Biologische Konzepte erzählen
Ort: FU Berlin, Raum JK 33/121
Planung und Oragnisation: Irmela Krüger-Fürhoff in Zusammenarbeit mit Georg Toepfer
Der Workshop Biologische Konzepte erzählen widmete sich dem Umgang mit biologischen Konzepten in der deutsch- und englischsprachigen (Gegenwarts-)Literatur und der Frage nach möglicherweise für diese Inhalte spezifischen Darstellungsformen.
Die Diskussion um das sogenannte ‚Anthropozän‘ scheint aktuell allgegenwärtiger Bestandteil literatur-, kultur- sowie populärwissenschaftlicher Diskurse zu sein. Doch auch Themen wie „Entwicklung“ und „Evolution“ im Sinne Darwins, „Symbiose“, „Schwarmintelligenz“/„Superorganismus“, „Biodiversität“/„biologische Vielfalt“ sowie „Klimawandel“ und „Aussterben“/„Artensterben“ haben auch außerhalb des biologischen Wissenschaftsdiskurses ihren Platz gefunden.
In ihren einleitenden Überlegungen stellte Irmela Marei Krüger-Fürhoff drei Fragen nach Erzählstrategien für biologische Konzepte in der Gegenwartsliteratur:
- Wie lassen sich ‚ziellose Transformationen‘ im Sinne der Evolution erzählen?
- Wie lässt sich die Pluralisierung der Perspektiven erzählen, die mit biologischer Vielfalt einhergeht?
- Wie lässt sich ‚Natur‘ jenseits von traditionellen Mustern und Anthropomorphismen erzählen?
Im Folgenden zogen sich diese Fragen durch die Diskussionen, die jeweils im Anschluss an zwei Vorträge stattfanden, und es wurden diverse, auch interdisziplinäre Perspektiven zum Umgang mit der literarischen bzw. kulturellen Transformation biologischer Konzepte aufgezeigt.
Zunächst sprach Benjamin Bühler (Konstanz) über Formen des Recyclings in Literatur und Kunst und Prozesse der Wiederverwertung, die zum Inhalt von Texten werden, aber auch Spiegel der Materialität von Literatur und Kunst sind. Bühler stellte unter anderem die Frage nach der ethischen Verantwortung von Literatur in der Denkbarmachung von grenzüberschreitenden Recyclingprozessen. Nicht zuletzt ist auch der kreative Prozess nicht von Wiederholung und Neuanordnung bereits existierender Textpartikel loszulösen.
Im zweiten Block verfolgte Eva Horn (Wien) Vorformen des ‚Anthropozäns‘ ins 18. Jahrhundert und die Schriften von Buffon, Montesquieu und Herder zurück und fragte nach der Anwendbarkeit und Bedeutung des Begriffs in den Kulturwissenschaften. Als Schlüsselbegriff identifizierte sie das Klima, welches auch im folgenden Beitrag von Axel Goodbody (Bath) im Zentrum stand. In seiner Beschäftigung mit englisch– und deutschsprachigen Klimawandelromanen stellte er fest, dass es zwar eine beachtliche Anzahl derartiger Romane besonders aus den letzten Dekaden gibt, diese jedoch in ihren Schreibmodi auf apokalyptische und dystopische, elegische und poetische oder satirische Formen der Erzählung zurückgreifen. Das Problem der ‚Nichtdarstellbarkeit‘ des vielschichtigen und sich über einen langen Zeitraum erstreckenden Klimawandels führt nur in seltenen Fällen zu innovativen Erzählstrategien.
Nach der Mittagspause erfolgte ein Vortrag von Thomas Potthast (Tübingen) zum Thema „Artbildung und Aussterben lokal/global“ und zum Transfer von Wissenselementen in die Literatur sowie poetologischer Elemente in die Biologie. Während das Aussterben von Arten zumeist durch die Verknüpfung der bedrohten Spezies mit einer Autor– oder Wissenschaftlerbiographie erzählt wird und als individuelle Biographie des ‚Letzten einer Art‘ vorkommt, lässt sich Artbildung oft weniger konkret darstellen. Sie wird häufig „after the fact“ erzählt. Potthast stellte die These auf, dass Artbildung und Aussterben noch immer im Modus des 19. Jahrhunderts erzählt werden. Einen Bogen vom 19. ins 20. Jahrhundert spannte Daniela Hahn in ihrer Untersuchung des Waldes als Motiv der Verhandlung der Grenzen zwischen Natur und Gesellschaft. Sie setzte sich aus theaterwissenschaftlicher Perspektive mit Ibsens Wildente und Thomas Bernhards Holzfällen auseinander und zeigte auf, dass in den Theaterwissenschaften eine weitergehende Beschäftigung mit dem Wald als Lebens– und Aktionsraum erfolgen muss als dies bislang geschehen ist.
Anschließend präsentierte Eva Johach (Konstanz) vorläufige Ergebnisse ihrer Auseinandersetzung mit Lynn Margulis‘ symbiogenetischen Narrativen zum Ursprung des Menschen aus dem Bakterium, deren Veröffentlichung einen Bruch im existierenden Neodarwinistischen Diskurs darstellte. Mit der Emphase auf dem Begriffspaar von Kooperation und Kampf haben Margulis‘ Ausführungen große Bedeutung für die Narration der Evolution, und im Ursprungsnarrativ von Gaia gewinnt eine weltanschauliche Dimension von Biologie an Bedeutung. Den Abschluss des Workshops bildeten Georg Toepfers (Berlin) Überlegungen zum Thema „Von der Vielfalt zur Einheit im Erzählen von Biodiversität“ und der Frage danach, wie sich ein Zustand der Differenz, wie im Falle der Biodiversität, darstellen lässt. Neben Listen und Streumusterbildern, welche eine Objekt– an Stelle einer Kausalinszenierung praktizieren, finden sich Erzählungen von biologischer Vielfalt, in denen ein Einheitsrahmen (Reise, Raum, Gefährdung) hergestellt wird; diese treten beispielsweise in populärwissenschaftlichen Texten auf.
Es zeigte sich während des Workshops, dass eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Schreiben biologischer Konzepte sehr fruchtbar ist und neue Wege und Herangehensweisen aufzeigen kann. Die Interkonnektivität von Biologie und Literatur findet sich auf vielen Ebenen und es ist die Schnittstelle von naturwissenschaftlichen und literaturwissenschaftlichen Diskursen, der in der aktuellen Forschung hinsichtlich spezifischer Darstellungsformen mehr Beachtung geschenkt werden sollte.
Bericht: Lena Waschkawitz
Programm
9.30 – 11.00 Uhr
Einführende Überlegungen (Irmela Marei Krüger-Fürhoff, Berlin)
Anthropozän – eine „große Erzählung“ (Eva Horn, Wien)
11.30 – 13.00 Uhr
Zur narrativen Darstellbarkeit des Klimawandels im angloamerikanischen und deutschen Vergleich (Axel Goodbody, Bath)
Artbildung und Aussterben lokal/global (Thomas Potthast, Tübingen)
14.00 – 15.30 Uhr
Recycling in Literatur und Kunst (Benjamin Bühler, Konstanz)
Wald als Motiv der Verhandlung der Grenzen zwischen Natur und Gesellschaft (Daniela Hahn, Berlin)
16.00 – 17.30 Uhr
Der Ursprung des Menschen aus dem Bakterium. Lynn Margulis‘ symbiogenetische Narrative (Eva Johach, Konstanz)
Von der Vielfalt zur Einheit im Erzählen von Biodiversität (Georg Toepfer, Berlin)
anschließend
Gespräch über gemeinsame Perspektiven und offene Forschungsfragen