Springe direkt zu Inhalt

Brigitte Jostes

Brigitte Jostes - Wissenschaftliche Assistentin am Institut für Romanische Philologie (FU)

I. Fächerwahl

II. Erwachsenenbildung

III. Ministerium und Promotion

IV. „Mittelbau“

V. Alternativen

 

I. Meine Fächerwahl – Germanistik und Romanistik – war ein echtes Blind Date: Unbedingt raus aus der niedersächsischen Provinz wollte ich, wenn schon, denn schon, auf nach Berlin. Und weil Sprachkenntnisse ja nie schaden können, lese ich halt Romane auf Deutsch und Französisch, während ich die Großstadt entdecke. So sah – in groben Zügen – mein Plan aus.

Die Großstadt habe ich dann taxifahrend entdeckt, das Romanelesen kam jedoch nicht so recht in Fahrt. Das lag erstens am Moloch "Freie Universität": Das Raumnummernsystem mit den Kreuz– und Querstraßen hab ich zwar schnell begriffen, den Weg in eine Dozentensprechstunde aber erstmals im dritten Semester gefunden. Massenuniversität bedeutet für mich rückblickend, dass sich eine Masse von Studenten ausgeschlossen fühlt von einer – scheinbar existierenden – kleinen Gemeinde von Eingeweihten und – vor dem Rosa Salon Kaffee trinkend – über deren Gesetze spekuliert.

Aber da gab es noch einen Grund, warum das Romanelesen nicht nachhaltig in Gang kam und weshalb das ganze Studium wirklich eine "blinde" Verabredung war: Natürlich hatte ich vorher nicht die geringste Vorstellung davon, was denn diese "Linguistik" sein sollte, die man wohl oder übel in beiden Studienfächern neben Literaturwissenschaft und Landeskunde auch belegen musste. Die fremden Wörter in den Lehrveranstaltungskommentaren klangen nicht nur wie Krankheiten – Syntax, Phonetik, Sem, Homonym usw. – auch die Einführungsbücher mit Zeichnungen des Artikulationsapparats (längs durchgeschnittene Menschenköpfe) und Baumgraphen sahen aus wie medizinische Fachbücher; und die waren für StudienanfängerInnen in den Geisteswissenschaften nun mal der Inbegriff der Geistlosigkeit.

Während sich die meisten meiner MitstudentInnen mit ungehemmter Lust in der französischen Sprache bewegten – bei manchen hatte gar das Husten einen französischen Klang – war ich ein nicht unproblematischer Fall, was angstfreies Fremdsprechen betrifft. Vielleicht hat mich aber gerade deshalb nach und nach das Reflektieren über Sprache und Sprachen umso mehr begeistert. Auf jeden Fall ist Sprachwissenschaft viel, viel mehr, als es die gängigen einführenden Bücher vermuten lassen. Im Hauptstudium habe ich mich dann also in beiden Fächern auf Sprachwissenschaft spezialisiert; eine Wahl, die zudem den angenehmen Nebeneffekt hatte, dass die FU für mich immer weniger Moloch wurde. Für die Sprachwissenschaft entscheiden sich nun mal keine Massen.

II. Nach dem Magisterabschluss – vor dem ich noch ein paar Monate lang Paris kennen lernen durfte – habe ich dann gleichzeitig zwei Zusatzstudiengänge besucht, mit denen auch der Grundstein für die Zweigleisigkeit meiner darauf folgenden beruflichen Tätigkeiten gelegt wurde. Zum einen habe ich "Deutsch als Fremdsprache" studiert und nach Anfängen als Französischlehrerin an der Volkshochschule dann viele Jahre mit dem Umfang einer halben Stelle als Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache gearbeitet. Eine solche Tätigkeit im außerschulischen Bildungswesen und insbesondere in der Integrationsarbeit erfordert auf Grund der Heterogenität der Lerngruppen ein sehr hohes Maß an Flexibilität, Improvisationsfähigkeit und, davon bin ich überzeugt, auch eine Leidenschaft für das Unterrichten. Denn obgleich sowohl Integration als auch lebenslanges Lernen in aller Munde sind, sind die Rahmenbedingungen für Tätigkeiten in der außerschulischen Bildung in der Regel das, was man heute gern „prekär“ nennt: Arbeitsverhältnisse mit Angestelltenstatus sind die Ausnahme, unsichere Honorarverträge die Regel, vom Zustand der Unterrichtsräume ganz zu schweigen. Und trotzdem: Das Gefühl, das sich als Lehrende einstellt, wenn sich Ostberliner Rentner mit Lachen auf französische Rollenspiele einlassen oder wenn 16jährige Aussiedler aus Spaß an Spielen zur deutschen Wortbildung die Unterrichtspause vergessen, macht süchtig.

Aber ich habe ja zum anderen an der Technischen Universität im Aufbaustudium Semiotik studiert und dort auch meinen ersten universitären Lehrauftrag übernommen, ich war ja noch auf der Suche nach einem Promotionsprojekt. Das hat sich dann im Anschluss an eine kurzzeitige Vertretungsstelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Romanistik der FU gefunden, als ich von der Berlin–Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften den Auftrag für eine sprachwissenschaftliche Analyse bekommen habe. Nachdem die Studie veröffentlicht war, schloss sich eine zweijährige halbe Drittmittelstelle am Institut für Romanistik an, wo ich dieses Projekt ausweiten und meine Dissertation fast fertig stellen konnte.

III. Meine Doktorarbeit hätte im Jahr 2001 eigentlich endgültig fertig werden sollen, dummerweise haben Europarat und Europäische Kommission keine Rücksicht auf diesen persönlichen Zeitplan genommen und genau dieses Jahr zum Europäischen Jahr der Sprachen erklärt – weshalb meine Doktorarbeit eine etwas „verspätete“ wurde. Denn das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat mir nach einer erfolgreichen Bewerbung den Auftrag der wissenschaftlichen Begleitung dieses Jahres erteilt und hierzu gehörten neben Dokumentations– und Evaluationsaufgaben auch konzeptionelle und beratende Arbeiten auf nationaler und europäischer Ebene, die mich bis ins Frühjahr 2003 beschäftigten.

Vergleichbar mit der Gliederung einer Universität in Fachbereiche ist ein Ministerium intern in verschiedene Abteilungen gegliedert, die ihrerseits über Unterabteilungen wieder in zahlreiche Fachreferate untergliedert sind. So gibt es etwa in der Abteilung "Europäische und internationale Zusammenarbeit" ein Referat für die bildungspolitische Zusammenarbeit in der EU, in der viele Fragen der Sprachenpolitik zu bearbeiten sind. Die Arbeit in einem Ministerium und besonders die von ReferentInnen kann man sich vielleicht am besten unter dem Stichwort der "Komplexitätsreduktion" vorstellen: Neben Stellungnahmen zu Anträgen an das Ministerium, Antworten auf externe Anfragen usw. sind vor allem Vermerke oder Sprechzettel für höhere Verwaltungsebenen zu verfassen, in denen die Komplexität der fachlich zu bearbeitenden Problematik so weit zu reduzieren ist, dass eine schnelle Information gesichert ist, auf deren Grundlage politisch gehandelt werden kann. Hierin liegt vielleicht der größte Unterschied zur wissenschaftlichen Arbeit, wo Zwiespältigkeiten gerade nicht geglättet, sondern ausgegraben werden.

IV. Nachdem im Frühjahr 2003 alle Arbeiten für das BMBF abgeschlossen waren, hatte ich Zeit für die Fertigstellung meiner Doktorarbeit mit anschließender Disputation und dann das Glück einer erfolgreichen Bewerbung auf eine reguläre Qualifikationsstelle am Institut für Romanische Philologie, wo ich seither das Thema der sprachlichen Bildung weiter aus der forschenden – ausgrabenden – Perspektive verfolgen kann.

Ganz gebe ich meine beruflichen Kontakte außerhalb der Universität aber trotz meiner nun noch bis 2010 laufenden ganzen Stelle an der Freien Universität nicht auf. So schreibe ich bisweilen an den Wochenenden noch Fachgutachten zu sprachbezogenen Projekten, die im Rahmen der Europäischen Bildungsprogramme gefördert oder ausgezeichnet werden sollen und ich wirke ein paar Samstage pro Jahr an der Durchführung der Deutsch-als-Fremdsprache-Prüfungen in Berlin mit, an denen seit dem Inkrafttreten des neuen Integrationsgesetzes auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beteiligt ist.

Wenn ich mich weiterhin gerne auch mal außerhalb der Universität betätige, so liegt dies natürlich einerseits daran, dass diese Tätigkeiten in direkter Verbindung zu meinem Forschungsinteresse – der sprachlichen Bildung – stehen. Es liegt aber auch daran, dass ich mir andere berufliche Perspektiven offen halten will angesichts des so genannten „Phasenmodells“ einer Universitätskarriere in Deutschland, das sich durch „Schwellen“ auszeichnet: Promotion, Habilitation (oder Vergleichbares) und Berufung auf eine Professur.

Immer, wenn ich von Studierenden nach dem Verbleib einer ausgeschiedenen KollegIn gefragt werde, wird mir wieder klar, wie undurchsichtig und unbekannt die Beschäftigungsbedingungen an einer deutschen Universität sind; ich selbst habe mich als Studentin ja auch nie damit beschäftigt. Mittlerweile denke ich aber, es wäre gut, wenn die Studierenden ein wenig Einblick in die berufliche Situation der DozentInnen und insbesondere des so genannten „Mittelbaus“ (also alle wissenschaftlichen Beschäftigten unterhalb der Professur mit Verträgen zwischen 4 und 6 Jahren) hätten. Nicht nur, um über diese berufliche Perspektive informiert zu sein.

Anders als in den meisten anderen Ländern gibt es in Deutschland in der Regel bislang keine unbefristete Anstellung unterhalb der Professur. D.h., es gibt kaum die Möglichkeit, länger als maximal 6 Jahre z.B. mit Promotion als wissenschaftliche MitarbeiterIn an einer Universität beschäftigt zu sein. Und anders als in vielen anderen Ländern gibt es auch nicht die Möglichkeit, nach Überwindung einer Schwelle (wie Habilitation) automatisch in die nächste Phase zu gelangen (z.B. auf eine Professur nach der Habilitation). Und leider ist die Sache durch eine Einschränkung noch komplizierter, es gibt nämlich auch noch die Pflicht, zwischen den Phasen mindestens einmal die Universität gewechselt zu haben.

Mittlerweile gibt es an diesem Modell notgedrungen zwar kleinere Korrekturen (es gehen einfach zu viele WissenschaftlerInnen ins Ausland, am liebsten in die Schweiz), prinzipiell bleibt es aber ein waghalsiges Unternehmen, sich einzig und allein für eine Universitätskarriere als beruflichen Werdegang zu entscheiden. Schließlich liegt das durchschnittliche Habilitationsalter in Deutschland bei 40,5 Jahren, und erst dann beginnt die Bewerbungsphase auf eine erste unbefristete Stelle, nämlich eine Professur[1]. Diese Bewerbungszeit kann sich noch einmal über Jahre (oft ohne Beschäftigungsverhältnis) hinziehen und wenn sie Erfolg hat, darf man die Stadt verlassen (und beispielsweise nach Pusemuckel in die niedersächsische Provinz ziehen), schließlich gibt es die Pflicht zum Wechsel der Universität (das heißt in den meisten Fällen natürlich auch der Stadt). Dieses System ging natürlich so lange gut, wie die Wissenschaft in erster Linie von Männern mit nicht berufstätigen Ehefrauen an ihrer Seite betrieben wurde, und wenn heutzutage der Partner partout auch berufstätig sein will, ist auch der Verzicht auf familiäre und soziale Verpflichtungen mit Pendeln im ständig verspäteten ICE eine weit verbreitete Lösung.

Aber dennoch: Die wissenschaftliche Arbeit an einer Universität umfasst die drei Bereiche Lehre, Forschung und Verwaltung und alle drei sind wieder in sich sehr vielfältig und bieten zugleich eigene Gestaltungsspielräume; wenn dann noch eine kooperative und freundliche Atmosphäre im Seminarraum und unter den KollegInnen hinzukommt, kann ich mir kaum eine attraktivere berufliche Tätigkeit vorstellen.

Ein anderer Bericht im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung[2] zum wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland zeigt aber, dass viele der so genannten „Leistungsbesten“ unter den Studierenden auf Grund mangelnder Attraktivität der Hochschultätigkeit keine wissenschaftliche Laufbahn anstreben; einige der Gründe dafür habe ich oben genannt. In diesem Bericht wird aber auch auf ein anderes Problem hingewiesen, das ich für besonders gravierend halte: Der Bericht zeigt, dass die soziale Herkunft z.B. schon bei der Besetzung von Hilfskraftstellen eine große Rolle spielt, überproportional trifft man hier auf Studierende, die selbst aus Beamten- und Akademikerhaushalten stammen. Es wird daher in den abschließenden Empfehlungen die Beseitigung „sozialer Schieflagen“ angemahnt. Ich würde mir darum in Zukunft z.B. Mentoringprogramme für engagierte und interessierte Studierende wünschen, die sich gezielt an jene richten, die nicht den typischen sozialen Hintergrund für eine Universitätslaufbahn haben.

V. Manchmal phantasiere ich auch von einer völlig anderen beruflichen Perspektive für mich, vielleicht sogar in der (eigentlich doch ganz schönen) niedersächsischen Provinz. Selbst wenn ich dann nichts mehr mit Romanistik oder Sprachwissenschaft zu tun hätte, wäre das Studium aber auf keinen Fall ein Irrtum gewesen. Schließlich geht es bei der Fächerwahl nicht ausschließlich darum, was man später vermeintlich direkt für einen Berufsweg verwerten kann.

nach oben



[1] Solche und andere interessanten Informationen findet man im Bundesbericht zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: http://kisswin.eu/index.php?id=339.

[2] http://www.bmbf.de/pub/wissenschaftlicher_nachwuchs_unter_den_studierenden.pdf