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Stakkato

Der Stakkato-Rhythmus ist eine abrupte, abgelöste und abgehackte Intonation im Stile von Walter Mehring, John Berryman, Thomas Kling, Ginka Steinwachs, Michael Lentz oder Léonce Lupette. Ein frühes Beispiel dieses Stils ist etwa das dadaistische Ketzerbrevier Walter Mehrings von 1921, dessen Collage von Wort- und Sprachmaterialien aus politischen Parolen, Zeitungsschlagzeilen, Zitatfetzen und Lautpartikel einen zu diesem Zeitpunkt neuartigen lyrischen Ton anschlug: "Das Volk steht auf! Die Fahnen raus! / – bis früh um fünfe, kleine Maus! / Im UFA-Film: / ›Hoch, Kaiser Wil'm!‹ / Die Reaktion flaggt schon am DOM / Mit Hakenkreuz und Blaukreuzgas." Eine Radikalisierung dieses Stils lässt sich dann jedoch schon in dem "Partikelgestöber" aus Paul Celans spätem Gedicht Engführung beobachten: "taggrau,/der/Grundwasserspuren -/Verbracht/ins Gelände/mit/der untrüglichen/Spur:/Gras./Gras,/auseinandergeschrieben." Dieser "Stakkato-Text", so die Formulierung Bucks, "hämmert die Erinnerung an das ,Gelände mit der untrüglichen Spur' endgültig ins Gedächtnis des Lesers." (Buck 1993, S. 154). Ein ähnliches Beispiel für diese radikale Art der Rhythmisierung stellt dann auch der 1996 erschienene Gedichtband "morsch" von Thomas Kling dar, insbesondere der Zyklus "Manhattan Mundraum": "die stadt ist der mund / raum. die zunge, textus; / stadtzunge der granit: / geschmolzener und / wieder aufgeschmo- / lzner text."

Typisch für den Stakkato-Stil ist die Abfolge oft einsilbiger Wortpartikel als Ausdruck einer gedrängten und emotional intensiven Sprechweise, geprägt von syntaktischen und lexikalischen Brüchen, Neologismen, Assonanzen und enjambementartig zerrissenen Komposita, oftmals gar im Übergang der Zeilenwechsel, wie etwa bei Gerhard Falkner. Es gibt aber auch Lyriker, die syntaktisch korrekte Texte in eine Stakkato-artige Lesung überführen, so etwa Ginka Steinwachs.

Auch die Gedichte der Australierin Amanda Stewart präsentieren politische, ideologische und sexualpolitische Themen in einer stakkatoartigen Mischung aus Deklamation, Schrei, Stottern und Gesang, wie das Gedicht It becomes July 1981 zeigt. Ein US-amerikanisches Beispiel für diesen Stil stellt etwa die Lyrik John Berrymans dar, so beispielsweise die „Nervous-Songs“ aus dem Gedichtband "The Disposed“. Deren Besonderheit sah Stephen Matterson „in the uncertain syntax, in the staccato-like phrases, and in the heavy use of caesura, all appropriate for speakers in crisis, for whom language is at its limits.” (Matterson 2017, S. 28). Von hier aus ließe sich möglicherweise auch die Lyrik des Berryman-Übersetzers Leonce W. Lupette erklären, dessen Jena-Zyklus eines der aktuellsten Beispiele dieser rhythmischen Form darstellt.

Literatur:

Buck, Theo: Celan-Studien. 1. Muttersprache, Mördersprache, Aachen 1993.

Matterson, Stephen: Whims & emergencies, discoveries, losses': The Poetry of John Berryman, in: Eleanor Spencer (Hg.): American Poetry since 1945, London and New York 2017, S. 25 – 39.