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Abstracts der Vorträge im IZ Colloquium SoSe 2013

*Der, die, das IKEA*: Wie kommen Eigennamen zu ihrem Genus? (09.07.2013)

Damaris Nübling (Johannes-Gutenberg-Universität Mainz)

Der Vortrag geht von der Beobachtung aus, dass manche Eigennamen (wie z.B. des Unternehmens IKEA) genusunfest sind - eine seltene Situation im Deutschen, das Genuslosigkeit bei Nomen normalerweise nicht toleriert. Ähnliches gilt für bestimmte Namenklassen, die Mitglieder verschiedener Genera enthalten können, z.B. Flüsse: *der Rhein*, aber *die Weser* (Neutra gibt es bei Flüssen nicht). Wieder andere Namenklassen sind absolut genusfest und weisen jedem Neuzugang sofort dieses eine Genus zu, z.B. Städtenamen: *das schöne Freiburg, Amsterdam, Zürich *.  Der Vortrag geht der Frage nach, wie und wann welche Eigennamen zu welchem Genus gelangen und welche Zuweisungsprinzipien sich diachron durchsetzen. Auch ist Genuswechsel historisch zu beobachten. So waren Städtenamen noch im Frühneuhochdeutschen Feminina (*die schöne Zürich *). Es soll gezeiegt werden, dass und wie Eigennamen ihr appellativisch vererbtes Genus abstreifen und sich ein referentielles, klassifikatorisches Genus zulegen, was einen klaren Fall von Degrammatikalisierung darstellt.


Sprache und Gehirn: Funktionelle Neuroanatomie sprachlicher Strukturen (02.07.2013)

 Horst M. Müller (Universität Bielefeld)

Nach umfangreichen und langwierigen Lernvorgängen ist das menschliche Gehirn unter bestimmten sozialen Einflüssen in der Lage, das angeborene Repertoire kommunikativer Verhaltensleistungen um das Phänomen der sprachlichen Kommunikation zu erweitern. Notwendig hierzu ist ein komplexes Zusammenspiel kognitiver Teilleistungen, das empfindlich auf innere und äußere Störungen reagiert. Die Sprachfähigkeit kann daher genetisch, psychosozial und neurogen auf jeder Stufe ihrer Ausbildung durch Störungen beeinträchtigt sein. Bis vor kurzem wurde Sprache als eine Leistung der sogenannten Sprachregionen der linken Hemisphäre gesehen. Neuere Ergebnisse zeigen in immer stärkerem Maße, dass die Sprachfähigkeit nicht nur auf sprachspezifischen, sondern auch auf allgemein kognitiven Teilleistungen beruht, die von verteilten Hirnregionen in beiden Hemisphären geleistet werden. Diese Einsichten der kognitiven Neurowissenschaft beruhen auf Ergebnissen der invasiven Elektrostimulation während neurochirurgischer Eingriffe bei wachen Patienten, sowie auf Experimenten mit sprachgesunden Personen anhand elektrophysiologischer (EEG) und bildgebender Verfahren (fMRT). In dem Vortrag werden Methoden und Ergebnisse zur kortikalen Repräsentation der Sprache exemplarisch vorgestellt, um die gegenwärtige Sichtweise auf die neurokognitiven Grundlagen der Sprache aufzuzeigen und die Einbindung von Sprache in allgemeine kognitive Prozesse deutlich zu machen. Beispiele für solche Prozesse sind die Objekterkennung, der Werkzeuggebrauch, die Bewegungsmotorik (embodied cognition), die Musikalität und die Fähigkeit zur Empathie. Weiterhin soll verdeutlicht werden, in welcher Weise sich die gegenwärtigen Annahmen zur Repräsentation von Sprache im Gehirn entwickelt haben – und in welche Richtungen sie sich zukünftig weiter entwickeln könnten.


Indefinite Artikel im europäischen Vergleich (11.06.2013)

Lutz Gunkel (Institut für Deutsche Sprache, Mannheim)

Vergleicht man definite und indefinite Artikel in Hinblick darauf, in welchen grammatischen Kontexten sie obligatorisch, in welchen sie optional und in welchen sie ausgeschlossen sind, so zeigt sich sprachübergreifend eine auffallende Asymmetrie: Definite Artikel können oder müssen auftreten, sofern (i) die relevanten semantisch-pragmatischen Bedingungen erfüllt sind und (ii) kein anderer Definitheitsmarker vorhanden ist, wobei die zweite Beschränkung nur für einen Teil der Artikelsprachen uneingeschränkt gilt. Im Gegensatz dazu sind die Beschränkungen für indefinite Artikel vielfältiger und führen mit Blick auf die Markierung von Indefinitheit zu mehr oder weniger systematischen Lücken oder dem Einsatz von suppletiven oder anderen Formen. In vielen – aber keineswegs allen – Sprachen mit indefinitem Artikel betrifft dies vor allem die Kombination mit singularischen Stoffsubstantiven und pluralischen Zählsubstantiven (vgl. DEU (*ein) Mehl, (*eine) Kugeln). Weitere Fälle sind Prädikativkonstruktionen, Negationskontexte, nicht-spezifische sowie generische Verwendungen. In dem Vortrag wird der Frage nachgegangen, ob und inwiefern sich auf der Grundlage solcher Vorkommensbeschränkungen eine feinkörnigere Klassifikation von Grammatikalisierungsstadien des indefiniten Artikels etablieren lässt, als sie in der Literatur vorgeschlagen wurde (vgl. z.B. Heine 1997). Sprachen, die zu diesem Zweck betrachtet werden sind Deutsch, Englisch, Französisch, Ungarisch und Griechisch.

Literatur:

Heine, Bernd (1997): Cognitive Foundations of Grammar. New York / Oxford: Oxford University Press. Kap. 4.


WORDS: asymmetries in representation, processing and change (28.05.2013)

Aditi Lahiri (Oxford Centre for Linguistics and Philology)

Language systems abound in asymmetries - in inventories, representations and rules. These asymmetries affect language processing and language change. For instance, it is most unusual to have equal numbers of consonant and vowel phonemes in any given language; languages with retroflex nasals also include dental/alveolar nasals. Velar obstruents become coronals in the context of high front vowels, but never the other way around;  nuclear phrasal stress in a neutral sentence is always assigned on the last phonological phrase, never the first one. The question we raise in this talk is how these asymmetries constrain phonological and morphological representations of WORDS in the mental lexicon, and how these constraints affect language processing and change. I will address asymmetries in various phonological domains: featural contrasts, morphophonological opacity and sentence phonology, providing theoretical and experimental evidence from behavioural as well as brain imaging studies in German, English and Bengali, covering both language comprehension as well language production planning.


Can neuroscience help linguistics? Studying morphosyntactic processing in and by the brain. (21.05.2013)

Yury Shtyrov (MRC Cognition and Brain Sciences Unit, Cambridge)

Are complex words real mental objects or are they best described as combinations of morphemes held together by rules similar to the rules of syntax? For example, are compound words, comprised of e.g. two nouns, processed as separate words linked by morphosyntactic rules similar to separate words in phrases, or do they form higher-order lexical elements stored separately in the mental lexicon? Such questions, which can be asked about the various types of complex word formation (inflectional, derivational), remain debated in (psycho-)linguistics. As we would like to propose, they could in principle be addressed using experimental inventory available in neurophysiology. Using magneto- and electro-encephalography (MEG, EEG), we have established a distinct double dissociation in neurophysiological patterns of brain responses to spoken words, which can reflect lexical (“representational”) vs. syntactic (“combinatorial”) processes in the brain. These are manifest as: (1) a larger passive mismatch negativity (MMN) brain response for meaningful words relative to matched meaningless pseudowords and for higher- vs. lower-frequency lexical items, reflecting stronger memory representations ("lexical MMN"), 2) a smaller MMN for congruous word combinations (reflecting priming via syntactic or semantic links), relative to incongruous combinations ("syntactic/combinatorial MMN"). This, in turn, allows for clear predictions for neurobiological experiments which could test the nature of morphosyntactic processing by presenting the subjects (in passive auditory MMN design) with congruous and incongruous word/morpheme combinations, and comparing the relative size and dynamics of the MMN response elicited in the brain by the items under investigation. In this presentation, we will discuss some recent studies that have used this neurophysiological approach to deal with such issues as neural processing of compound words, regular and irregular past tense, particle verbs as well as differences between inflectional and derivational morphology. Their results generally support a flexible dual-route account of complex-word processing, with a range of strategies involved depending on exact psycholinguistic stimulus properties.


Grammatik als System? Zur Grammatikalisierung des Perfekts in den iberoromanischen Sprachen (14.05.2013).


Daniel Jacob (Universität Freiburg)

 

Der sogenannte usage based approach, nach dem Grammatik als Epiphänomen aus dem diskursiven Geschehen emergiert, steht naturgemäß einer funktionalistischen Grammatikauffassung näher als den mentalistisch-nativistischen Vorstellungen der Generativen Grammatik von der 'Autonomie' der Syntax.  Zudem minimiert der gebrauchsbasierte Ansatz den kombinatorischen Aspekt von Syntax zugunsten des konstruktionellen Aspekts, wonach grammatisches Wissen vornehmlich in figurhaften, eingeübten  Mustern (constructions) besteht, die beim Sprechen reproduziert werden. Damit bricht der usage based approach radikal mit den strukturalistischen Vorstellungen von der Grammatik als einem 'système où tout se tient', wohingegen die Generative Grammatik sich sowohl in puncto Autonomie als auch in puncto Kombinatorik als Erbin des Strukturalismus erweist.

Der Beitrag exploriert nun die Frage, inwieweit gerade unter Annahme, dass Grammatik ein epiphänomenales Emergenz-Phänomen ist, nicht doch Autonomie und Systemcharakter entstehen können; er geht sogar so weit, dies als die eigentlichen Eigenschaften von Grammatik zu postulieren. In dieser Sichtweise erweist sich die Emergenz von Grammatik als eine Instanz ganz allgemeiner Prozesse der Systementstehung, wie sie in der Soziologie beschrieben werden.

Dieses Oszillieren von Grammatik zwischen gebrauchsbasiert-konstruktionellem Charakter und inselhaft emergierenden, lokal begrenzten 'Systemen' soll anhand verschiedener Beispiele aus der Diachronie der romanischen Sprachen demonstriert werden, insbesondere anhand der Unterschiede zwischen dem Spanischen und dem Portugiesischen bei der Herausbildung eines periphrastischen Perfekts.


Distributional semantics and meaning (24.03.2013)

Aurélie Herbelot (Universität Potsdam)

 

Often presented as a complement to set-theoretic semantics, distributional semantics aims to model lexical meaning as a function of the contexts in which a given word appears. Word distributions are usually obtained from very large corpora and represented as vectors in a multi-dimensional 'semantic space'. Owing to their mathematical interpretation, they allow linguists to simulate human similarity judgements, as well as reproduce some of the features given by test subjects when asked to write down the characteristics of a given concept. In a distributional semantic space, for instance, the word 'cat' may be close to 'dog' or to 'tiger', and its vector might have high values along the dimensions 'meow', 'mouse' and 'pet'. Distributional semantics has had great successes in recent years, and for many computational linguists, it is an essential tool for modelling phenomena affected by lexical meaning. In spite of this, fundamental questions remain: what aspect of semantics is actually represented by distributions? How do they relate to standard linguistic and philosophical theories of meaning? I will show that these questions are not just meta-enquiries but that they affect our capacity to model vital properties of language. Focusing on the issue of extension, I will argue that distributional representations in their current form do not provide a sensible interpretation of quantification or again (semantic) information content. To remedy this issue, I will propose the notion of a theoretical 'ideal' distribution which can be seen as a generalisation over actual text-based distributions and encyclopedic knowledge, and present the results of relevant preliminary experiments.


Wortakzent im Spanischen, Optimalitätstheorie und anderes (09.04.2013)

Judith Meinschaefer (FU Berlin)


Die Herausforderung, vor die sich eine Analyse des spanischen Wortakzentes gestellt sieht, liegt darin, dass eine Gruppe von spanischen Wörtern trochäischen Rhythmus hat, während eine zweite, fast ebenso große Gruppe jambischen Rhythmus zu haben scheint. Eine Analyse, die für das Spanische zwei verschiedenen Akzentregeln, oder anders gesagt, zwei verschiedene "Grammatiken" annimmt, ist aber aus verschiedenen Gründen nicht wünschenswert. Die Lösung, die hier vorgeschlagen wird, basiert auf der Annahme, dass bei der Herstellung rhythmischer Muster nicht nur -- wie schon oft vorgeschlagen -- "sichtbare" Silben ignoriert werden können, sondern dass auch "unsichtbare" Silben hinzugefügt werden können. Die vorgeschlagene Analyse verwendet den Formalismus der Optimalitätstheorie. Für die Analyse erweisen sich drei Beschränkungen als wesentlich: Align und ihr Gegenteil *Align sowie eine Beschränkung gegen Einfügung (Dep). Zugleich wird gezeigt, wie die zahlreichen Ausnahmen von den so formulierten Regularitäten mittels lexikalisch-indizierter Beschränkungen analysiert werden können, die eine (auch) historisch gewachsene Schichtung des spanischen Wortschatzes beschreiben.