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Unternehmenstheater und die Problematik der Verortung

Seit Anfang der 1990er Jahre hat sich in Deutschland eine besondere Annäherung von Wirtschaft und Theater vollzogen. Neu gegründete, professionelle Unternehmenstheater wurden zunehmend von Wirtschaftsunternehmen beauftragt, mit den ihnen eigenen theatralen Methoden und im Rahmen von speziellen Veranstaltungen zur Verbesserung der betriebsinternen Kommunikation, der Vermittlung verschiedenster Informationen oder zur Steigerung des Motivations- bzw. Stimmungsniveaus beizutragen. Die Untersuchung dieser besonderen Form des angewandten Theaters ist Ziel meiner Fallstudie.

Und bereits zu Beginn der Untersuchung stellen sich mir zahlreiche grundlegende Fragen: Was ist unter dieser Art angewandter und ökonomisch kontextualisierter Theaterarbeit zu verstehen? Wie lässt sich Unternehmenstheater definitorisch fassen? Wie kommt es konkret zum Einsatz? Welche Intentionen sind von Seiten der Auftraggeber mit solchen theatralen Interventionen verbunden? Und welche Wirkungen kann das Theater im Rahmen von betriebsinternen Change-Management-Prozessen letztendlich entfalten?

Während die Beantwortung dieser Fragestellungen in den letzten Jahren vor allem von den Wirtschaftswissenschaften verstärkt in Angriff genommen wurde, ist eine elementare Frage dabei bislang nur wenig beachtet worden: die der Verortung. Es ist das Kompositum ‚Unternehmenstheater’, das hier in die Aporie führt. Ist diese spezielle Theaterform tendenziell eher ein Bestandteil der Unternehmens- oder der Theaterwelt? Ist es ein Dienstleistungsprodukt, das sich bis in kleinste Detail planen und in seiner Wirkung kontrollieren lässt, oder vielmehr eine Kunstform, die sich trotz ihrer ökonomischen Einbettung ihre Autonomie und ihr unberechenbares Potenzial bewahren kann? Hat Unternehmenstheater in erster Linie finanziell-ökonomischen oder moralisch-ethischen Maßstäben gerecht zu werden?

Oder vielleicht ist auch dieser gedankliche Ansatz, der von zwei einander gänzlich fremden Werte- und Organisationssystemen ausgeht, problematisch. Vielleicht sind der Kosmos der Wirtschaft und der des Theaters einander ähnlicher, näher und miteinander verflochtener als dies auf den ersten Blick erscheint, so dass das Unternehmenstheater nicht eindeutig positionierbar, sondern quasi ‚weltlos’ im Zwischen beider Sphären steht und als liminales Phänomen in Erscheinung tritt. Dies hätte entscheidende analytische Konsequenzen und würde auch hinsichtlich der eingangs gestellten Fragen ganz neue, noch auszudifferenzierende Perspektiven eröffnen.

 

(September 2013)