Springe direkt zu Inhalt

Sara Stridsberg

„Only authors get paid for daydreaming, and only the mad devote their days to daydreaming“, schreibt Sara Stridsberg in der Ankündigung zu ihrem Seminar, das sie im Rahmen der Samuel Fischer Gastprofessur für Literatur im Wintersemester 2010/11 am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin anbieten wird. Die 1972 bei Stockholm geborene Autorin, Übersetzerin und freie Journalistin beschäftigt sich in ihrem Kurs unter dem Titel Destroy she says – Destruction, Alienation & Literature from ‚Medea‘ (Euripides) to ‚Blasted‘ (Sarah Kane) mit dem Wahnsinn, dem Schreiben und der Leidenschaft.

Sara Stridsbergs eigene Werke spiegeln diese Thematik wieder: Schicksale von Frauen, die dem Außergewöhnlichen, dem Irrsinn und der Literatur mit Energie und Hingabe nachgehen.

So wie Sally Bauer, die Protagonistin ihres 2004 erschienenen Romandebuts Happy Sally, die als erste Skandinavin den Ärmelkanal durchschwamm.

Nachdem Sara Stridsberg das feministische S.C.U.M.-Manifest (Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer) von Valerie Solanas aus dem Jahr 1968 ins Schwedische übersetzt hatte, veröffentlichte sie den Roman Die Traumfabrik, eine fiktionale Erzählung zur historischen Persönlichkeit Solanas` -  der Frau, die auf Andy Warhol schoss. Stridsberg mischt historische Dokumente mit fiktionalen Elementen, das Ergebnis ist ein sprachlich und inhaltlich kraftvolles poetisches Werk. Für Die Traumfabrik erhielt Sara Stridsberg den renommierten Literaturpreis des Nordischen Rates.

Ihr aktueller Roman, Darling River, ist 2010 in Schweden erschienen, er bezieht sich auf Vladimir Nabokovs Lolita.

 


Abschlußbericht zur Gastprofessur von Sara Stridsberg am Peter Szondi-Institut für AVL der Freien Universität Berlin (Wintersemester 2010/11)

 

Die schwedische Roman- und Theaterautorin Sara Stridsberg unterrichtete im Wintersemester 2010/11 als vierundzwanzigste “Samuel Fischer Gast­professorin für Literatur” am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Ver­gleichende Literaturwissenschaft (AVL) der Freien Universität Berlin. Sara Stridsberg bekleidete die Gastprofessur nach den Autorinnen Nora Amin (Ägypten), Michèle Métail (Frankreich), Marlene Streeruwitz (Österreich) und Dubravka Ugrešić (Kroatien).

 

Die “Samuel Fischer Gastprofessur für Literatur” wurde vom S. Fischer Verlag, dem Veranstaltungsforum der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, dem DAAD und der Freien Universität Berlin im Jahr 1998 gemeinsam ins Leben gerufen – mit dem Ziel einer ‘kritischen Reflexion der Literaturen der Welt’.

 

Sara Stridsbergs Werk setzt sich mit unkonventionellen Heldinnen auseinander. Ihr erster Roman, Happy Sally (2004), handelt von Sally Bauer, der ersten Skandinavierin, die den Ärmelkanal durchschwamm; der zweite, Drömfakulteten (2006; dt. Traumfabrik, 2010), von Valerie Solanas, die auf Andy Warhol schoss. Der Roman entstand, nachdem Stridsberg Solanas’ 1968 verfasstes “Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer” (“S.C.U.M.”: Society for Cutting Up Men) ins Schwedische übertragen hatte. Ihr aktueller Roman, Darling River (2010), setzt sich mit Vladimir Nabokovs Lolita auseinander.

 

Ihre Lehrveranstaltung hatte Sara Stridsberg unter das Thema des weiblichen Wahnsinns gestellt: “‘Destroy she says’. Destruction, Alienation & Literature from Medea (Euripides) to Blasted (Sarah Kane)”.

 

In ihrer Kursbeschreibung skizzierte sie das Projekt poetisch wie folgt:

The madness of writing makes us into other people, in the act of writing we leave ourselves. When I am writing I can truly understand the temptation of setting fire to something, the lustre of the first, tentative flames, the heat and glow reflected in the destroyer’s eyes and finally the madness of the fire as it obliterates everything around it. There is nothing as beautiful as a forest fire or a burning field, in the ravaged landscape, afterwards there is nothing left to remember. At the moment of writing, the author is someone else, she leaves herself, body, consciousness, her personal experiences, makes way for what is alien, she is literally out of her mind. A trapdoor of light, opening to the unknown, the unexpected, incomprehensible, a window facing onto night. Literature is the place for the delights of the doomed, the text is the smile of sickness. To write is also to dream, a mad persons’ daydream, since only the mad devote their days to daydreaming, since only authors get paid for daydreaming. But unlike the mad person, a dream cannot be kept incarcerated, it cannot be caught in a photograph, it cannot be held responsible. The images of the text, of the dream multiply at the speed of light beneath the skull bones of citizens, and no regime of this world can check them. Every word is a casket, every word has a rose sewn up inside. Literature sews old and silver threads into her ruined dresses and coats. A fur left on a park bench becomes the silhouette of a bag lady, the author sees things that are not there, the text makes connections that do not exist, it harbours the paradox, utopia. All is mere language, all is mere wind. The American writer Joyce Carol Oates claims that all great art is transgressive and must therefore endure the punishment that will result; a public judgment, a distancing, a banishment from the community, to hospital, solitude, loss of reality. The question is: How shall we write and live and stay healthy and alive and carry on being destructive insane desperate loving crazy. All these mad geniuses, all the burnt, stolen, missing, denied, refused, plagiarised, suicidal texts, all those unread and misread letters to the world, all those dangerous regions where writing takes us. Like madness, literature can function as a temporary respite and a place of refuge from the pain for the person writing, private pain and the pain of the world, war, the killing fields, the destruction around us, an asylum.

 

Mit ihren rund 40 Studierenden widmete sich Sara Stridsberg Werken von Joyce Carol Oates, Julia Kristeva, Elfriede Jelinek, Harold Pinter oder Vladimir Nabokov. Sie tat dies nicht allein über literarische Texte, Essays und Gespräche, sondern gestaltete ihren Unterricht ‘multimedial’, etwa indem sie Marilyn Monroes “Happy Birthday, Mr. President” einspielte, Ausschnitte aus The Misfits oder Lars von Triers Medea integrierte oder Kunstwerke von Louise Bourgeoise vorstellte. Unkonventionell war auch der Umgang mit dem Vorgang des Lesens: Einmal ließ Sara Stridsberg Romanpassagen synchron in den jeweiligen Muttersprachen vortragen, was zu einem babylonischen Sprachamalgam (unter anderem aus Deutsch, Englisch, Finnisch, Japanisch, Serbisch und Italienisch) führte.

 

Zum Abschluss ihres Kurses führte Sara Stridsberg ihre Studierenden ins Jüdische Museum Berlin, um in dessen ‘Garten des Exils’ ein Schlusswort an die Gruppe zu richten und eine Passage aus Dubravka Ugrešićs Roman Museum der bedingungslosen Kapitulation (Muzej bezuvjetne predaje) zu lesen – dem Text einer früheren Samuel Fischer Gastprofessorin für Literatur (Sommersemester 2006), der das Seminar ihrer schwedischen Nachfolgerin begleitet hat.

 

Zum Abschluß ihres Seminars ging Sara Stridsberg mit ihren Studierenden ins Jüdische Museum Berlin (16. Februar 2011). - Foto: Björn Arne Eisermann
 

Im "Garten des Exils" des Jüdischen Museums Berlin las Sara Stridsberg zum Abschluß ihres Seminars eine Passage aus dem Roman "Museum der bedingungslosen Kapitulation" von Dubravka Ugrešić (16. Februar 2011). - Foto: Björn Arne Eisermann

In einer öffentlichen Veranstaltung am 2. Dezember 2010 las Sara Stridsberg an der Freien Universität aus ihrem Roman Traumfabrik sowie aus dem noch nicht ins Deutsche übersetzten Theaterstück Medealand. (Durch den Abend führte Dr. Esther von der Osten-Sacken vom Peter Szondi-Institut für AVL.)