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Projekt Samuel

BMBF Forschungsverbund "Verkörperte Information"

FU Freie Universität Berlin und KHM Kunsthochschule für Medien Köln in Kooperation mit dem ESRC Universität Lancaster

Operationale Bilder - Die Transformation von Bildtechnologien

Nina Samuel, Institut für Philosophie, Freie Universität Berlin

 

Forschungshintergrund

Den Hintergrund des Projekts bilden aus dem laufenden kunsthistorischen Dissertationsvor-haben zu Bildern der Chaosforschung abgeleitete Vorüberlegungen. Etwa dreissig Jahre vor der US-forschungspolitischen Proklamation von CT unternahm Benoît Mandelbrot in seiner ersten Buchpublikation „Les Objets Fractals“ den Versuch, „eine neue Klasse von Naturob-jekten“ zu identifizieren (Mandelbrot 1975). In dieser Essaysammlung fasst er seine diversen interdisziplinären Studien erstmals mit dem Anspruch einer Universaltheorie zusammen. Die von ihm benannte „Fraktale Geometrie“ sei das verbindende Element und in der Lage, „so diverse wie allseits vertraute Objekte wie die Erde, den Himmel und das Meer“ rechnerisch zu integrieren. Postuliert wurde eine mathematische Einheit der Natur, die von der molekula-ren Ebene der Brownschen Bewegung bis zur Streuung von Galaxien Gültigkeit beanspruch-te. Befördert wurde dieser Anspruch einer disziplinären Konvergenz durch die Herstellung formaler Bildähnlichkeiten im mikro- und makroskopischen Bereich.

Auch die proklamierte NBIC-Konvergenz wird von der Grundannahme einer mikro-makrokosmischen Analogie begleitet. Im Gegensatz zu den Bildwelten der Chaosforschung scheint sich die Suche nach der „Einheit der Natur“ jedoch durch eine Veränderung der Perspektive gleichsam nach innen verlagert zu haben. Dies zeigen unter anderem Berichte über Forschungen mit dem Ziel, die lebende Zelle zu untersuchen – „from inside“ - und ein-zelne Moleküle wie Objekte zu manipulieren (Rocco, Bainbridge 2002, 12).

Die Hypothese lautet, dass Bilder bei dieser materialen Manipulation auf Mikroebene eine zweifache Funktion innehaben: Sie machen einerseits etwas sichtbar, das dem menschlichen Auge sonst nicht zugänglich wäre, andererseits fungieren sie als Handlungsoberflächen, in die Steuerungselemente eingebettet sind. Damit nehmen operationale Bilder einen doppelten Status sowohl als Untersuchungsgegenstände als auch als Werkzeuge ein. Indem das Bild damit zur Sache selbst wird, kann ein kausaler Zusammenhang zwischen visuellem Hantieren und struktureller Umformung des Materials vermutet werden. In ihrer Eigenschaft als Werkzeuge erlauben operationale Bilder ein Handeln am und durch das Sichtbare, das den Aktionsradius sowohl eröffnet als auch präformiert: Die sinnliche Form determiniert die materiale Formung.

 

Projektziele

Das Ziel des Projektes ist es, anhand von Fallbeispielen herauszufinden, ob die „Converging Technologies“ einen eigenen Typus der Operativität des Bildlichen konstituieren. Dieser Ty-pus müsste genau zu jener Konvergenz führen, die im NBIC-Diskurs auf materialer Ebene propagiert wird. Diesen Typus gilt es von anderen Formen der Operativität abzugrenzen, wie zum Beispiel von der algorithmischen Operativität. Diese findet sich beispielsweise bei der „Real Time Data Visualization“ biophysikalischer Rezeptoren. Sie ermöglicht es, Molekül-strukturen in Echtzeit und 3-D interaktiv zu manipulieren und damit über die visuelle Ebene ihre mathematische Struktur zu verändern. Im Gegensatz dazu ergibt sich ein erster Hinweis der Existenz einer materialen Operativität aus der Verwendung von Bildtechnologien in der DNA-Analyse (Elektrophorese).

Aus dieser Konstellation folgen drei verschiedene Fragestellungen als Ausgangspunkte:

1. Welchen Modus von Forschungspraktik ermöglichen diese operationalen Bilder?

Die angesprochene Kausalität von visueller auf materialer Ebene erweitert das Format der interaktiven Technologien (Human Computer Interaction) in Richtung einer „Mensch-Maschine-Welt-Interaktion“. Dies bedeutet, dass Interaktion heute zunehmend in die Realität des alltäglichen Raumes verlagert wird und die Umwelt damit selber zur visuellen Schnittstelle für Operationen und Informationsprozesse wird. Dieser Entwicklung entspricht eine Bild-technologie, die als Augmented Reality bekannt ist (Ma, Choi 2007). Untersucht werden sol-len die dynamischen und interaktiven Technologien aus einer bildpraktischen Perspektive, die neben einer formalen Analyse auch den Entstehungskontext und ihre technische Verfasstheit berücksichtigt (vgl. Hennig 2008).

2. In welcher Weise erzeugen diese operationalen Bilder Konvergenz?

Disziplinäre Konvergenzen vollziehen sich im allgemeinen anhand von „boundary objects“, die zwischen den Wissensfeldern vermitteln. Dieses von den Soziologen Susan Leigh Star und James R. Griesemer entwickelte Konzept befasst sich mit dem Problem der Übersetzung und Migration von Konzepten und Technologien zwischen heterogenen wissenschaftlichen Welten, das durch Methoden der Standardisierung und der Entwicklung von „boundary objects“ gelöst werden kann (Griesemer, Star 1989, 393). Untersucht werden soll, ob opera-tionale Bilder die Anforderungen solcher „boundary objects“ erfüllen, die eine unterschiedliche Nutzung von Informationen durch unterschiedliche Gruppen ermöglicht.

3. In welcher Bildtradition stehen diese operationalen Bilder als Bilder?

Die visuellen Artefakte und informationsverarbeitenden Technologien, die das Projekt in Au-genschein nimmt, werden üblicherweise nicht dem Bereich der Kunst oder der Kunstge-schichte zugeordnet, selbst wenn an ihnen die konstitutive Rolle künstlerischer Inszenie-rungsstrategien und Bildtechniken erkennbar wird. Daher gilt es, über eine Untersuchung ihrer Funktion als Werkzeuge hinaus, die spezifische Bildlichkeit der operationalen Bilder zu erforschen, ihren Konstruktionscharakter offenzulegen und ihr Verhältnis zu historischen Bildtraditionen und –technologien zu klären. Das Projekt nähert sich den operationalen Bildern mit einer scheinbar traditionellen Methodologie (z.B. Stilanalyse, Ikonologie und Formanalyse), um diese sowohl angesichts des neuen Regimes von Bildlichkeit zu schärfen als auch um sie gegebenenfalls unter der Entwicklung neuer Kriterien anzupassen und weiter-zuentwickeln (vgl. Bredekamp, Dünkel, Schneider 2008).

 

Auswahlbibliographie

Bredekamp, Dünkel, Schneider 2008: Horst Bredekamp, Vera Dünkel, Brigit Schneider (Hg.): Das Technische Bild. Kompendium zu einer Stilgeschichte wissenschaftlicher Bilder, Berlin 2008.

Griesemer, Star 1989: Susan Leigh Star, James R. Griesemer: Institutional Ecology, 'Translations' and Boundary Objects: Amateurs and Professionals in Berkeley's Museum of Vertebrate Zoology, 1907-39, in: Social Studies of Science, Bd. 19, 1989, S. 387-420.

Hennig 2008: Jochen Hennig: Bildtradition und Differenz. Visuelle Erkenntnisgewinnung in der Wissenschaft am Beispiel der Rastertunnelmikroskopie, in: Horst Bredekamp, Birgit Schneider, Vera Dünkel (Hg.): Das Technische Bild. Kompendium zu einer Stilgeschichte wissenschaftlicher Bilder, Berlin 2008, S. 86-95.

Hinterwaldner 2010: Inge Hinterwaldner: Das systemische Bild. Ikonizität im Rahmen computerbasierter Echtzeitsimulationen, München 2010 (im Druck).

Ma, Choi 2007: Jung Yeon Ma, Jong Soo Choi: The Virtuality and Reality of Augmented Reality, in: Journal of Multimedia, Bd. 2, Nr. 1, Februar 2007, S. 32-37.

Mandelbrot 1975: Benoît Mandelbrot: Les Objets Fractals. Forme, Chance, Dimension, Paris 1975.

Nake 2005: Frieder Nake: Das doppelte Bild, in: Digitale Form, Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik, Bd. 3, Nr. 3, Berlin 2005, S. 40-50.

Rocco, Bainbridge 2002: Converging Technologies For Improving Human Performance, Mihail C. Rocco, William Sims Bainbridge, NFS-Bericht 2002.

 

Kontakt

Nina Samuel
Institut für Philosophie
Freie Universität Berlin
Habelschwerdter Allee 30
D-14195 Berlin

Tel: ++49 (0)30 838 54509
Fax: ++49 (0)30 838 56430
Email: nina.samuel[at]fu-berlin.de

Projektbüro:
Silberlaube (Habelschwerdter Allee 45)
Raum JK25/221C


Bundesministerium für Bildung und Forschung