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Iris Radisch

Iris Radisch: Literaturkritikerin – Ein Interview

Gabriele Beck–Busse: Sehr geehrte Frau Radisch, Sie haben Romanistik studiert und sind jetzt als Kritikerin tätig. Inwiefern zeichnete sich zu Beginn Ihres Studiums Ihr späteres Berufsziel ab?

Iris Radisch: Ich gehörte noch zu der blauäugigen Generation, die erst mal nur studieren wollte, ohne nach dem späteren Verwendungszweck zu fragen. Nur so ist es zu erklären, dass ich sage und schreibe ein Dreivierteljahr an einer Examensarbeit über Mallarmé gearbeitet habe. Kritiken habe ich im Studium noch nicht geschrieben. Ich habe aber als Moderatorin beim Fernsehen gearbeitet. Das war für mich eher der Einstieg in den Journalismus. Mit den Inhalten meines Studiums hatte diese Arbeit aber nichts zu tun. Nichtsdestotrotz wollte ich eigentlich noch im Fach Romanistik promovieren, habe den Plan aber aufgegeben, weil ich mich zu ungeschickt mit den Stipendienanträgen angestellt habe und meine Eltern nicht weiter belasten wollte.

G.B.–B.: Was sagte die fünfzehn– oder sechzehnjährige Iris Radisch, wenn sie gefragt wurde, was sie einmal werden wolle?

I.R.: In diesem Alter wollte ich, glaube ich, noch Theologie studieren und Pfarrer werden, das wechselte dann zur Schauspielerin und landete so mit achtzehn beim Wunsch, Philosophie zu studieren, um Auskunft über die letzten und wichtigsten Dinge zu erhalten. Das habe ich dann auch gemacht.

G.B.–B.: Gab es während Ihres Studiums einschneidende Eindrücke, Seminare, Begegnungen, herausragende Lehrer, die einen bedeutenden Einfluss auf Ihre berufliche Entwicklung hatten?

I.R.: Leider nicht. Ich fühlte mich mit dem Studium sehr allein gelassen. Die Seminare waren heillos überfüllt. Die Professoren kannten uns kaum. Niemand half uns, einen Studienplan aufzustellen, alles war dem Zufall überlassen. Am schönsten war noch das Grundstudium in Tübingen. Später habe ich in Frankfurt studiert bei Dolf Oehler und Prof. Goebel, aber von bleibenden Eindrücken würde ich da nicht sprechen. Mein Germanistikprofessor hat am Ende sogar noch meinen Prüfungstermin zur mündlichen Prüfung vergessen und mich einfach sitzen lassen.

G.B.–B.: Welche Schwerpunkte in Ihrer Ausbildung haben sich im nachhinein als besonders hilfreich für Ihren jetzigen Beruf erwiesen?

I.R.: Zum Teil das Germanistikstudium, weil ich hier natürlich die meisten großen Werke der deutschen Literaturgeschichte zumindest kennengelernt habe. Im Philosophiestudium konnte man in Frankfurt in den achtziger Jahren noch sehr viel mitbekommen von der Kritischen Theorie, das war auch für die Auseinandersetzung mit literarischen Texten sehr fruchtbar. Wenn ich noch einmal studieren könnte, würde ich mich heute aber viel mehr mit Kulturgeschichte beschäftigen, stärker versuchen, Epochen in ihrer Komplexität zu erfassen. Mein Studium war viel zu spezialistisch, es wurden hier und da kleine Inseln erschlossen, der große Ozean, auf dem sie lagen, blieb unerforscht oder wurde als bekannt vorausgesetzt. Sie merken schon, ich bin mit meinem Studium im Rückblick eigentlich sehr unzufrieden, auch wenn es mir im einzelnen oft viel Freude gemacht hat. Dennoch wäre es übertrieben zu behaupten, dass mir mein Romanistikstudium gar nichts für meinen jetzigen Beruf gebracht hat. Ich hatte in den letzten zehn Jahren sehr viele Kontakte zu französischen Autoren, habe Interviews mit Nathalie Sarraute, Paul Virilio und Julien Green geführt, habe auch immer wieder französische Literatur in Übersetzungen rezensiert. Im Augenblick ruhen diese Kontakte ein wenig. Das hängt aber nur damit zusammen, dass mich die aktuelle Gegenwartsliteratur in Frankreich wenig überzeugt.

G.B.–B.: Hatten Sie während Ihres Studiums Kontakt zu Zeitungen, Fernseh– und Radiosendern, und wie kam dieser Kontakt zustande?

I.R.: Ich habe, wie gesagt, eine Jugendsendung beim ZDF moderiert, die hatten in der Frankfurter Rundschau inseriert, ich hatte mich auf die Annonce beworben und wurde genommen. Das war, als ich 21 Jahre alt war. Diese Moderationsarbeit hat es mir später erleichtert, Kontakt zu anderen Sendern aufzunehmen. Nach dem Studium bin ich nach Berlin gegangen und habe dort beim SFB auch wieder Sendungen moderiert. Zum Schreiben kam ich erst später.

G.B.–B.: Worin besteht Ihre Tätigkeit bei "Der Zeit"? Anders gefragt, wie sieht ein Tag der Iris Radisch aus?

I.R.: Zum Glück ist die Redaktionsarbeit überhaupt nicht normiert. Ich redigiere Manuskripte, umbreche Literaturseiten, spreche mit unseren Mitarbeitern, mit Verlagsleuten, plane mit meinen Kollegen die nächsten Ausgaben, außerdem schreibe ich Artikel, Glossen, Buchempfehlungen und so weiter.

G.B.–B.: Welche Fähigkeiten und welche Charaktereigenschaften schätzen Sie als besonders wichtig für eine Kritikerin ein?

I.R.: Selbständigkeit, eigenes Urteil, Originalität, große Bildung, Belesenheit, Sprachgefühl.

G.B.–B.: Welche Eigenschaften wären eher hinderlich?

I.R.: Schwer zu sagen. Aus Erfahrung weiß ich, dass der Sprung vom akademischen Schreiben zur Literaturkritik vielen sehr schwer fällt. Auch ist der Weg vom beschreibenden, analytischen Schreiben zum klaren Urteil für manchen eingefleischten Akademiker sehr steinig.