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Abstracts

Jörg Bücker (Universität Münster)

Köpfigkeit und sprachlicher Wandel im System der deutschen Zirkumpositionen

Zur Klasse der deutschen Adpositionen werden gewöhnlich neben den Prä- und den Postpositionen auch die sog. Zirkumpositionen wie zum Beispiel „um deiner Gesundheit willen“ und „von der Brücke aus“ gezählt, bei denen ein kasusregiertes Komplement von einer Klammerstruktur umschlossen wird. In meinem Vortrag möchte ich zunächst das System der gegenwartsdeutschen Zirkumpositionen sowie die Hauptentwicklungslinien seiner sprachgeschichtlichen Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung des Kopf-Begriffs (vgl. u.a. Zwicky 1985, 1993, Hudson 1987, Croft 1996) herausarbeiten. Ziel ist es dabei zu zeigen, dass sich synchron und diachron im Hinblick auf die jeweiligen Kopfeigenschaften zwei Subsysteme von Zirkumpositionen unterscheiden lassen:

 (i)    Das erste Subsystem, dem u.a. die Zirkumposition „um – willen“ angehört, verfügt über einen symmetrisch klammernden diskontinuierlichen Kopf, dessen beide Teile das kasusregierte Komplement syntaktisch gleichrangig umschließen. Diese Konstellation ist diachron instabil sowie für syntaktische Um- und Abbauprozesse anfällig, deren Resultate kategorial sowohl in adpositionale (Prä-, Postposition) als auch in nicht-adpositionale Klassen (u.a. Adverb, Subjunktion, Konjunktion) entfallen können.

 (ii)   Das zweite Subsystem, dem u.a. die Zirkumposition „von – aus“ angehört, ist demgegenüber durch die asymmetrisch klammernde Kombination zweier vollwertiger Köpfe gekennzeichnet, von denen der linke niedrigerrangige Kopf das Komplement regiert, während der rechte höherrangige Kopf den niedrigerrangigen Kopf dominiert. Diese Konstellation ist diachron vergleichsweise stabil und für syntaktische für syntaktische Um- und Abbauprozesse wenig anfällig.

Mit Bezug auf diese beiden Subsysteme möchte ich im zweiten Teil meines Vortrags eingehender der Frage nachgehen, welche grammatiktheoretischen Probleme und Herausforderungen sich aus den Besonderheiten der deutschen Zirkumpositionen für synchrone und diachrone Zugänge zum Bereich der Adpositionen ergeben und welche Lösungsmöglichkeiten es gibt.

Literatur:

Croft, William (1996): What’s a head? In: Johan Rooryck/Laurie Zaring (Hrsg.): Phrase structure and the lexicon. Dordrecht: Kluwer, 35-75.

Hudson, Richard A. (1987): Zwicky on heads. In: Journal of Linguistics 23, 109-132.

Zwicky, Arnold M. (1985): Heads. In: Journal of Linguistics 21, 1-29.

Zwicky, Arnold M. (1993): Heads, bases and functors. In: Greville Corbett/Norman Fraser/Scott McGlashan (Hrsg.): Heads in grammatical theory. Cambridge: Cambridge University Press, 292-315.

    

 

Ulrike Demske (Universität Potsdam)

Zur Grammatik von Auxiliarellipsen im Frühneuhochdeutschen

Antezedensbasierte Ellipsen sind im Frühneuhochdeutschen weit verbreitet. Neben Ellipsen-typen wie Subjektlücken und Gapping, die aus dem Gegenwartsdeutschen wohl bekannt sind, zeichnet sich die frühneuhochdeutsche Sprachperiode durch einen Typ von Ellipse aus, der heute kaum mehr verwendet wird, die Auxiliarellipse.

 (1)    Diesen Monat seynd auß Holland vnd Seeland/ vber 80. Schiff/ so nach Spania
          gewöhlt _ / abgeseglet/                                                             (1597: AC 22)

 Diese Form der Ellipse wird im Verlauf des 15. Jahrhunderts allmählich häufiger, für die Mitte des 17. Jahrhunderts wird ihre stärkste Verbreitung registriert (Admoni 1967, 1980; Breitbarth 2005). Die Auslassung von Auxiliaren gehört nicht zu den Koordinationsellipsen, das Auftreten dieser Ellipse ist auf syntaktisch abhängige Sätze beschränkt. In der Literatur finden sich zahlreiche Deutungen dieses Phänomens: vom Synkretismus finiter und infiniter Verbformen über die Vermeidung identischer Auxiliarverben an Satzgrenzen bis zu lateinischem Einfluss. Durchgesetzt hat sich mittlerweile die Auffassung, dass Auxiliarellipsen neben der Satzeinleitung und der Stellung des finiten Verbs zur Markierung abhängiger Sätze verwendet werden (Admoni 1980, Demske 1996, Breitbarth 2005, u.a.). Denn weitaus weniger als im Gegenwartsdeutschen liefern Einleitewörter und Verbstellung eindeutige Abhängigkeitssignale (Senyuk 2014). Für die syntaktische Analyse stellen Auxiliarellipsen eine Herausforderung dar, weil die Finitheitsmerkmale des abhängigen Satzes keinen Exponenten haben und anders als im Gapping beispielsweise die Identität des getilgten Verbs mit einem anderen Verb im Satz nicht notwendigerweise gegeben ist, wie (1) und (2) illustrieren.

 (2)    Nachdem ich nun von des Lands gewaechsen geschrieben _ / will ich jetzund auch
         anzeigen/ was für handel in demselbigen Land getriben wirdt.     (1624: Brun 15)

Literatur:

Admoni, Wladimir G. 1967. Der Umfang und die Gestaltungsmittel des Satzes in der deutschen Literatursprache bis zum Ende des 18. Jhs. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (Halle) 89, 144–199.

Admoni, Wladimir G. 1980. Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache im Bereich des neuhochdeutschen Satzgefüges (1470-1730). Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Sprache. Berlin: Akademie-Verlag. Bausteine zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 56/4.

Breitbarth, Anne 2005. Live fast, die young - the short life of Early Modern German auxiliary ellipsis. Utrecht: LOT.

Demske, Ulrike 1990. Charakteristische Strukturen von Satzgefügen in den Zeitungen des 17. Jahrhunderts. In: Anne Betten (Hg.): Neuere Forschungen zur historischen Syntax des Deutschen. Tübingen: Niemeyer, 239-252.

Senyuk, Ulyana. 2014. Zum Status relativähnlicher Sätze im Frühneuhochdeutschen: Ein Beitrag zum Wesen der Subordination im älteren Deutsch. Doktorarbeit, Universität Potsdam.

 

 

Maike Edelhoff (Universität Luxemburg)

Kein Köpfchen – oder doch? Zum Status der luxemburgischen Diminutiv-Suffixe

Auf den ersten Blick erinnert die luxemburgische Diminutivbildung stark an die der Diminutive im Standarddeutschen: gebraucht wird das Suffix ‑chen, die Suffixe lösen Vokalalternanzen aus und funktional liegen objektive Verkleinerungen und/oder subjektive Evaluationen (wie Vertrautheit, Amelioration oder Pejoration) vor (1).

(1)

nhd. Kopf   -->   DIM.SG. Köpfchen ‚kleiner (niedlicher, Baby-) Kopf‘

lux. Kapp    -->   DIM.SG. Käppchen ‚kleiner (niedlicher, Baby-) Kopf‘

Bei genauerem Hinsehen werden allerdings deutliche Unterschiede offenbar – und die Frage nach dem Kopf-Status der Diminutivsuffixe muss untersucht werden. Anders als im Standarddeutschen bewahren die lux. Diminutive das Genus ihres Basissubstantivs (2) und werden augenscheinlich doppelt pluralisiert: einmal zwischen Derivationssuffix und Basis und am Suffix (3).

(2)

nhd. der Kopf (m)  -->    das Köpfchen (n)

lux. de Kapp (m)    -->    de Käppchen (m)

(3)

nhd. DIM.SG. Köpfchen -->   DIM.PL. Köpfchen

lux. DIM.SG. Käppchen  -->   DIM. PL. Käppercher

Die lux. Diminutiv-Suffixe vermögen also weder Genus zuzuweisen, noch findet die Flexion, wie bei Derivation üblich, an dem am weitesten rechts stehenden Element (oder Kopf?) statt. Im Vortrag werden die Anforderungen an morphologische Köpfe am Beispiel der luxemburgischen Diminutive thematisiert und kritisch hinterfragt. Ziel ist, neben einer Theorie-basierten Diskussion, mögliche Gründe für die Schwächung der Suffix-Funktionen aufzudecken.

 

  

Hubert Haider (Universität Salzburg)

Weder Argument noch Komplement – Kopfloser Nexus bei Adjunkten

Adjunkte, d.h. Adverbiale im Fall von Verbalphrasen und Attribute im Fall von Nominalphrasen, sind asymmetrisch verteilt, sowohl innerhalb einer Sprache als auch im Sprachvergleich. Ferner gibt es deutliche Unterschiede im syntaktischen Verhalten von Adjunkten zu kopf-initialen im Unterschied zu kopf-finalen Phrasen. Diese Eigenschaften sind Folgeeffekte der kopflosen Integration von Adjunkten. Eine syntaktische Analyse von Adjunkten als Spezifikatoren von funktionalen Kopf-Komplement Strukturen würde Eigenschaften bedingen, die nicht mit den empirischen Gegebenheiten übereinstimmen.

 

 

Kerstin Hoge (University of Oxford)

On Yiddish Indefinite Free Relatives

Free relatives, which lack a nominal antecedent for the gapped constituent in the relative clause, may be considered to pose a challenge to endocentricity, a hypothesis ‘widely presumed throughout the history of generative linguistics’ (Narita & Fukui 2016: 10). For example, in Yiddish and English alike, the post-verbal material in both the headed relative in (1a) and the free relative in (1b) has the distribution of a D(eterminer)P(hrase), but only the complex DP in (1a) has an overt nominal head (food) that can project its categorial property onto an extended phrasal projection.

(1)        a.        Dos kind est   [di maykholim vos du gist im].    (Headed Relative)

                        The child eats [the food        that you give him].

            b.         Dos kind est   [vos   du   gist im]                        (Free Relative)

                        The child eats [what you give him].                      

The majority approach in the literature is to analyse free relatives as DPs, akin to headed relatives. There are two versions of this approach: (i) under the Head Account (Bresnan & Grimshaw 1978), the DP is headed by the wh-word: [DP [D whati] [CP you give him ti]]; (ii) under the Comp Account (Groos & van Riemsdijk 1981), D is filled by an empty pronominal element, with the wh-word occupying the Specifier of the C(omplementiser)P (or raising further to SpecDP, cf. Caponigro 2002): [DP [D ∅] [CP whati you give him ti]]. In both analyses, free relatives conform to the endocentricity requirement.

Understanding free relatives to be DPs provides an explanation for their definiteness property (Cooper 1983) and strong islandhood. That is, free relatives like (1b) must be interpreted as denoting the unique or maximal entity that satisfies the property stated in the relative clause (‘the specific thing/everything that you give him’) and, like all complex noun phrases, preclude wh-extraction (‘*Who do I eat what you give to?).

However, some languages, which include – uniquely among Germanic – Yiddish, also possess free relatives that are neither definite nor islands for extraction. Often labelled existential wh-constructions (cf. Caponigro 2003; Grosu 2004; Šimík 2011), such indefinite free relatives (IFRs) ‘express modality of circumstantial possibility’ (Šimík 2011: 55), are typically non-finite, and differ from definite free relatives in a number of properties. More specifically, IFRs are
(a) limited to the complement position of verbs of existence or availability; (b) not subject to any matching requirement (whereby the wh-element must simultaneously fulfil the selectional requirements of the matrix and embedded verb); (c) unable to be coordinated with other noun phrases; and (d) transparent for extraction. The data in (2) illustrate these properties for Yiddish.

 (2)        a.         S’iz do bay vemen tsu fregn.                  cf. S’iz do  (*bay) a shul.                     (a)/(b)

                        there-is at whom to   ask                         there=is (*at) a temple

                        ‘There’s somebody to ask.’

            b.         Ikh hob nit vu      tsu shlofn (*un keyn shtub).                                    (c)

                        I     have not where to sleep (*and no house)

                        ‘I don’t have anywhere to sleep.’

            c.         Vos hot er gehat bay vemen tsu fregn?                                                (d)

                        what has he had   at   whom to ask

                        ‘What did he ask somebody?’

On the basis of the observed cross-linguistic asymmetries between typically non-finite IFRs and definite free relatives, Šimík (2011) argues for IFRs to be verbal/clausal rather than nominal projections, deriving their nominal interpretation from the structure in which IFRs are embedded; that is, from the possibility of identifying the variable bound by the wh-operator as having the same reference as the ‘participant argument’ of the existence predicate that selects the IFR. The present paper takes a fresh look at his proposal that IFRs cannot be reduced to any other relative construction type. It is informed by data from Yiddish, a language that has received only peripheral attention in the discussion of IFRs, but which possesses IFRs of seemingly different sizes, ranging from infinitival constructions that are transparent for clitic climbing to tensed clauses with independent subjects, as illustrated in (3).

 (3)        a.         S’iz nito      zikhi vos  tsu zorgn ti.

                        there-is-not refli what to   worry ti

                        ‘There isn’t anything to worry about.’

            b.         S’iz      nisht geven ver es zol      ir  kheyn bavundern.

                        there-is not   been   who it should her charm admire

                        ‘There wasn’t anybody to admire her charm.’

                        (Alter Kacyzne, Der shidekh in partshev [Matchmaking in Parczew], 1928)

            c.         Ikh hob nit bay vemen ikh ken fregn.

                        I     have not at   whom I     can ask

                        ‘I don’t have anybody I can ask.’

            d.         S’iz dermutndik tsu visn   az   s’iz do ver   es leyent un   shatst op.

                        it-is encouraging to know that there-is who it reads and values

                        ‘It’s encouraging to know that there’s somebody who reads and values [this].’

                        (https://groups.google.com/forum/#!topic/tate-mames/rYY52DJmNHQ)

References:

Bresnan, Joan & Jane Grimshaw. 1978. The syntax of free relatives in English. Linguistic Inquiry 9, 331-391.

Caponigro, Ivano. 2002. Free relatives as DPs with a silent D and a CP complement. WECOL 12 (Proceedings of the Western Conference on Linguistics 2000), 140-150.

Caponigro, Ivano. 2003. Free not to ask: On the semantics of free relatives and wh-words cross-linguistically. Ph.D. dissertation, University of California, Los Angeles.

Cooper, Robin. 1983. Quantification and syntactic theory. Dordrecht: Reidel.

Groos, Anneke & Henk C. van Riemsdijk. 1981. Matching effects in free relatives: A parameter of core grammar. In Adriana Belletti, Luciana Brandi & Luigi Rizzi (eds.), Theory of markedness in generative grammar: Proceedings of the 1979 GLOW conference, 171-216. Pisa: Scuola Normale Superiore.

Grosu. Alexander. 2004. The syntax-semantics of modal existential wh constructions. In Olga Mišeska Tomić (ed.), Balkan syntax and semantics, 405-438. Amsterdam & Philadelphia, PA: John Benjamins.

Narita, Hiroki & Naoki Fukui. 2016. Feature-equilibria in syntax. In Koji Fujita & Cedric Boeckx (eds.), Advances in Biolinguistics: The human language faculty and its biological basis, 9-28. London: Routledge.

Šimík, Radek. 2011. Modal existential wh-constructions. Ph.D. dissertation, University of Groningen.

 

 

Manuela Korth (Universität Stuttgart)

Köpfe ohne Kategorie

Traditionell ist der Kopf einer morphologischen oder syntaktischen Struktureinheit diejenige Subkonstituente, welche das Kategorienmerkmal an den übergeordneten Knoten vererbt (vgl. u.a. Selkirk 1982). Diese Sichtweise auf den Kopf führt jedoch zu Schwierigkeiten, die sich insbesondere, aber nicht ausschließlich in der Morphologie zeigen. Wir wollen uns dem Kopfbegriff deshalb aus einer anderen Perspektive nähern.

Sowohl bei der syntaktischen als auch bei der morphologischen Analyse sind zwei Arten von Strukturen zu unterscheiden. Auf der einen Seite haben wir Struktureinheiten, deren unmittelbare Subkonstituenten wie in (1) von jeweils gleicher Projektionsstufe sind. Auf der anderen Seite stehen ihnen Struktureinheiten gegenüber, deren Subkonstituenten wie in (2) unterschiedliche Projektionsstufen aufweisen.

Wir wollen unsere Präsentation auf Strukturen mit Subkonstituenten unterschiedlicher Projektionsstufe konzentrieren und für diese den Kopf gemäß (3) ansetzen.

 (3)          In einer komplexen Konstituente, deren unmittelbare Subkonstituenten unterschiedliche Projektionsstufen haben, ist diejenige unmittelbare Subkonstituente der Kopf, welche die niedrigere Projektionsstufe aufweist.

Die Annahme, die hier vertreten werden soll, fasst in Anlehnung an Lieber (1981) Affixe als Köpfe auf, wobei diese nicht notwendigerweise eine Kategorie vererben müssen. Sofern ein Kopf über ein Kategorienmerkmal verfügt, muss dieses an den Mutterknoten weitervererbt werden. Daneben besteht jedoch die Möglichkeit, dass ein Kopf für ein solches Merkmal unterspezifiziert ist, so dass die Kategorie der Schwesterkonstituente projiziert. Für die Merkmalsweitergabe kann die Bedingung in (4) herangezogen werden.

 (4)          Der Kopf einer komplexen Konstituente vererbt seine Merkmale an den unmittelbar übergeordneten Knoten. Merkmale, für die der Kopf unterspezifiziert ist, werden vom Nichtkopf übernommen.

Durch die Selektionsrestriktionen der einzelnen Affixe wird sichergestellt, dass diese sich mit einer passenden Basis verbinden. So kann dem verbalen Flexionsaffix st der Merkmalskomplex in (5) gegeben werden, welcher neben den spezifizierten Merkmalen für Person und Numerus ein bereits für Tempus und Modus ausgewiesenes Verb verlangt.

 (5)          ‐st [PERS: 2, NUM: sg | MSEL: V, αTEMP, βMOD]

Eine solche Analyse hebt die Parallelität zwischen syntaktischen und morphologischen Struktureinheiten hervor. Es wird immer das Element als Kopf klassifiziert, welches für die jeweilige Strukturebene minimal ist und nach einer Ergänzung verlangt. Damit können Grammatikalisierungsprozesse einfacher erfasst werden, bei denen Funktionswörter wie z.B. Hilfsverben, welche syntaktisch im Allgemeinen als Köpfe gelten, in Flexionsaffixe übergehen, denen der Kopfstatus morphologisch meist abgesprochen wird. Unter der vorliegenden Analyse kann der Prozess als eine allmähliche Dekategorialisierung bis hin zur Kategoriedurchlässigkeit analysiert werden, wobei andere Kopfeigenschaften wie die Projektion weiterer Merkmale oder das Vorhandensein von Selektionsrestriktionen erhalten bleiben.

Eine Parallelität zwischen syntaktischen Köpfen und Affixen zeigt sich auch an der Schnittstelle zur Phonologie. Native Affixe zeichnen sich dabei im Allgemeinen durch prosodische Subordination aus, wie sie auch für Köpfe in syntaktischen Strukturen mit unterschiedlicher Projektionsstufe üblich ist (vgl. (6)). Dabei wird der Kopf mit seiner Schwesterkonstituente in einer prosodischen Phrasierungseinheit zusammengefasst. Eine Ausnahme bildet hier un‐, das als Negationselement einen Kontrast ausdrückt, der ebenso wie Kontraste auf syntaktischen Köpfen die Information aus der strukturellen Anbindung überschreibt.

Literatur:

Lieber, Rochelle (1981). The organization of the lexicon. Bloomington: IULC.

Selkirk, Elisabeth (1982). The syntax of words. Cambridge: MIT Press.

   

 

Yury Lander (National Research University Higher School of Economics, Moscow)

The two sources of head effects

Since Zwicky (1985), it is widely accepted that different properties of heads may be distributed among various elements of a constituent (see especially the discussion in Corbett et al. 1993). We argue that this is because there are two different sources of head effects, which may result in assigning head properties to different kinds elements, which we call C-heads and R-heads. Notably, we consider not only the standard properties of heads as discussed in the literature but also the possible independence of their position from other elements of the constituent.

C-heads owe their existence to the tendency of the elements that are placed higher within the compositional semantic structure to be less embedded syntactically. At the phrase level, this is most obvious for determiners which relate the content of the phrase with the external material, have a scope over this material and hence widely display head properties. However, similar effects have been reported for non-subsective expressions with the meaning ‘former’, which necessarily have scope over nouns (Lander 2009). At the clause level, the C-head effects are displayed by the complementizer (if any) or by the verb. Moreover, the very markers of the semantic features of the constituent such as the number marker at the nominal phrase level or the illocutionary force marker at the clause level often show head properties when they are represented by syntactically autonomous words, since they also have scope over what they characterize.

R-heads originate from the general tendency of the elements that are more relevant informationally to be placed higher in the syntactic structure. At the phrase level, this may be manifested by nouns, which bear highly relevant information, and less expectedly, for example, by prominent internal possessors which sometimes may even control the agreement instead of the possessum (cf., e.g., Dixon 2000 for Jarawara). At the clause level, the R-heading effects may be found for focus (e.g., in some languages of the Northeast Caucasus it is a focused constituents that hosts the marker of agreement with the subject; cf. Harris 2002 a.o.).

C-heads and R-heads are in principle independent of each other, but there are ways to solve the conflict between their head properties. In particular, a C-head and a R-head may merge into a single word (especially where the C-head is highly grammaticalized). At a higher level, a sentence can be restructured by means of a pseudocleft structure, so that its formal predicate will coincide with the focus (e.g., in West Circassian and in Tagalog; cf. Nagaya 2007 for the latter).

Though the aim of the paper is more theoretical than descriptive, the points are to be illustrated in the paper by several specific cases, mainly from some languages of the Northwest Caucasian and Northeast Caucasian families.

While we do not attempt to formalize our approach, in many cases, it seems to be translatable into formal approaches either in terms of (covert or overt) movement or in an OT-style analysis suggesting competing motivations for assigning head properties. Alternatively, it may be proposed that on the basis of on such competing motivations, languages may choose different schemes of grammaticalization of head vs non-head asymmetries. This aspect of the theory is left for further research, however.

References:

Corbett, G. G., N. Fraser, S. McGlashan (eds). 1993. Heads in grammatical theory. Cambridge: Cambridge University Press

Dixon, R.M.W. 2000. Categories of noun phrase in Jarawara. Journal of Linguistics 36 (3): 487-510.

Harris, A.C. 2002. Endoclitics and the Origins of Udi Morphosyntax. Oxford/New York: Oxford University Press.

Lander, Yu. 2009. Western Indonesian prenominal modifiers and compositional obligatoriness. In V. B. Kasevich et al. (eds), VIII Meždunarodnaja konferencija po jazykam Dal’nego Vostoka, Jugo-Vostočnoj Azii i Zapadnoj Afriki: tezisy i doklady. Moscow: Kluch-C, 242-257.

Nagaya, N. 2007. Information structure and constituent order in Tagalog. Language and Linguistics 8: 343-372.

Zwicky, A. 1985. Heads. Journal of Linguistics 21: 1–30.

 

 

Timm Lichte (Universität Düsseldorf)

Der Kopf als Epiphänomen: Ein Bestiarium kopfloser Grammatikformalismen

Köpfe können auf unterschiedliche Weise in Grammatikmodellen implementiert sein. In diesem Vortrag werde ich geläufige formalgrammatische Implementierungen unter die Lupe nehmen und zwei Klassen abgrenzen: solche, die eine durchgängige Unterscheidung zwischen Köpfen und nicht-Köpfen erzwingen, und solche, bei denen der Kopfbegriff den Status eines Epiphänomens hat.

Bei den Vertretern der ersten Klasse, zu denen ich die Kategorialgrammatik, die Dependenzgrammatik oder auch die HPSG zähle, ist die asymmetrische Kategorisierung syntaktischer Entitäten bereits prätheoretisch (ergo auch präempirisch) angelegt. Hier ist die Entscheidung, in welcher Schublade (Kopf oder nicht-Kopf) eine syntaktische Entität bezogen auf ein andere syntaktische Entität steckt, essentiell für die Anwendbarkeit der jeweiligen Kombinatorik. D.h. ohne Köpfigkeit können Worte nicht zu größeren Einheiten verbunden werden. Was zunächst wie ein technisches Detail anmutet, hat einen handfesten methodologischen Nachteil: Die formalgrammatische Unterscheidung zwischen Köpfen und nicht-Köpfen greift der linguistischen Generalisierung und Theoretisierung vor, nämlich hinsichtlich ihrer Existenz. Es gibt sie und man wird sie nicht mehr los.

Natürlich kann man diesen aprioischen Unterscheidungszwang a posteriori motivieren – und genau das wird ja auch fleißig getan – aber ich glaube, es kann aufschlussreich und geradezu befreiend wirken, wenn man sich der Alternativen klar wird. Dazu soll mein Vortrag beitragen, in dem ich eine Auswahl kopfloser Grammatikformalismen (ATN, STUG, unifikationsbasierte CxG) anhand konkreter Analysen vorstellen und diskutieren werde.

 

 

Stefan Müller (Humboldt-Universität zu Berlin)

Kopflose Strukturen in der Kopfgesteuerten Phrasenstrukturgrammatik

Wenn kopfgesteuerte Menschen ihren Kopf verlieren, haben sie ein Problem. Die kopfgesteuerte Phrasenstrukturgrammatik (Head-Driven Phrase Structure Grammar) hat mit kopflosen Strukturen aber kein Problem, weil sie anders als ihr Name vermuten lässt, auch Schemata verwendet, in denen es keinen Kopf gibt. Beispiele für entsprechende Konstruktionen sind aus der Konstruktionsgrammatik bekannt. Hier sei nur Jackendoffs N-P-N Konstruktion genannt (Jackendoff, 2008).

In meinem Vortrag werde ich solche Strukturen diskutieren und auch elliptische Nominalstrukturen wie “der rote (Ball)”. Ich werde zeigen, dass man letztendlich alle kopflosen Strukturen als Strukturen mit leerem Kopf analysieren kann. Frameworks, in denen davon ausgegangen wird, dass alle Strukturen einen Kopf haben (Dependenzgramatik, Minimalismus), können sich also immer durch Stipulation entsprechender leerer Elemente retten. Ich werde Kriterien dafür angeben, wann ich leere Köpfe für gerechtfertigt halte und wann nicht.

Literatur:

Jackendoff, Ray S. 2008. Construction a er Construction and its theoretical challenges. Language 84(1). 8–28.

Müller, Stefan. 2016. Grammatical theory: From transformational grammar to constraint-based approaches (Textbooks in Language Sciences 1). Berlin: Language Science Press. <http://langsci-press.org/catalog/book/25>.

 

 

Martin Neef (TU Braunschweig)

Wortdesign: Ein Ansatz zur Morphologie, der das Konzept ‚Kopf‘ nicht kennt

In Neef (1996a, b) habe ich eine morphologische Theorie entworfen, die grundsätzlich ohne das Konzept Morphem auskommt. In Anlehnung an Anderson (1992) gehe ich davon aus, dass Wurzeln und Affixe nicht Einheiten grundsätzlich gleicher Art sind, die unter einem Konzept ‚Morphem‘ zusammengefasst werden können. Wenn es keine Morpheme gibt, kann es in morphologischen Strukturen auch keine Köpfe geben. Diesen Kerngedanken des Ansatzes möchte ich anhand einschlägiger morphologischer Konstruktionen des Deutschen ausführen. Dabei ordne ich die Theorie heute dem Paradigma der Realistischen Linguistik im Sinne von Katz (1981) zu. Gewisse Kopfeffekte in Kompositionsstrukturen lassen sich mit dem Konzept des Potentiellen Wortbeginns erfassen, das ich in Neef (2012) eigentlich für Strukturen der geschriebenen Sprache formuliert habe.

Literatur:

Anderson, Stephen R. (1992): A-morphous morphology. Cambridge: Cambridge University Press (= Cambridge Studies in Linguistics 62).

Katz, Jerrold J. (1981): Language and other abstract objects. Oxford: Basil Blackwell.

Neef, Martin (1996a): Wortdesign. Eine deklarative Analyse der deutschen Verbflexion. Tübingen: Stauffenburg (= Studien zur deutschen Grammatik 52).

Neef, Martin (1996b):Wortdesign: Das Lexembildungsmuster Gehopse und die Kopflosigkeit von ‘Ableitungen’. Zeitschrift für Sprachwissenschaft 15: 61-91.

Neef, Martin (2012): Boundaries in written representations: the potential beginning of words in German. In: Terry Joyce & David Roberts (eds.): Units of language – units of writing. Special issue of Written Language and Literacy 15.2: 209-225.

 

 

Patrizia Noel (Otto-Friedrich-Universität Bamberg)

Köpfigkeit in Prosodie, Dichtkunst und metrischer Theoriebildung

Die Frage nach der Köpfigkeit in der Metrik zielt direkt darauf, ob sich unabhängige Evidenz für interne Hierarchien sprachlicher Strukturen in den Traditionen des Produzierens und Rezipierens von Dichtung finden lässt. Dies wird anhand von drei Fragen, welche die Verflechtung von Prosodie, Dichtkunst und metrischer Theoriebildung deutlich machen, diskutiert: 1) Können Metren, die ohne Kopf konzipiert sind, auch ohne Kopf umgesetzt werden? 2) Ist der Auftakt eine ‚kopflose’ Struktur? 3) Handelt es sich bei der Uneinigkeit über metrische Köpfe, Füße und Takte um ein Problem der Terminologie oder des Konzepts ‚Kopf’?

 

 

Andreas Nolda (Universität Szeged)

Kopf und Kern als Epiphänomene der Wortbildung

Vererbungs- und Implikationsrelationen zwischen Basen und Produkten

Konstituentenstrukturmodelle der Wortbildung konzipieren Kopf und Kern als Relationen zwischen Konstituenten in der Konstituentenstruktur eines Wortbildungsprodukts. Dabei gilt die Kopfrelation in der Regel als eine kategoriale Vererbungsrelation und die Kernrelation als eine semantische Implikationsrelation.

Prototypische Köpfe und Kerne sind in Sprachen wie dem Deutschen und Englischen die Zweitglieder endozentrischer Determinativkomposita. Eine Verallgemeinerung dieser als Right-hand Head Rule bekannten Regularität für andere Wortbildungsprodukte führt jedoch zu notorischen Problemen. So fallen bei Possessivkomposita, Kopulativkomposita und vielen Derivaten Kopf und Kern auseinander, insoweit sie überhaupt eindeutig identifizierbar sind. Bei Produkten der Konversion, der Kürzung oder der Kontamination ist zudem fragwürdig, wie sinnvolle Konstituentenstrukturen mit geeigneten Kopf- oder Kernkonstituenten aussehen könnten.

In diesem Vortrag werde ich eine alternative Konzeption von Köpfen und Kernen im Rahmen der Muster-und-Beschränkungs-Theorie der Wortbildung (Nolda 2012, im Ersch.) vorstellen, nach der diese keine syntagmatischen Relationen zwischen Konstituenten einer Produktform sind, sondern paradigmatische Relationen zwischen lexikalischen Basen und Produkten. Ob eine derartige Kopfoder Kernrelation besteht, ist unter Bezug auf Eigenschaften der kategorialen bzw. semantischen Mittel des Wortbildungsmusters bestimmbar, mittels dessen das Produkt gebildet ist; Konstituentenstrukturen werden dabei nicht vorausgesetzt. So gesehen sind Köpfe und Kerne Epiphänomene der Wortbildung, deren Existenz ein Effekt der Wortbildung mittels bestimmter Arten von Wortbildungsmustern ist.

Literatur:

Nolda, Andreas (2012). Konversion im Deutschen – Muster und Beschränkungen: Mit einem Grundriss einer allgemeinen Theorie der Wortbildung. Habilitationsschrift, Humboldt-Universität zu Berlin, 2013.

Nolda, Andreas (im Ersch.). Explaining linguistic facts in a realist theory of word formation. In Essays on Linguistic Realism: Languages as Abstract Objects, hg. v. Christina Behme und Martin Neef,Amsterdam: Benjamins.

 

 

Renate Raffelsiefen (Institut für deutsche Sprache Mannheim)

Köpfigkeit in der Wortprosodie

Die empirische Evidenz für eine hierarchische Organisation prosodischer Konstituenten (hier: Verknüpfung von Phonemen zu Silben, Silben zu Füßen, Füßen zu phonologischen Wörtern, phonologischen Wörtern zu Kompositionsgruppen (composite group)) ist im Deutschen robust. Die Beschränkung KÖPFIGKEIT (HEADEDNESS) gilt als konstituierendes Prinzip solcher Hierarchien; systematische Asymmetrien (notwendig vs. optional, stark vs. schwach) erlauben unter jeweiligen Tochterkonstituenten eine eindeutige Identifizierung von Köpfen. Die Frage inwieweit der Kopfbegriff tatsächlich notwendig oder sinnvoll ist, um die fraglichen Asymmetrien in der Grammatik zu repräsentieren, ist allerdings weniger klar. In Hinblick auf diverse Akzentmuster im Deutschen gehe ich der Frage nach, ob der Bezug auf Köpfe die Zusammenhänge eher erhellt oder verdunkelt.

 

 

Martin Salzmann (Universität Leipzig / Universität Potsdam)

Revisiting the NP vs. DP debate

Since it was first proposed in the mid-80ies, the DP-hypothesis has had a stunning success in that it has become the standard hypothesis about the headedness of noun phrases in different versions of generative grammar. In retrospect this is understandable because the facts that were used to motivate the DP-hypothesis indeed could not be accommodated by the rather rigid specifier-head-complement schema of that time.In my talk I will first review some of these arguments and show that given more recent assumptions about phrase structure (in particular the possibility of multiple specifiers) many of these arguments lose their force; the relevant data can be described equally well by means of the NP-hypothesis. Even worse, a fact that has been largely ignored, there are a number of rather simple phenomena that instead seem to favor the NP-hypothesis. In the main part of my talk, instead of concluding that the evidence is equivocal, I will develop criteria for what makes a good argument in favor of one or the other hypothesis and try to present new evidence for the DP-hypothesis.

 

 

Richard Wiese (Philipps-Universität Marburg)

Köpfe in der Phonologie?

Der Beitrag diskutiert in Anlehnung an unterschiedliche vorangehende Vorschläge, inwieweit alle phonologisch-prosodischen Kategorien auf einer Kopf-Komplement-Struktur beruhen. Es wird anhand von Phänomenen aus dem Deutschen die These vertreten, dass die Asymmetrie zwischen Köpfen und ihren Komplementen ein fundamentales Merkmal phonologischer Repräsentationen bildet, und dass Köpfe in phonologischen Strukturen durchgehend identifizierbar und für die Beschreibung mindestens nützlich sind.

 

 

Amir Zeldes (Georgetown University Washington)

Predicting notional agreement in anaphora resolution

Notional agreement is a form of morpho-syntactically exocentric referentiality, which can defy some or all grammatical features of a syntactic head, as in the following English examples:

 (1)  the government sit/sits by and watch/watches

(2)  there is/are a number of safe harbours

 In (1), a semantic construal of the government as a collective/plurality can override grammatical agreement, while in (2) a semantically weak head ‘number’ is overridden in favor of a syntactic non-head. Previous corpus studies have focused on factors predicting subject-verb agreement, but have largely ignored the corresponding phenomenon in anaphora resolution. However empirically, notional agreement in anaphora need not correspond to subject-verb agreement, as shown in (3):

(3)  CNN is my wire service; they're on top of everything

 This paper focuses on predicting notional anaphor compatibility in data from over 1.6 million tokens annotated across multiple layers, using a variety of factors including syntactic categories, grammatical functions, information status, verb class semantics, entity types, register, multiple metrics of surface distance/text position, and more. Using a multifactorial model and machine learning techniques the results show a dramatic improvement over baseline in predicting notional agreement in unseen corpus data.