Körper und Erzählen bei Tahar Ben Jelloun und Assia Djebar
Geboren 1980 in Berlin; Studium der Romanistik und Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft in Berlin und Rom, Studienabschluss 2008 mit der Magisterarbeit Auf der Grenze zwischen Körper und Sprache – Narrative Strategien zur Übertragung von Angst in der Erzählung "Die Verwandlung" von Kafka. Studienschwerpunkte waren der Ausdruck von Emotion in literarischen Texten, insbesondere die Bedeutung und Interaktion von Körper und Sprache, außerdem die Mittelmeerregion als einzigartiger Kulturraum und sprachliche und kulturelle Identität. Ab 2009 Doktorandin an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule schloss sie ihre Promotion 2012 mit der Dissertation Körper und Erzählen bei Tahar Ben Jelloun und Assia Djebar ab.
Das Forschungsprojekt „Körper und Erzählen bei Tahar Ben Jelloun und Assia Djebar” untersuchte Körperkonzepte in Werken der frankophonen arabischen Schriftsteller Tahar Ben Jelloun (Marokko) und Assia Djebar (Algerien). In den Texten beider Autoren steht die ausgeprägte Verbindung des Körpers mit Sprache im Mittelpunkt. Diese zeigt sich vor allem in metanarrativen Kommentaren zur Rolle des Körpers im Erzählprozess, in philosophischen Reflexionen über das Verhältnis von Körper und Sprache und in der Inszenierung von Körpersprache als Verhandlungsmedium von gesellschaftlichen Prozessen auf der Handlungsebene.
Unter dem Aspekt der Darstellung von Erzählpraktiken wrude die Verortung des Körpers in der Oraltradition und im performativen Akt des Erzählens in den Blick genommen. Als Ergebnis des Paradigmenwechsels von der mündlichen Erzählweise zum postkolonialen Roman durch die kolonialen Einflüsse reflektieren die Texte ihre eigene Genealogie und dabei auch die spezifische Rolle des Körpers. Im metanarrativen Kommentar wurden mediale Aspekte des Körpers diskutiert und verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt die Beziehung zwischen Körper und zu erzählender Geschichte zu begreifen. Die zugrunde liegenden Konzepte reichen von einem in der sufischen Tradition Nordafrikas verankerten monistischen Verständnis von Geschichten als Essenz im Körper, die nicht nur durch Erzählen, sondern auch über körperliche Sekrete wie Speichel übermittelbar ist, bis hin zu performativen Vorstellungen, welche die Entstehung einer Geschichte im Akt des Erzählens verorten. Auch Konzeptionen von Geschichten als selbstständig existierende Wesen, die den Körper des Erzählers bewohnen, finden sich im Erzählwerk Ben Jellouns und Djebars sowie das Motiv des besessenen Dichters, dessen Körper von einem Dschinn besetzt ist und diesem als Medium für seine Einflüsterungen dient. Beide Autoren entwickeln in ihrem jeweiligen erzähltheoretischen Ansatz spezifische Konzepte einer „Verkörperung“ des Erzählens.
Der Zusammenhang zwischen Körper und Sprache kommt vor allem in der Beschäftigung der Autoren mit metaphorischen und metonymischen Konstruktionen zum Ausdruck. Ben Jellouns und Djebars Reflexionen über die Wechselbeziehung zwischen der dialektalarabischen Muttersprache und der französischen Kolonialsprache sowie somatische Wirkungsweisen der Sprachen beziehungsweise auf die Sprachen implizieren einen philosophischen Sprachbegriff jenseits des Kartesianischen Dualismus. Vielmehr sind die Konzepte vor dem Hintergrund des Monismus der andalusischen Epoche und von Holismus- und Verkörperungstheorien des 20. Jahrhunderts zu begreifen. Die französische Sprache wird in einer dezidiert körperlichen Metaphorik als Aphasie, Nessusgewand, Schleier, besetztes Haus, Verrat oder Geliebte dargestellt. Die körperliche Präsenz des Körpers in Sprache, das heißt also die Verkörperung von Sprache im wörtlichen Verständnis, zeigt sich in metonymischen Strukturen, die Materialisierungs- und Transformationsprozesse von Worten und Geschichten, somatische Zusammenhänge zwischen Eigennamen und Personen oder eine ansteckende, pathologische oder heilende Wirkung von Sprache auf den Körper umfassen.
Als Gegenstand der Handlungsebene wird der Körper als Medium für die Inszenierung und Verhandlung von Gesellschaft eingesetzt. Sozialordnungen, Machtverhältnisse, Hierarchien, Werte und Normen werden in ihrer Verkörperung beschrieben und gezeigt: in Unterwerfungsgesten, sezierenden und fragmentierenden Blicken, Zwangshandlungen und Ticks, oder verräterischen Körperäußerungen. Genauso werden Akte der Transgression als Trancen, Zār-Rituale oder strategische Androgynie skizziert. Die Sprache des Körpers in Habitus, Körpertechniken und Disziplinarpraktiken wird so zur Sprache der Romane von Tahar Ben Jelloun und Assia Djebar.
Embodying Society - Body Techniques in Postcolonial Maghrebian Literature: Assia Djebar's 'Body Poetics'. In: 31. Deutscher Orientalistentag: Spiegelungen, Projektionen, Reflexionen. Marburg 20.-24.09.2010 (noch nicht erschienen).
Vom Körper als Medium zum Medium des Textes - Körpersprache als narrative Strategie in der Literatur maghrebinischer Autoren. In: Jens Elze, Zuzanna Jakubowski, Lore Knapp, Stefanie Orphal, Heidrun Schnitzler (Hg.): Möglichkeiten und Grenzen der Philologie. Philologische Forschung in internationaler Perspektive. GiNDok – Publikationsplattform Germanistik 2011, 89-103.
Möglichkeiten und Grenzen der Philologie. Berlin, 1.-3.07.2010. Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien.
Klinkenberg, Michael F.: Das Orientbild in der französischen Literatur und Malerei vom 17. Jahrhundert bis zum fin de siècle. Rezension. In: OLZ - Orientalistische Literaturzeitung 105 (6) 2010, S. 764–770.
Spuren des Körpers im Text Performative Körperkonzepte der oralen Erzähltradition des Maghreb in Tahar Ben Jellouns L’enfant de sable (1985). In: Alexandra Strohmaier (Hg.): Kultur - Wissen - Narration. Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung für die Kulturwissenschaften. Graz, 23.-26.06.2010. Universität Graz, Zentrum für Kulturwissenschaften. Berlin: transcript (erscheint voraussichtlich 2012).