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parlando

Das Parlando ist ein der Litanei vergleichbares rhythmisches Muster, das in Gottfried Benns späten Gedichtbänden 'Fragmente' (1951), 'Destillationen' (1953) und 'Aprèslude' (1955) entwickelt wurde und sich mit 'wie gesprochen' übersetzen ließe. Kennzeichnend für dieses Muster, das Gedichte wie Teils Teils kennzeichnet, ist bei Benn der plaudernde Tonfall und die Montage disparater Teile im Sinne einer Parallelisierung von hoher Sprechlage und Jargon. Benn selbst hat diesen Stil der sogenannten "Phase II" seiner Lyrik bzw. der "Phase II des expressionistischen Stils" zugeordnet: Wie der "an sein "Ende" gekommene "bisherige Mensch", so müsse auch die Lyrik "neu zusammengesetzt werden, aus Gedanklichem, aus Redensarten, Sprichwörtern, sinnlosen Bezügen, aus Spitzfindigkeiten", so die Definition aus dem Aufsatz "Doppelleben".

In der Forschung wurde dieser Stil dadurch definiert, dass in ihm "konkrete Bewußtseinszustände, raumzeitlich lokalisierbares, situativ bestimmtes Erleben" ins Werk gesetzt sei (Willems 1981, 90). Aus prosodischer Sicht ist zudem zu betonen, dass das Parlando - wie der 'Variable Versfuß' - eine isokolische Struktur besitzt, aber im Unterschied zu diesem nicht der Regel der 'breath controlled line' folgt. Benn selbst verwies zudem darauf, dass seine Parlandogedichte voller "Slang-Ausdrücke, Argots, Rotwelsch" seien (SW VI, 30).

Dieser neue, von Benn in den 1950er Jahren eingebrachte plaudernde Tonfall war in Deutschland - anders als in den USA - bis dahin nicht bekannt. Gleichwohl dürfte Detlev von Liliencron (1844–1909) mit seiner sprachlich-situativen Erneuerung der romantischen Erlebnisdichtung durch die Verwendung von Umgangssprache und Zeitungsnotizen, sowie betont banale oder makabre Sujets und Situationen einflussreich gewesen sein: Die für Benns Parlando charakteristische Kombination von freien Rhythmen, Alltagston und Fachjargon bleibt implizit auch dem Liliencronschen Vorbild verpflichtet. Wichtiger aber war wohl die Bekanntschaft Benns mit dem Freiburger Schriftsteller, Übersetzer, Literaturkritiker und Verleger Rainer Maria Gerhardt, der Benn zum einen mit den Autoren der Black Mountain Group um Charles Olson bekannt machte, zum anderen aber wohl auch Benns Wissen um die freien Verslyrik der amerikanischen Moderne - Walt Whitman, Ezra Pound, William Carlos Williams - auffrischte und somit für die Genese der Parlandolyrik nicht unwichtig war.

Einflussreich war dieser von Benn entwickelte Stil insbesondere für Autoren der Bundesrepublik wie Hans Magnus Enzensberger, Peter Rühmkorf und Michael Krüger. In der Gegenwart haben vor allem die Berliner AutorInnen Simone Kornappel, Adrijana Bohocki, Steffen Popp und Hendrik Jackson an diese Form erinnert und als "ein dem Sprechgesang ähnliches, schnelles Singen unter genauer Beachtung des Rhythmus" umschrieben. Der vor diesem Hintergrund entstandene "Parlandopark" ist "Tarnname für Revue & Revolte, Ort für lyrische Eskapaden und kritische Anwürfe" sowie Forum für "Begriffe, Texte, Sounds– Fluchtpunkte inmitten der Verödung des Prenzlauer Bergs, der grassierenden Vermarktungen, Verquarkungen und Zurichtungen."

Literatur:

Lange-Kirchheim, Astrid: Gottfried Benns späte Lyrik im Kontext anglo-amerikanischer Literatur, in: Hofmannsthal, Jahrbuch zur europäischen Moderne, Bd. 15, Romberg, Freiburg, 2007, S. 357–386;

Petersdorff, Dirk von: Benn in der Bundesrepublik, in: Reents, Friederike (Hg.): Gottfried Benns Modernität, Göttingen 2007, S. 24–37.

Willems, Gottfried: Großstadt- und Bewußtseinspoesie. Über Realismus in der modernen Lyrik, insbesondere im lyrischen Spätwerk Gottfried Benns und in der deutschen Lyrik seit 1965, Tübingen 1981.

Willems, Gottfried: Benns Projekt der "Phase II" und die Problematik einer Postmoderne, in: Glaser, Horst A. (Hg.): G. B. 1886–1956. Frankfurt am Main 21991, S. 9–28.

https://parlandopark.wordpress.com