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Willkommen in Dystopia – Carmen Losmanns Work Hard – Play Hard

„Wo sind die Pfähle, die Roste, die Ledertrichter?“, fragt Garcin den Kellner, wenn er in Jean-Paul Sartres Geschlossene Gesellschaft die Hölle betritt, und diskutiert gleich darauf über die Auswahl der Inneneinrichtung im Second-Empire-Stil. Seine Erwartungen werden zunächst auf angenehme Weise enttäuscht: Kein Dantesches Inferno, keine grotesken Abnormitäten eines Hieronymus Bosch, keine mittelalterlichen Folterkeller. Doch auch die Sartre-Hölle ist – sei sie auch noch so komfortabel eingerichtet – perfide.

Gleiches gilt für die schönen, neuen Arbeitswelten, denen sich der Film Work Hard – Play Hard der deutschen Dokumentarfilmautorin Carmen Losmann widmet.

Futuristische, lichtdurchflutete Glas- und Stahlarchitektur paart sich hier mit einem Ikea-Wohnzimmergefühl. Der Mensch und sein Wohlbefinden am Arbeitsplatz sollen, so wird betont, im Zentrum stehen. Vorbei sind die Zeiten der tristen Großraumbüros mit gefängniszellenartigen, anonymen Cubicles, geschweige denn die industriellen Arbeitshöllen am Fließband, die angesichts solcher Wohlfühlparadiese schon beinahe in den Bereich des Mythos rücken. Der Arbeitsplatz kann individuell, je nach Aufgabe und Bedürfnis gewählt werden, an „Meeting Points“ ist das Gespräch unter Kollegen bei einem Kaffee erwünscht und im Idealfall soll eine Atmosphäre geschaffen werden, die vermittelt, dass Arbeiten keinen Zwang bedeuten muss. Keine Pfähle, keine Roste, keine Ledertrichter, wer würde hier nicht gerne arbeiten ... für immer und immer und immer?

Warum also sprechen die zahlreichen Rezensionen dieses beeindruckenden Films relativ unisono von einem Gruselfilm, von Orwellschem Charakter, ja sogar vom Horror?

Wer mit der Phantastik vertraut ist, der wird das Szenario kennen: Die idyllische Kleinstadt/paradiesische Insel/utopische Planetenkolonie mit ihren in jeder Hinsicht perfekten Bewohnern, die sich als Kannibalen/Satanisten/außerirdische Invasoren entpuppen, sobald die Fassade bröckelt. Der Horror von Work Hard – Play Hard legt sich der Zuschauerin beklemmend und subtil auf die Brust, wenn man realisiert, wie verloren und einsam die Menschen in den Bildern dieser vermeintlichen Utopien wirken. Er entfaltet sein volles Potential jedoch, sobald die Human Resources Manager von ihrem Menschenmaterial zu sprechen beginnen: „Ich habe persönlich eine Vision ... und meine Vision ist dafür zu sorgen, dass das [Mitarbeitercoaching] auch etwas Bleibendes ist ... also diesen kulturellen Wandel wirklich nachhaltig in die DNA jedes einzelnen Mitarbeiters bei uns entsprechend zu verpflanzen.“

Beginnend mit der Architektur, die die Zuschauerin noch in der Ambivalenz des Erhabenen zwischen Faszination und Desubjektivierung oszillieren lässt, legt Losmanns Film Zeugnis über die Abgründe der Rituale, der Sprache und der Ideologie des Postfordismus ab. Am auffälligsten tritt das „Wording“ mit seiner Okkupation von Begriffen und Pervertierungen der Sprache in Neologismen in Erscheinung. Die totalitären Sprachbilder von Gleichschaltung und Aufgehen des Individuums in Symbiose mit einem „Körper der Firma“ erscheinen dem Externen so offensichtlich zynisch, dass es um so erschreckender wirkt, dass die Interviewten zu keinem Zeitpunkt selbst darüber bitter lachen müssen, sondern ohne Bruch und Regung ihre Katechismen herunterbeten, die so offensichtlich von einem Kampf um Köpfe und Seelen sprechen. Nicht umsonst drängen sich Vergleiche zu Sektenstrukturen auf: Die Kultur der „stetigen Verbesserung“ beinhaltet das Versammeln der Belegschaft in kirchenartigen Lichtdomen zum gemeinsamen „Morgengebet“, der Motivationsansprache, ebenso wie das Durchleuchten des Einzelnen auf seine Konformität mit der herrschenden Ideologie der „Corporate Identity“.

Der Film zeigt eine heterogene Anordnung von Ensembles – Architektur, Transformation der Sprache, Rituale, Coachings, die allesamt auf eines abzielen: Subjekte neu zu formen. Work Hard – Play Hard ist ein Film über ein gesamtgesellschaftliches Dispositiv der Effizienz, der betroffen macht.

Carmen Losmanns Umgang mit der eigenen Autorschaft ist dabei dezent. Sie selbst tritt weder als Interviewpartnerin ins Bild, noch kommentiert sie aus dem Hors-champ. Es ist ein weiser Entschluss, nicht mit dem „In-your-face“-Stil eines Michael Moore über diese Dystopie zu berichten, da die drastischen Entlarvungen der Ideologie und Gleichschaltung sich ohne jedes Schuldbewusstsein von ganz alleine vollziehen und sich Losmann somit nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen muss, eine tendenziöse Haltung eingenommen und die Zuschauerin mit Kommentaren manipuliert zu haben.

Ich freue mich darauf, Carmen Losmann am Freitag, dem 31.01.2014, um 20:00 Uhr als Gast auf unserer Jahrestagung Politics of the Applied: Theatre and Art as Intervention am Institut für Theaterwissenschaft begrüßen zu dürfen. Work Hard – Play Hard, meines Erachtens der sowohl wichtigste als auch beängstigendste deutsche Film des Jahres 2012, wird zu dieser Gelegenheit in größeren Ausschnitten vorgeführt und diskutiert werden.

 

(Januar 2014)