Nancy Campbell
Die schottische Schriftstellerin Nancy Campbell tritt im Sommersemester 2023 die Samuel Fischer-Gastprofessur für Literatur am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin an.
Campbell wurde im Jahr 1978 in Exeter geboren und lebt derzeit in Oxford (UK). Nach einem Studium der Anglistik in Oxford (1996 bis 1999) lernte sie Buchhandwerkskunst u.a. bei der Barbarian Press in Kanada und war im Anschluss daran bei verschiedenen Kunstbuchdruckereien in den USA und Großbritannien tätig. Dabei arbeitete sie u.a. mit den Künstlerinnen Sarah Bodman und Roni Gross zusammen. Zwischen 2010 und 2017 unternahm sie mehrere Reisen zu Forschungsstationen in der Arktis. Im Jahr 2020 erhielt sie den prestigeträchtigen Ness Award der Royal Geographic Society für ihr intermediales Werk, darunter die Sachbücher The Library of Ice (2018) und Fifty Words for Snow (2020; dt.: Fünfzig Wörter für Schnee, Hoffmann&Campe 2021), die Lyrikbände Disko Bay (2015) und Uneasy Pieces (2022) sowie die Kunstbücher Capturing Light (2022) und Grass of Parnassus (2023). Zudem wurde Disko Bay nominiert für den Forward Prize for Best First Collection (2016) sowie für den Michael Murphy Memorial Prize (2017). Im vergangenen Jahr erschien ihr autobiographischer Bericht Thunderstone über ihren Ausstieg aus dem bürgerlichen Leben während des ersten Corona-Lockdowns.
In ihrem literarischen Werk setzt sich Nancy Campbell in vielfältiger und innovativer Weise mit den Folgen des Klimawandels auseinander. Besonders interessiert sie sich für marginalisierte oder vom Aussterben bedrohte Sprachen als Archive eines ökologischen Bewusstseins. Ihr erstes Buch How to Say „I Love you“ in Greenlandic (2011) verbindet die Einführung in die Sprache Grönlands mit einer romantischen Erzählung. Die 12 Buchstaben des grönländischen Alphabets bilden Wörter von eqisimarput („wir laufen verliebt arm in arm“) bis zu kinguneqartarpoq („er trinkt einen zweiten Aufguss aus altem Kaffeesatz oder Teeblättern“). Diese Wörter und ihre englischen Übersetzungen werden von einer Serie von Pochoir-Drucken begleitet, die Eisberge im Prozess des Verschwindens darstellen. Auch der Lyrikband Disko Bay (2015) erkundet die Auswirkungen des Klimawandels auf die polare Region. Mit Blick auf die Disko-Bucht an der Westküste Grönlands – seit langer Zeit ein Treffpunkt für Walfänger, Missionare, Wissenschaftler und Schamanen – umkreisen die Gedichte den Überlebenskampf in einer schroffen Umwelt, den Verlust alter Sprachen und die Spannungen zwischen traditionellen und modernen Lebensformen. Der Prosaband The Library of Ice (2018) wiederum fast Campbells Faszination für die zerklüftete Schönheit des Eises in Worte: Ausgehend vom nördlichsten Museum der Welt in Upernavik (Grönland) bricht die Autorin auf zu einer Entdeckungsreise, die sie von den Archiven der Bodleian Library über ferne Siedlungen in der Arktis bis hin zu den Eishäusern Kalkuttas führt. Schließlich bietet der Band Fifty Words for Snow (2020; dt.: Fünfzig Wörter für Schnee, Hoffmann&Campe 2021) ein Alphabet des Schnees, das vom französischen avalanche bis zum mongolischen zud reicht. In evokativer, lyrisch verdichteter Sprache geht Campbell den Bedeutungen, Etymologien und Mythologien des Schnees in zahlreichen Sprachen der Welt nach.
Im Rahmen der Samuel Fischer-Gastprofessur wird Nancy Campell ein Seminar mit dem Titel On water and other voices unterrichten. Das Seminar erkundet die Bedeutung von Wasser für die somatische Erfahrung von Umwelten. Ausgehend vom radikalen und unablässigen Wasserkreislauf soll das Verhältnis von Ecopoetry and Buchkunst erkundet werden. Wie schreiben Autor:innen über die Tiefenzeit des fluiden Elements in der Ära einer globalen Umweltkrise? Diese Frage soll anhand von vielfältigen Texten besprochen werden, darunter außereuropäische, noch kaum kanonisierte Werke aus älteren Literaturen, wobei auch trans-humane Stimmen (Gezeiten, Kerneis oder Myzelien) zu Wort kommen. Zudem geht es um die Frage, wie sich im Spannungsfeld von oralen Literaturen und Buchgeschichte spannende neue Zugänge zum ökokritischen Feld ergeben könnten. Studierende werden dazu ermuntert, die Grenzen des literarischen Ausdrucks in Texten zu erproben, indem sie über sprachliche Fremdheit und Verluste – darunter gefährdete Sprachen, asemische Texte und Aphasien – nachdenken. Diese Entdeckungsreise durch Archive und Bibliotheken wird in Grenzgebiete reisen, in Sackgassen verharren und Texturen der Stille durchqueren, um den „Freiraum imaginärer Abenteuer“ aufzusuchen, den Anne Carson in den Klammern ihrer Sappho-Übersetzungen verortet. Auf diese Weise wollen wir innovative Zugänge eröffnen, die sich über die Trauer der Solastalgie hinaus erstrecken und zu einem lebendigen Diskurs für die Gegenwart führen.
Das Seminar findet ab dem 19. April 2023 wöchentlich am Mittwoch von 16 bis 18 Uhr im Raum JK 31/239 in englischer Sprache statt und ist offen für Master-Studierende und für Bachelor-Studierende der AVL sowie für Studierende anderer Institute jeweils ab dem 3. BA-Semester.
Es ist keine direkte Anmeldung zur Lehrveranstaltung via Campus Management möglich. Bitte senden Sie Ihre Bewerbung zwischen dem 15. März und dem 31. März 2023 unter Angabe von Studienfächern und Fachsemestern, Muttersprache(-n) und Englischkenntnissen und einem kurzen Motivationsschreiben, in einer einzigen PDF-Datei (inklusive Anschreiben) an: david.wachter@fu-berlin.de
Weitere Informationen werden rechtzeitig vor Semesterbeginn auf der Homepage des Peter Szondi-Instituts bekannt gegeben. Rückfragen richten Sie bitte an:
petra.salomon@fu-berlin.de
Die Veranstaltungen der Gastprofessur sind Lehrveranstaltungen. Die Anrechnung von Prüfungsleistungen erfolgt im Rahmen von § 6, § 13 der Satzung für Allgemeine Prüfungsangelegenheiten.