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Gabriele Bergfelder-Boos: Formen und Funktionen der Mündlichkeit in der modernen frankophonen Kinder- und Jugendliteratur

Die Nähe der Kinder- und Jugendliteratur zu den Gestaltungs-, Konstruktions- und Kommunikationsprinzipien der mündlichen Dichtung wird seit einiger Zeit in der Kinder- und Jugendliteraturforschung diskutiert (Ewers 1991, 2000; Wardetzky 2007), wobei sich das Forschungsinteresse vorwiegend auf die Mündlichkeit als „Überbleibsel“ aus der mündlichen Tradition des Erzählens richtet. Einer solchen diachronen Mündlichkeit  stellt Nänny eine synchrone Mündlichkeit (Nänny 1998)  gegenüber, mit der Vertextungsstrategien der modernen und postmodernen (Allgemein-) Literatur gefasst werden sollen. Für diese Texte ist neben anderen Formen medienübergreifender Erzählstrategien, vor allem dem filmischen Schreiben, auch eine Ausrichtung auf die Mündlichkeit  charakteristisch, eine écriture, für die ich die Bezeichnung écriture orale bzw. mündliches Schreiben vorschlagen möchte. Die neuere Intermedialitätsforschung (Wolf 1996; Rajewsky 2002) kann für die mit der Mündlichkeit der Kinder- und Jugendliteratur befassten Forschungsansätze sowohl einen literatur- und kommunikationstheoretischen Rahmen liefern als auch Kategorien und Analyseinstrumente bereitstellen, mit denen die Texte analysiert werden können.  Das Forschungsprojekt Formen und Funktionen von Mündlichkeit beschäftigt sich mit der Kinder- und Jugendliteratur von „Grenzgängern“, d.h. „Wanderern zwischen den Literatursystemen“, Autoren, die sowohl Allgemeinliteratur als auch Kinder- und Jugendliteratur schreiben und für deren allgemeinliterarische Texte  eine écriture orale charakteristisch ist.   

Könnte es bei diesen Autoren einen Zusammenhang zwischen den Vertextungsstrategien in der Allgemein- und in der Kinder- und Jugendliteratur geben? Welche Rolle spielt dabei das mündliche Schreiben ? Gibt es eine allgemeinliterarische und eine kinderliterarische Variante mündlichen Schreibens?

Um diese Fragen zu klären, ist zuvor eine theoriebasierte Definition des mündlichen Schreibens notwendig. Was genau ist unter mündlichem Schreiben zu verstehen? Lässt es sich als eine Mediengrenzen überschreitende, illusionsbildende écriture fassen? Wenn ja, auf welche Mikroformen der mündlichen literarischen Kommunikation bezieht sie sich? Wie setzt sie diese Mikroformen in schriftlich fixierte Literatur um? Welche Funktion kommt dieser écriture zu, d.h. worin besteht ihr „Mehrwert“ für den kinderliterarischen Text? Steckt in diesem „Mehrwert“ ein Potenzial, das der Fremdsprachenunterricht zur literarischen und sprachlichen Kommunikation nutzen kann? Mit welchem Ziel? Mit welchen Aufgaben?

Diese Fragen werden in einem ersten Schritt an die Texte der haïtianisch- kanadischen Schriftstellerin, Erzählerin und „Grenzgängerin“ Marie-Célie Agnant gestellt.  In einem zweiten Schritt soll ein Korpus von modernen kinderliterarischen Texten der Frankophonie auf verschiedene Formen und Funktionen des mündlich Schreibens untersucht werden.  Das Forschungsprojekt Mündlichkeit in der Kinder- und Jugendliteratur ist mit einer empirischen Studie zum Erzählen in der fremden Sprache verbunden.

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