literature and Crap in American Pop Culture – What We Like To Read and What We’re Supposed To.

 

Publikationen

(Auswahl)

Fiction:
  • The History of Luminous Motion. 1989.

  • What’s Wrong with America? 1994.

  • Animal Planet. 1995.
Collections:
  • Dream of the Wolf. 1990.

  • Greetings from Earth: New and Collected Stories. 1996.
Screenplays:
  • The Secret Life of Houses. 1995.

  • The History of Luminous Motion. [Shared Credit]. 2000.
Anthologies including stories by Scott Bradfield:
  • The Year’s Best Fantasy and Horror: Sixth Annual Collection. 1993.

  • Off Limits: Tales of Alien Sex. 1996.

  • The Year’s Best Fantasy and Horror: Ninth Annual Collection. 1996.
Essay:
  • Dreaming Revolution: Transgression in the Development of American Romance. 1994.
Short Stories:
  • The Flash! Kid. 1983.
  • Ghost Guessed. 1984.
  • Unmistakably the Finest. 1984.
  • The Dream of the Wolf. 1984.
  • Dazzle. 1988.
  • The Secret Life of Houses. 1988.
  • The Other Man. 1988.
  • Greetings from Earth. 1988.
  • The Darling. 1988.
  • Didn’t She Know. 1991.
  • The Reflection Once Removed. 1992.
  • The Parakeet and the Cat. 1993.
  • Animals Behind Bars! 1994.
  • Penguins for Lunch. 1995.
  • The Queen of the Apocalypse. 1996.
Sekundärliteratur:
  • »The Secret Life of Houses«, Scott Bradfield. By Mark R. Kelly.
    in: Locus. 23:3, No. 344 (Sep 1989).

  • »Animal Planet«, Scott Bradfield. By Gary K. Wolfe.
    in: Locus. 36:1, No. 420 (Jan 1996).

 

Veranstaltungen am Institut

  • Donnerstag, 14. Dezember 2000, 18 Uhr c.t.:
    Begrüßung am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft – Lesung und Diskussion mit Scott Bradfield.

  • PS/HS Literature and Crap in American Pop Culture – What We Like To Read and What We’re Supposed To.

 

Veranstaltungen in Berlin

  • Mittwoch, 13. Dezember 2000, 11 Uhr:
    Pressegespräch.
    Ort: DAAD / Wissenschaftsforum Berlin, Markgrafenstraße 37, D-10117 Berlin.

  • Mittwoch, 17. Januar 2001, 20 Uhr:
    Publikumsveranstaltung mit dem Vortrag »Why I Hate Tony Morrison’s Beloved« und anschließendem Gespräch mit Hans-Jürgen Balmes (S. Fischer Verlag).
    Ort: The British Council, Hackescher Markt 1, D-10178 Berlin.

 

Informationen im World Wide Web

 

Medienecho

 

Bericht

Nach Vladimir Sorokin, V. Y. Mudimbe und Kenzaburo Oe kam als vierter Samuel Fischer-Gastprofessor für Literatur der kalifornische Schriftsteller Scott Bradfield im Wintersemester 2000/2001 ans Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin.

Scott Bradfield, Jahrgang 1955, promovierte an der University of California at Irvine in Amerikanischer Literatur und unterrichtet seit einigen Jahren an der University of Storrs in Connecticut. (Bradfield lebt heute abwechselnd in Connecticut und in London.) Scott Bradfields literarisches Werk umfaßt die Romane The History of Luminous Motion, Animal Planet und What’s Wrong With America sowie zahlreiche Kurzgeschichten (unter anderem die Sammlung Greetings From Earth). Bradfield schrieb für Film und Fernsehen und verfaßt regelmäßig Literaturkritiken – insbesondere für die Londoner Times und The New York Times Book Review.

Im Rahmen seiner Samuel Fischer-Gastprofessur für Literatur gab Scott Bradfield am Institut für AVL ein Seminar mit dem Titel Literature and Crap in American Pop Culture – What We Like To Read and What We’re Supposed To. Das Konzept des Seminars zielte darauf ab, ausgewählte Werke der – vor allem US-amerikanischen – Gegenwartsliteratur in dezidiert unakademischer Weise und aus einer gegenüber dem wissenschaftlichen Diskurs und dem institutionellen Betrieb kritischen Perspektive zu lesen.

Bradfield betrachtet Bücher in erster Linie als Schriftsteller, als literarisch Kreativer und als engagierter Leser. Er möchte seine Studenten zu einem subjektiven, aktiven und selbstbewußten Umgang mit Literatur anregen. Bradfield fragt: Welche Werke werden von der Literaturwissenschaft für »wichtig« gehalten? Wie motiviert sich diese intellektuelle Wertschätzung? Sind die Kriterien der gegenwärtigen akademischen Kanon-Bildung sinnvoll? Und, vor allem, in welchem Verhältnis stehen sie zu unseren individuellen Lektüre-Erfahrungen? Sind die Bücher, die gleichsam institutionell »geheiligt« werden, notwendigerweise auch die, welche wir am liebsten lesen? Welchen Nutzen haben Literaturwissenschaft und Literaturkritik für den Leser? Wie läßt sich unser Verhältnis zur Literatur von akademischen Vorurteilen befreien und auf diese Weise gewissermaßen entkomplizieren?

Das Corpus der dem Seminar zugrunde gelegten Titel war demgemäß betont vielfältig. Bradfield stellte Bücher vor, die er grob in drei Kategorien einteilte:

  1. Neuere kanonisierte Werke, die wir – aus verschiedenen Gründen – »mögen sollen«: William Gaddis, JR; Thomas Pynchon, Vineland und The Crying of Lot 49; Toni Morrison, Beloved. Das heißt: Werke, die als ›avantgardistische‹, ›postmoderne‹ oder ›politisch korrekte‹ Literatur eine allgemeine Wertschätzung erfahren und folglich gegen Kritik ebenso wie gegen eine unvoreingenommene, offene Lektüre immunisiert werden; Werke, die es also entweder für eine genußvolle Lektüre zurückzugewinnen gilt (Gaddis, Pynchon) oder deren Status kritisch zu revidieren wäre (Morrison). Die Kriterien der Kanonisierung werden konkret inhaltlich wie auch in ihren Auswirkungen einer Kritik unterzogen.

  2. Werke, die als sogenannte »Trivialliteratur« von akademischer Würde ausgeschlossen werden und die wir daher »nicht mögen sollen«: Chester Himes, A Rage in Harlem; Judith Krantz, Princess Daisy; Thomas Disch, Camp Concentration; Hugh Lofting, Dr Dolittle’s Zoo. Das heißt: Bücher, die verschiedenen »Genres« zugeordnet werden, die prinzipiell als nur bedingt kanonfähig gelten (Krimis, Liebesromane, Science Fiction, Kinderbücher etc.); die wir indes oftmals gerade mit großer Freude lesen, deren literarische Qualität möglicherweise sogar unterschätzt wird oder deren strukturelle Gemeinsamkeiten mit der ›klassischen‹ Literatur durchaus Überraschen – so zum Beispiel die augenscheinlichen Übereinstimmungen zwischen dem »Supermarkt-Bestseller« mit grellbuntem Cover, Princess Daisy und dem Modell des traditionellen englischsprachigen Melodrams. Die scheinbar unüberwindlichen Grenzen, Unterscheidungen und Gegensätze zwischen ›hoher Literatur‹ und ›Pop-Literatur‹ werden fragwürdig.

  3. Bücher, die Scott Bradfield selbst aus rein idiosynkratischen, nicht theoretisch legitimierbaren Gründen persönlich »mag«: Richard Yates, Revolutionary Road; Brian Moore, The Statement; Alison Lurie, The Last Resort; Thomas Becketts Romane. Hierbei handelt es sich um Werke, die für Bradfield als Autor wichtig waren – im Sinne einer schriftstellerischen Orientierung an literarischen ›Vorbildern‹; oder auch um Beispiele, im Hinblick auf welche der Autor seinen individuellen Lektüregenuß beschreiben will. Anhand von Texten dieser ›Kategorie‹ möchte Bradfield seine eigene Begeisterung für Literatur auf die Studenten übertragen und diese dazu einladen, selbstbewußt ihren Lektürevorlieben nachzugehen und ihren ganz persönlichen ›Kanon‹ mit seinen ganz subjektiven ›Kriterien‹ zu reflektieren.

Scott Bradfields Samuel Fischer-Gastprofessur für Literatur wurde eingeleitet durch eine Begrüßungs-Veranstaltung am Institut für AVL, in der der Gastprofessor eine jüngst erst vollendete Kurzgeschichte las und die Konzeption seines Seminars erläuterte sowie in einem Podiums- und Publikumsgespräch sein Literaturverständnis wie auch seine politische Position umriß. So erläuterte Bradfield vor dem Hintergrund der aktuell in ein Stimmauszählungs-Chaos mündenden Präsidentschaftswahlen in den USA und im Hinblick auf seinen für das Berliner Seminar zentralen Literaturbegriff, der Unterschied zwischen »Literature« und »Crap« sei ebenso zweifelhaft wie der zwischen den beiden Kandidaten George W. Bush und Al Gore: »Some people say Gore is slightly smarter than Bush, but I think: It’s really too close to call.«.

In einer (ausverkauften) Publikumsveranstaltung im »British Council« am 17. Januar 2001 präsentierte Scott Bradfield seinen Vortrag »Why I Hate Toni Morrison’s Beloved«. Der provokative Titel pointierte noch einmal Bradfields Abneigung gegen akademische Kanonisierung und seine Infragestellung scheinbar sakrosankter literarischer Wertsetzungen. Bradfield beschrieb die Atmosphäre auratischer Unantastbarkeit, die sich um Name und Werk der Nobelpreisträgerin in den USA entwickelt hat; er skizzierte, exemplarisch anhand des Romans Beloved, die – nahezu durchweg – hagiographische Rezeption der Werke Morrison’s; und er zitierte die überwiegend politische (und nicht ästhetische) Argumentation der Rezipienten, insbesondere auch in der Auseinandersetzung mit vereinzelter zaghafter Kritik, die automatisch als ideologisch motiviert und »reaktionär« denunziert wird. Bradfields Kritik zielt auf die vom eigentlichen literarischen Text fast gänzlich abgelöste »Morrison Industry« als Paradefall einer institutionalisierten Literaturwissenschaft, deren vorrangige Mission offenbar nicht mehr die Beschäftigung mit und das Zugänglichmachen von Literatur sei, sondern im Gegenteil deren konsequente Abriegelung.

Das Interesse der Öffentlichkeit an der Gastprofessur von Scott Bradfield war außerordentlich groß. Dies zeigte sich bereits bei der sehr gut besuchten Pressekonferenz zu Beginn des Gastaufenthaltes, die sich zu einem äußerst angeregten Gespräch zwischen den zahlreichen Journalisten und dem amerikanischen Gast entwickelte. Die Berichterstattung in Presse und Radio war ausführlich, vielfältig, interessiert und durchweg positiv.

Scott Bradfields Besuch bot den Studierenden die Möglichkeit, unterschiedlichste Werke der Gegenwartsliteratur »aus erster Hand« kennenzulernen, sich mit verschiedenen Autoren, Trends und »Genres«, die im Übrigen selten unterrichtet werden, vertraut zu machen, sich mit spezifischen Voraussetzungen und Mechanismen der eigenen Disziplin kritisch auseinanderzusetzen und die gesellschaftliche und politische Dimension der Literatur wie der Literaturwissenschaft zu reflektieren und dabei – nicht zuletzt – auf sehr ungezwungene, sympathische und anregende Weise mit einem Vertreter einer jüngeren US-amerikanischen Autoren-Generation ins Gespräch zu kommen.

Oliver Lubrich,
Berlin, 18. Februar 2001