Springe direkt zu Inhalt

Freie Assoziation

Die freie Assoziation beschreibt die Prosodie der écriture automatique surrealistischer Autoren wie Breton, Éluard, Desnos und Soupault, die in der deutschsprachigen Lyrik von Hans Arp über Friederike Mayröcker bis hin etwa zu Richard Anders reicht. Übersetzen ließe sich die écriture automatique mit dem Begriff des unwillkürlichen Schreibens, das sich von jeglichen als zwanghaft empfundenen Regeln gesellschaftlicher, moralischer, ästhetischer oder auch sprachlicher Coleur im Zuge des freien Assoziation frei macht. Diese Befreiung bezieht sich nicht nur auf die Regelhaftigkeit von Syntax und Wortbedeutung, sondern auch auf die Konventionen literarischer Gattungen, vor allem aber auf die Selbstkontrolle angesichts bestimmter moralischer und ästhetischer Tabus. Es geht um die Entkopplung von den Kontrollfunktionen des Wachbewusstseins, wodurch es gelingen soll, das Unbewusste in unmittelbarer, automatischer Niederschrift aufzufangen.

Den Ursprung dieser Form liefert 1920 die von André Breton und Philippe Soupault verfasste Prosadichtung Les champs magnétiques, in der es unter dem Eindruck der Freudschen Psychoanalyse um eine Sichtbarmachung des Unbewussten bzw. um eine möglichst exakte und unmittelbare Darstellung des 'gesprochenes Denkens' (pensée parlée) in einem durch keine Selbstkritik gehemmten Monolog geht. Diese halbbewussten Zustände nannten Breton und Soupault auch 'Traumprotokolle', ein poetisches Grundprinzip der surrealistischen Poesie, dass in der 1924 begründeten Zeitschrift La révolution surréaliste unter der Rubrik 'Rêves' (Träume) von Autoren wie de Chirico, Breton, Aragon, Noll, Desnos und Péret weitergeführt wurde. Im 'Manifeste du surréalisme" von 1924 hat Breton dieses Prinzip folgendermaßen charakterisiert:

"Schreiben Sie rasch nieder, was Ihnen einfällt, und besinnen Sie sich gar nicht auf ein Thema! Schreiben Sie so schnell, dass Sie sich überhaupt nicht versucht fühlen, vom schon Geschriebenen etwas behalten zu wollen oder es noch einmal durchzulesen! Der erste Satz kommt Ihnen ganz von selbst. Wie es mit dem zweiten geht, lässt sich zwar schon schwerer sagen. Doch machen Sie sich darüber keine Sorgen! Schreiben Sie einfach unentwegt weiter!"

Diese Technik des Surrealismus prägte die klassische Moderne in ganz Europa: Schon in Hans Arps Gedichtband Die Wolkenpumpe von 1920 ist diese am Zufall orientierte 'Écriture automatique' der französischen Surrealisten zu finden, auch in Tristan Tzaras Gedichtzyklus L'homme approximatif von 1931, der 1935 erschienen Gedichtsammlung Ypsikáminos (Hochofen) des Griechen Andréas Empeiríkos, in den Gedichten der Portugiesen Mário Cesariny de Vasconcelos, Vitorino Nemésio, Alexandre O'Neill und João Cabral de Melo Neto, oder der Lyrik des Tschechen Konstantin Biebl. Nach 1945 ist etwa das Frühwerk des flämischen Dichters Hugo Claus zu nennen, beeinflusst sind zudem Autoren wie Richard Anders, Friederike Mayröcker oder Ginka Steinwachs. Ein dänisches Beispiel stellt das 1961 erschienene, interpunktionslose Prosagedicht von Klaus Rifbjerg mit dem Titel Camouflage dar, das nach Aussage des Autoren dem Bewusstseinsstrom der psychoanalytischen Posie nachempfunden sei.