Springe direkt zu Inhalt

Artefakte der Avantgarden 1885­–2015

In diesem Projekt sollen erstmals Kunstgebilde aus Papier, die ebenso zur Literaturgeschichte der Moderne gehören wie Texte und Bilder, bis hin zu ihren neuesten digitalen Transformationen in der Gegenwartsliteratur im historischen und systematischen Zusammenhang gesichtet und analysiert werden. Dazu zählen komplexe Artefakte wie Bücher, Collagen, Photomontagen und Plakatgedichte, aber auch beschriftete und bemalte Karten, Umschläge, Alben und Fächer sowie digital-analoge Medienhybride, die in Hinsicht auf ihre Materialien, Praktiken und Verfahren beschreibbar und einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden sollen.

Die drei Teilprojekte nehmen dabei die Geschichte der europäischen Avantgarden von ihren Rändern her in den Blick. Ausgehend von frühen Arbeiten Mallarmés, die auch in der Selbstreflexion des Autors und seiner Zusammenarbeit mit Bildenden Künstlern wie Degas, Manet oder Whistler als ‚Avantgarde der Avantgarden‘ verstanden werden können, lassen sich Praktiken und Papier-Objekte eines bereits anachronistischen Zeitalters der Manuskripte erhellen, die in je spezifischer Weise auf die Möglichkeiten der Herstellung von Druckwerken bezogen sind. Die Experimente der gegenwärtigen Schrift-Bild-Kunst und medienavantgardistischen Literatur, in deren Zuge neuartige Text-Gebilde, bewegte Schrift-Bild-Ensembles, digital-analoge Medienhybride und programmatisch schlecht gemachte Bücher entstehen, lassen sich als Wiederaufnahme und Neuinterpretation von Ansätzen und Konzepten dieser frühen ‚Avantgarde der Avantgarde‘ begreifen. Das hybride Publikationsmodell aus Pdf (Portable document format) und PoD (Print on demand) oder auch Romanexperimente in Buchform, bei denen sich der Text von Exemplar zu Exemplar unterscheidet, können als zeitgemäßes Werk- und Artefaktkonzept für ein postdigitales Zeitalter gesehen werden, das sowohl der nostalgischen Fetischisierung von Buchobjekten und Selbst- oder Handgemachtem als auch dem Konzept eines fixen, statischen Textes entgegengesetzt wird.

Avantgardistische Schreibweisen und Praktiken der Herstellung und Rezeption spezieller Artefakte werden in diesem Projekt entsprechend von solchen (Kunst-)Objekten her als jeweils neue Verhandlung der ästhetischen, poetologischen, historischen und politischen Dimensionen des Literarischen rekonstruiert. Dabei ermöglicht die gegenwärtige Wiederkehr und Konjunktur avantgardistischer Schreibweisen mit den Mitteln des digitalen Zeitalters eine neue Reflexion auf die je eigene historische Signatur innovativer Schreibweisen. Damit will das Projekt, das sich an der Schnittstelle literatur- und buchwissenschaftlicher, objektbezogener und materialtheoretischer sowie praxeologischer Überlegungen situiert, zugleich einen substantiellen Beitrag zur Erschließung und Diskussion teils unveröffentlichter, weitgehend unbeachteter oder bisher unbekannter historischer und gegenwärtiger Arbeiten der ‚Avantgarden der Avantgarden‘ in deutscher, französischer, und englischer Sprache leisten.

Das Projekt gliedert sich in drei Teilprojekte, die (1) Mallarmés Papierarbeiten, auch in Übersetzungen und Transformationen, (2) hybride Publikationsstrategien aus Pdf und Print-on-Demand sowie (3) zwischen Materialität und Digitalität oszillierende Artefakte mit algorithmischer Architektur untersuchen.

Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (2019-2022)