| (A) Ich möchte Ihnen vorschlagen, einmal aus dem Fenster
zu sehen, sagte der am Anfang des Stichworts auftretende Nagelschmitz,
es ist etwas Rötliches in der Luft. | (B) Ich erinnere mich
gut daran, heute, Samstag, September. | (A) Etwas Rötliches,
sagte Nagelschmitz. | (C) Die Vorhänge begannen zu wehen,
| (D) Nagelschmitz trat auf | (E) und sagte, | (F) wobei er
das Fenster schloß: | (E) Sehen Sie, etwas Rötliches. Hier
am Fenster werden Sie eine vorzügliche Aussicht haben. Was
zu sehen ist, ist zwar nicht schön, aber nach ein paar Tagen
wird Sie das nicht mehr stören, und was Sie hören, wird Sie
auch nicht mehr stören. – Das waren die Worte von Nagelschmitz.
| (D) Er trat auf und | (G) verschwand.
Repetitives Erzählen: Die Begegnung des Erzählers mit Nagelschmitz wird in seiner Erinnerung verschieden reproduziert und abgebildet (Segment (A) sowie (C) bis (G)). Beschrieben wird jedoch jeweils das gleiche Ereignis – die Worte Nagelschmitz’ über das „Rötliche“ und deren Umstände –, wenn auch variiert und um Informationen erweitert.
Die Sequenz ist von der Basiserzählung (B) unterbrochen.
| (H) Ich beschäftigte
mich zu dieser Zeit hauptsächlich mit der Betrachtung der
Fürchterlichkeiten, | (I) die sich vor sämtlichen Fenstern
zutrugen, der Entsetzlichkeiten und Schrecklichkeiten, | (J)
ich machte dabei wiederholt Gebrauch von einem Fernglas, das
sich in meinem Reisegepäck befand. Meine Betrachtungen waren
ganz unvermeidlich, etwas zwang mich dazu, die Welt vor den
Fenstern zu betrachten, vor sämtlichen Fenstern an denen ich
stand, ich konnte mich diesem Zwang nicht entziehen,
Die Segmente (H) bis (J) sind Einheiten einer iterativen
Reihe. Die Ereignisse bleiben in der Erzählung derart allgemein
bzw. punktuell geschildert – „ich machte wiederholt Gebrauch
von einem Fernglas“ –, dass ein Pseudo-Iterativ nicht vorliegt.
Die diachronischen Grenzen der Iteration sind unbestimmt;
es weist keine Datumsangabe und kein Ereignis im Kontinuum
der Handlung auf den exakten Beginn des „Beobachtens“ hin.
Desgleichen ist die Wiederholung dieser Tätigkeit nicht
näher spezifiziert.
Festzustellen ist jedoch, dass die iterative Reihe externer
bzw. generalisierender Natur ist: Über die geschilderte
Szene scheint ihr Zeitrahmen weit hinauszureichen („Ich
beschäftigte mich zu dieser Zeit […]“).
Im Unklaren bleibt, ob das Segment (K) die iterative Reihe
abschließt oder etwa eine singuläre Einheit ist, die zeitlich
an (G) anschließt. Die Beschreibung der Ereignisse dieses
Segments ist auffällig detailliert, so dass es sich um eine
1:1-Abbildung von Ereignissen handeln könnte, jedoch auch
um einen Pseudo-Iterativ.
| (K)
ich betrachtete alles mit größter Gelassenheit. | (a) Ich
sah eine große Menge gleichbleibender Einzelheiten. | (b)
Ich unterschied deutlich Berge und Täler, die Umrisse von
Ortschaften, von Flüssen durchflossen, natürlich auch eine
Reihe bisher kaum beachteter Punkte. Die kleinen und großen
Ereignisse lagen bewegungslos vor den von Vogelkot und schwarzem
Regen bespritzten Fensterscheiben. | (L) Was sehen Sie? fragte
der hereintretende Nagelschmitz. | (M) Nicht viel, sagte ich,
vielleicht ein paar kleine Veränderungen, aber nichts Besonderes,
nichts Auffälliges. | (N) Dann aber sah ich doch etwas, etwas
wie mir schien Unerhörtes. | (O) Allerdings geschah das Unerhörte
in so großer Entfernung, | (P) daß niemand von uns, weder
Wobser, | (Q) der gerade hereinkam, | (P) noch Nagelschmitz,
der neben mir stand, zu behaupten wagte, er habe von diesem
Vorgang auch nur ein kleines Stück erkennen können. | (R)
Etwas scheint in der Luft zu hängen, sagte Jorgenzeitz, |
(S) der gerade hereingekommen war. | (T) Als Masal hereinkam
| (U) begann plötzlich das Laub von den Bäumen zu fallen.
| (V) Ich sah die auf der Wasserfläche schwimmenden Blätter
von der Größe eines Speisezimmertisches. An den aufgestülpten
blassroten Rändern sah ich die an der Unterseite wachsenden
Stacheln. Ich sah die salatschüsselgroßen Blüten auf dieser
speisezimmertischgroßen Pflanze, | (W) die sich zwischen fünf
und sechs Uhr abends zu öffnen begannen, um uns, die Beobachter,
zu überraschen. | (X) Ich sah ein zigarrenartiges Dahinfliegen
vor dem Fenster, | ich sah die vom Wind vorbeigetriebenen
Bäume und Büsche, und | (Y) die anderen Beobachter sahen das
auch, Lemm, Wobser, Collunder, Nagelschmitz, Jorgenzeitz.
| (Z) Etwas Langes schwebte ganz weich vorbei, ein zigarrenartiger
Körper, der in der Luft auseinanderbrach und danach zu Boden
fiel, in den Schnee, | (AA) der sich weich über diesen ganz
allgemeinen Zustand gelegt hatte. | (BB) Ich sah die mit Staub
bedeckten Fliegen auf den Fensterscheiben, die mit einem zarten
weißen Schimmel überzogenen Fliegen.
Die Erzählung bildet die Ereignisse 1:1 ab. Die Handlungseinheiten
(L) bis (BB) sind also singulär erzählt.
| (CC) Nagelschmitz sagte
etwas. | (DD) Auch Wobser, Collunder, Lemm, Ramm, Moll, Mauch,
Schwenk, Masal, Netzenstein, Jorgenzeitz, Schnemo und Scheizhofer
sagten etwas. | (EE) Danach schwiegen sie alle, und | (FF)
ich sagte auch nichts mehr. Siehe: Stille.
Ror Wolf: Raoul Tranchirers Bemerkungen über die Stille. Frankfurt am Main
2005, S. 13–15.
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