Weiße Pfauen, Flügelschrift
Cornelia Ortlieb – 2020
Stéphane Mallarmé hat als Dichter, Übersetzer und Visionär der Avantgarden neben enigmatischen Versgedichten und poetologischen Prosatexten auch eine Fülle von Papierarbeiten hinterlassen, die hier in den Rahmen seines großen Projekts der Vers de circonstance/Verse unter Umständen gestellt werden. Diese Gedichte zu besonderen Anlässen oder geselligen Ereignissen sind größtenteils auf ungewöhnliche Materialien oder Dinge geschrieben – darunter Briefumschläge, Visitenkarten, Photographien, Papierfächer, Calvados-Krüge und flache Kieselsteine. Allein die Zusammenstellung zur Buchausgabe von 1920 enthält fast 500 durchweg adressierte Gedichte, die meist scherzhaft-galant Komplimente formulieren, auf Eigenheiten der namentlich genannten Adressierten anspielen und die besonderen Gelegenheiten, zu denen sie verfasst wurden, poetisch reflektieren. In Mallarmés Schreiben von 1884 bis zu seinem frühen Tod 1898 sind es besonders die Verse für Méry Laurent, in denen sämtliche Formen und Formate dieser poetischen Arbeit mit Dingen des täglichen Lebens, modischen Accessoires und Gaben unzählige Male variiert werden. Die je einzigartige Verbindung von Ding, Schriftgebilde und Vers macht auf die besondere Materialität dieser seriell hergestellten poetischen Artefakte aufmerksam. Sie werden hier als Bastelarbeiten und Farbenkunst mit Blick auf ihre Aneignung geselliger Praktiken, Rituale und Zirkulationsformen betrachtet und in der Variation japanischer Bildelemente als west-östliches Projekt im Zeichen von Mehrsprachigkeit und Hybridisierung untersucht. Mallarmés Zeichnungen für Méry Laurent, in denen die umworbene Adressatin als Pfau und Fächertier figuriert ist, stehen so für diese uneinholbar dichte Symbolsprache, die höchste Abstraktion und dingliche Konkretion untrennbar verbindet.