Das Institut für Romanische Philologie der Freien Universität trauert um Claude Lanzmann
News vom 09.07.2018
Im November 2015 richtete die Freie Universität Berlin anlässlich seines 90. Geburtstages ein Symposium für Claude Lanzmann aus. Der Regisseur und Autor, dessen Dokumentation „Shoah“ zu den herausragenden Filmen über die Vernichtung der europäischen Juden gehört, hatte ab 1949 zwei Semester an der neugegründeten FU verbracht. In der Rektoratsakte im Universitätsarchiv findet sich der Hinweis, wie herausragend Lanzmanns Art zu lehren wahrgenommen wurde. Der damals noch ganz unbekannte Autor, so heißt es dort weiter, sei ein veritabler „Abgesandter des französischen Geistes“. Die Entstehungsgeschichte seines Monumentalwerks „Shoah“ reicht bis in Lanzmanns Berliner Zeit zurück. So berichtet der Regisseur in seiner 2009 erschienen Autobiografie „Der patagonische Hase“, dass er neben Seminaren über französische Literatur auf Wunsch der Studierenden auch ein Seminar über Antisemitismus abhielt, in dem Jean-Paul Sartres „Réflexions sur la question juive“ diskutiert wurden. Durch eine in Berlin entstandene Artikelserie über das geteilte Deutschland wurde schließlich auch Sartre selbst auf Lanzmann aufmerksam. Der kaum 30-Jährige begann, für „Les Temps modernes“ zu arbeiten, für jene Zeitschrift, die Sartre gemeinsam mit Simone de Beauvoir herausgab.
Bereits sein erster Film „Pourquoi Israël“ („Warum Israel“) von 1973 war auch eine Antwort auf Sartres „Réflexions sur la question juive“. Es ging Lanzmann nicht zuletzt darum, den damals noch jungen Staat Israel in seinen Realitäten so vielfältig wie möglich abzubilden – und zu zeigen, warum es diesen Staat geben muss. Damit setzte er der Imagination des Antisemiten, auf deren Analyse sich Sartre in seinen „Réflexions“ noch beschränkt hatte, eine jüdische Realität entgegen.
Lanzmanns zweiter Film, sein Opus Magnum „Shoah“, knüpfte unmittelbar an dieses Unterfangen an. Er löst individuelle Geschichten aus der überwältigenden Wucht der Statistik heraus, ohne die geradezu unvorstellbare quantitative Dimension der Tat aus den Augen zu verlieren. Lanzmann versucht, das individuelle Erleben dieses Ereignisses zu berücksichtigen, verzichtet jedoch darauf, es in ein Narrativ zu pressen. „Shoah“ bedeutete deshalb auch einen Paradigmenwechsel im Nachdenken über den Holocaust.
Am heutigen 5. Juli ist Claude Lanzmann im Alter von 92 Jahren in Paris gestorben. Damit verliert die Freie Universität im Festjahr ihres 70jährigen Bestehens eine der großen Persönlichkeiten aus ihrer Gründungsphase. Die Mitglieder der Freien Universität Berlin, des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften und des Instituts für Romanische Philologie trauern um einen großen Regisseur, Intellektuellen und Humanisten. Sie werden Claude Lanzmann stets ein ehrendes Andenken bewahren.