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Autor und Werk: Wechselwirkungen und Perspektiven zweier (immer noch) umstrittener Begriffe (Workshop mit einem Abendvortrag)

Plakat: Autor und Werk

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Bildquelle: FSGS

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Datum: 06.– 07.07.2017
Ort: FU Berlin, Raum JK 33/121
Planung und Organisation: Svetlana Efimova
Publikation: Sonderausgabe #3 von Textpraxis. Digitales Journal für Philologie (2.2018) (Open Access)

„Autor und Werk“ gehören zu denjenigen Basiskategorien der Literaturwissenschaft, deren Definition oder Ablehnung das Selbstverständnis der gesamten Disziplin betreffen. Bekanntlich besitzen die beiden Begriffe eine lange und kontroverse Geschichte, die durch einen Wechsel zwischen Ablösung und Regeneration vorangetrieben wurde. Trotz des zum Klassiker gewordenen Schlagworts „Rückkehr des Autors“ (1999) und trotz der im 21. Jh. aufgeblühten Autorschaftsforschung besitzt die Autorkategorie noch ein großes Diskussionspotenzial in ihrem Verhältnis zum Werk und Œuvre. Bereits Michel Foucault hat im Aufsatz „Was ist ein Autor?“ (1969) das Begriffspaar „Autor und Werk“ als eine „solide und grundlegende Einheit“ in der Geschichte der Literatur, Philosophie und Wissenschaft bezeichnet. Allerdings fristete der Begriff „Werk“ während der Autorschaftsdebatte um die Jahrtausendwende zum Teil ein Schattendasein und wurde erst 2015 zum Gegenstand des Symposiums „Wiederkehr des Werks? Zur Gegenwart des literaturwissenschaftlichen Werkbegriffs“ in Hannover. Angesichts der heutigen Revision des Werkbegriffs lässt sich nicht nur nach Theorien und Praktiken des Werks, sondern auch nach der Bedingtheit dieses Begriffs durch das Konzept der Autorschaft fragen.

In den Philologien gibt es bisher keinen übergreifenden Konsens über die Theorie und analytische Anwendbarkeit der beiden Kategorien „Autor“ und „Werk“. Der Workshop „Autor und Werk“, der am 06. und 07. Juli 2017 an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule stattfand, brachte VertreterInnen unterschiedlicher Teilphilologien (Germanistik, Slavistik, Anglistik, Romanistik, Komparatistik) in einen produktiven Dialog über Wechselwirkungen und Perspektiven dieser Kategorien. Konzipiert und organisiert wurde die Veranstaltung von Svetlana Efimova (FSGS).

Der Workshop versammelte mehr als 30 TeilnehmerInnen (überwiegend NachwuchswissenschaftlerInnen) aus unterschiedlichen Universitäten: FU und HU Berlin, Paris-Sorbonne, Oxford, Vancouver, Chicago, Tübingen, Bielefeld, Mainz, Jena, Münster, Heidelberg, Darmstadt, Bonn, Halle, Düsseldorf, Göttingen, Passau, Wuppertal, Osnabrück. Allein dieses große Interesse am Thema „Autor und Werk“ zeugt von der literaturwissenschaftlichen Aktualität beider Kategorien.

Als Grundlage der gemeinsamen Diskussion dienten erstens ein umfangreicher Reader, in dem sowohl eine chronologische als auch eine thematische Linie von 1923 bis 2007 gezogen wurde, und Kurzvorträge als Stellungnahmen zu den einzelnen theoretischen Texten. Zweitens wurde die aktuelle Forschung auch durch drei Impulsvorträge und durch einen Abendvortrag vertreten.

Der erste Workshoptag wurde nach einer Einführung durch Svetlana Efimova mit einem Impulsvortrag von Cordula Lemke (FU Berlin) zum Thema “Robert Burns: Autor ohne Werk?” eröffnet. An einem exemplarischen Beispiel wurde gezeigt, wie der schottische Dichter Burns zu einer nationalen Ikone für die schottische Identität wurde. Der „Burns-Mythos“ als „Ort der kulturellen Produktion“ entstand aus Fragmenten seiner Texte und Biographie und ersetzte im kulturellen Gedächtnis sein eigentliches Werk, das als solches ignoriert oder in einen falschen Kontext gestellt wurde. Diese ideenpolitische Dimension der Autorschaft wurde in der anschließenden Diskussion auf die anderen „kleinen Literaturen“ (wie die tschechische Literatur) übertragen.

Eine weitere theoretische Diskussion über die Autorkategorie wurde durch einen Kurzvortrag von Sakine Weikert (FU Berlin) eingeleitet, die den klassischen Aufsatz „Der Tod des Autors“ von Roland Barthes aus der heutigen Perspektive beleuchtet hat. Hervorgehoben wurden die Autorrolle, die Barthes selbst in seinem umfangreichen Werk mitunter übernommen hat, sowie diverse Stellungnahmen zum „Tod des Autors“ in unterschiedlichen Teilphilologien (Germanistik, Anglistik, Arabistik). Anschließend wurde diese theoretische Diskrepanz zwischen Einzelphilologien in ihrer historischen Dimension diskutiert.

Die theoriegeschichtliche Diskussion wurde durch einen Kurzvortrag von Ekaterina Vassilieva (HU Berlin) fortgesetzt, die zeigte, wie der russische Formalist Boris Tomaševskij in seinem Aufsatz „Literatur und Biographie“ (1923) einige Thesen von Michel Foucault vorweggenommen hat. Daran anknüpfend wurde die historische Entwicklung des russischen Formalismus und vor allem der innovative Charakter seiner dritten Phase diskutiert.

Der nächste Kurzvortrag von Michaela Hartl (FU Berlin) rückte die historische Dimension der theoretischen Schriften von Roland Barthes ins Zentrum, indem sie seine späte Vorlesungsreihe „Die Vorbereitung des Romans“ (1978-1980) fokussierte. Diskutiert wurden die in diesen Vorlesungen angekündigte „Rückkehr des Autors“, die Wiederbelebung der Werkkategorie durch die späten Schriften Barthes sowie seine Selbsthistorisierung im literarischen und theoretischen Kontext.

Die Rezeptionsgeschichte des Poststrukturalismus sowie das Verhältnis zwischen „criticism“ und „authorship“ wurde im Anschluss an den Kurzvortrag von Eva Murasov (FU Berlin) diskutiert, die einen Auszug aus dem Buch „The Death and Return of the Author. Criticism and Subjectivity in Barthes, Foucault und Derrida“ (1992) von Seán Burke vorgestellt hat.

Am Ende des ersten Tages folgte der Abendvortrag von Carlos Spoerhase (Bielefeld) mit dem Titel „Überschreibszenen: Autorschaft und Werkkonzept in der Gegenwartslyrik“. Professor Spoerhase ist ein ausgewiesener Experte für die Kategorien „Autor“ und „Werk“. In seiner zum Standardwerk gewordenen Studie „Autorschaft und Interpretation. Methodische Grundlagen einer philologischen Hermeneutik“ (2007) argumentierte Herr Spoerhase, dass die „Rückkehr des Autors“ sich als „die Rückkehr eines für die philologischen Disziplinen notwendigen methodischen Konstrukts“ erweist. Im selben Jahr unternahm er in seinem Aufsatz „Was ist ein Werk? Über philologische Werkfunktionen“ (2007) eine bahnbrechende Begriffsexplikation. 2015 organisierte Carlos Spoerhase dann zusammen mit Lutz Danneberg und Annette Gilbert das Symposium „Wiederkehr des Werks?“ in Hannover. In seinem Abendvortrag fokussierte Professor Spoerhase ein exemplarisches Beispiel für die ästhetische Artikulation fundamentaler theoretischer Probleme, nämlich das Buch „Sonne from Ort“ (2012) von Christian Hawkey und Uljana Wolf. Dieses Buch, das unter den Begriff „erasure poetry“ fällt, entstand durch gemeinsame Ausstreichungen in einer zweisprachigen Insel-Ausgabe: Rilkes Übertragung (1907) der englischsprachigen „Sonnets from the Portuguese“ von Elizabeth und Robert Browning. Professor Spoerhase rollte eine spannende Aneignungskette der additiven / multiplen Autorschaft auf: eine angebliche portugiesische Quelle, die englische Vorlage, Rilkes Zusammenarbeit mit der später vergessenen Alice Faehndrich und schließlich die Tipp-Ex-Ausstreichungen des literarischen Paares Wolf und Hawkey. Neben dieser „Vervielfältigung der Autorschaft“ stand die materielle „Refabrikation“ / „Überschreibszene“ als Zeichen einer „postdigitalen Literatur“ in ihrer materiell-auratischen Dimension im Zentrum des Vortrags. Diese Übertragung eines älteren Textes in unsere mediale Umgebung wurde im Spannungsfeld zwischen den Polen „Englisch-Deutsch, weiblich-männlich, Fremdes-Eigenes, konkret-abstrakt, Löschen-Schreiben“ verortet und in seinen linguistischen, medialen, kulturellen, buchmateriellen und ethischen Dimensionen erschlossen.

Der zweite Workshoptag wurde überwiegend der Werkkategorie gewidmet. Eröffnet wurde er durch einen Vortrag von Thomas Kater (Münster), der einen Werkstattbericht über sein Dissertationsprojekt „Werkförmigkeit. Eine Modelltheorie des literarischen Werks“ vorstellte. In diesem Projekt wird ein Konzept der Werkförmigkeit als eine dynamische Makro-Form anvisiert, durch die ein Text den Werkstatus erhält. Thomas Kater greift den Begriff „work-focus“ von David Davies („Art as Performance“, 2004) auf und fragt, durch welche Akteure und Handlungen sowie mit welchen textuellen Formen dieser „work-focus“ gesteuert wird.

Eine Historisierung der Werkdebatte ermöglichten zwei Kurzvorträge von Florian Gassner (Vancouver/Kassel), der die Aufsätze „Vom Werk zum Text“ (1971) von Roland Barthes und „Autorschaft und Intertextualität“ (1999) von Matíaz Martínez gegenüberstellte und problematisierte. Neben den Problemen der Werkidentität und des Plagiats wurde am Beispiel der ready-mades eine allgemeine Frage nach dem Kunstcharakter der Artefakte aufgeworfen. Daran anknüpfend wurde der Doppelstatus eines Textes mit seinen gegenständlichen, symbolischen und historischen Dimensionen diskutiert. Außerdem wurden in der Diskussion die Entkontextualisierung des Aufsatzes von Barthes in der Literaturwissenschaft sowie die problematische Theoriebildung durch Dichotomien angesprochen.

Den roten Faden der nächsten Sitzung bildete die Frage nach der Prozessualität des Werks sowie nach einem kunstübergreifenden Werkbegriff. Der Impulsvortrag von Irina Wutsdorff (Tübingen) „Zum dynamischen Werkbegriff im Prager Strukturalismus (Jan Mukařovský, Milan Jankovič)“ zeigte das große theoretische Potenzial des in der westeuropäischen Theoriebildung kaum berücksichtigten Prager Strukturalismus. Besprochen wurden das Konzept der semantischen Geste bei Jan Mukařovský sowie die im westlichen Kontext noch weitgehend unbekannte Studie „Das Werk als Sinngeschehen“ (1968, veröffentlicht 1992) von Milan Jankovič, der zur zweiten Generation des Prager Strukturalismus gehört. Als dynamisches Werkkonzept wurde die in jedem Rezeptionsprozess eingeschriebene grundlegende Antinomie des Werks als Zeichen und Ding in ihrem dynamischen Wechselverhältnis vorgestellt. Im zweiten Teil des Vortrags wurden Parallelstellen in der dynamischen Werkästhetik von Mukařovský und Jankovič und in der Theorie der Performativität, Präsenz und Posthermeneutik von Dieter Mersch aufgezeigt. In der Diskussion wurde besprochen, welches Potenzial die Rezeption des Prager Strukturalismus für die aktuelle Theoriebildung haben könnte.

Anschließend wurde im Kurzvortrag von Tomas Sommadossi (FU Berlin) der Aufsatz „Ereignis und Aura. Radikale Transformation der Kunst vom Werkhaften zum Performativen“ von Dieter Mersch thematisiert. Besprochen wurde unter anderem das Verhältnis der Performativitätstheorie zu Walter Benjamins Konzept der technischen Reproduzierbarkeit und zur Performance-Kunst.

Ein anderes prozessuales Werkkonzept wurde im Kurzvortrag von Jørgen Sneis (Mainz) anhand des Aufsatzes „Das Werk als Prozess“ (1983) des Kunsthistorikers Gottfried Boehm vorgestellt. Diskutiert wurde anschließend die Übertragung dieses Konzepts von der bildenden Kunst auf Texte sowie die Sedlmayr-Kritik von Boehm.

In der letzten Sitzung hat Jørgen Sneis (Mainz) das Konzept einer dynamischen Austauschbeziehung zwischen Subjekt und Medium in der Kunst der Moderne von Christoph Menke und Michael Lüthy vorgestellt. In der Diskussion wurden einige medientheoretische Anknüpfungspunkte angeschnitten. Schließlich wurde der Aufsatz von Carlos Spoerhase „Was ist ein Werk? Über philologische Werkfunktionen“ (2007) besprochen, der die Verbindung von Autor und Werk hervorhebt. Einen Kommentar zu diesem Aufsatz hat Svetlana Efimova (FU Berlin) präsentiert, wobei die analytische Produktivität der im Aufsatz unterbelichteten Kategorie „Gesamtwerk“ argumentiert wurde. Anschließend wurden die Begriffe „Werkstrategie“, „Werkschließung“ und „Werkeffekte“ sowie die Rolle des Nachlasses und der Werkausgaben in Bezug auf den Werkstatus diskutiert.

Das Format des Workshops „Autor und Werk“ (der Wechsel zwischen Diskussion der Impulsvorträge, Kurzvorträge und theoretischer Texte) hat sich als besonders produktiv erwiesen. Durch aktive Beteiligung aller Teilnehmenden an der Diskussion konnten unterschiedliche thematische Expertisen zur Analyse der jeweiligen Texte und der theoriegeschichtlichen Zusammenhänge eingesetzt werden. Der Workshop hat das große Diskussionspotenzial der Kategorien „Autor und Werk“ und diverse Anknüpfungspunkte in vielen aktuell laufenden Forschungsprojekten veranschaulicht. Als Ergebnis des Workshops ist eine Sonderausgabe der Zeitschrift „Textpraxis“ zum Thema „Autor und Werk“ in Planung.

Bericht: Svetlana Efimova

 

 

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