Polymodalität II
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2. Gleich darauf wird aus dieser perspektivischen ‚Spielerei‘ eine
dramatische Aufgabe für die Geschichte. Besonders eindrucksvoll sind dabei
die schnellen Schnitte, mit denen das Geschehen aufeinander folgt: Der ‚digitale
POV‘ von Rick auf Jane füllt das Filmbild für einen Moment aus,
darauf folgt ein harter Schnitt und ein Reißschwenk. Immer noch durch
den digitalen POV sehen wir nun aus der Perspektive Ricks seinen Vater herein
kommen. Dieser schlägt ihn jetzt, diese Aktion wird aber aus der nullfokalisierten
Übersicht erzählt. Dann wechselt die Kamera in der Übersicht
den Raum hin zu Jane, die immer noch am Fenster steht und wieder zurück
ins Zimmer von Rick, der von seinem Vater gefragt wird, wie er an den abgeschlossenen
Schrank mit dem Nazi-Teller gekommen ist. Und nun erfolgt jene oben beschriebene
Polymodalität, die gleichzeitig aus dem digitalen POV von Rick und aus
dem POV von Jane besteht: Diese sieht nun, über den Fernseher in Ricks
Zimmer, Ricks digitalen POV und zwar wie dessen Vater bedrohlich über ihm
steht. Abschließend kommt es zu einem aus der Übersicht erzählten
Blickwechsel zwischen der erschreckten Jane und Colonel Fitts, der nun ans Fenster
tritt.
Diese Szene erfüllt durch ihre komplexe Form der polymodalen Fokalisierungen
einen hohen dramaturgischen Wert in Bezug auf die Identifikation des Zuschauers
mit den Figuren: Erstens sieht der Zuschauer aus Ricks Perspektive den wütenden,
brutalen Colonel Fitts und identifiziert sich mit Rick. Zweitens sieht er Jane
dabei zu, wie diese Ricks Perspektive über den Fernseher wahrnimmt und
fühlt so mit Jane, die sich ihrerseits mit Rick identifiziert. Die Identifikation
mit den Figuren fällt unter den Bereich der Empathie-Forschung, die einen
eigenen Bereich innerhalb der Filmnarratologie hat.
3. Die gleiche Polymodalität bzw. doppelte Fokalisierung erfolgt in der
Szene, die schon als Vorspann fungiert hat. Rick erzählt Jane – in
gleicher doppelter Fokalisierung – wie er in die Psychiatrie gekommen
ist. Dann erfolgt die Wiederholung der Szene aus dem Vorspann. Diesmal ist diese
allerdings in den Zusammenhang eines Gesprächs gebettet und teilweise auch
aus der nullfokalisierten Übersicht auf Rick und Jane erzählt. Die
Frage von Rick: „Soll ich ihn für dich umbringen?“ ist diesmal
nicht aus dem Off gestellt (vgl. Beispiel Nummer 1 der Kameraanalyse), sondern
mit Blick auf Rick aus der Übersicht. Jane versichert am Ende, dass sie
ihre Antwort „Ja. Würdest du?“ nicht ernst gemeint hat. Die
bedrohliche Situation wird durch die Unterbrechung der POVs etwas entschärft
und die Distanz zu den Figuren vergrößert sich durch die aus der
Übersicht erzählten Passagen.