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Abstracts der Vorträge im IZ-Colloquium 2010/11

 

Processability Theory. Ein Ansatz zur Erklärung von Spracherwerbsprozessen (26.10.2010)

Prof. Dr. Manfred Pienemann (Universität Paderborn und Newcastle University)

Processability Theory (PT) ist ein psycholinguistischer Ansatz zur Erklärung von dynamischen Prozessen im Spracherwerb. Ausgangspunkt ist die Architektur der menschlichen Sprachverarbeitung und die Annahme, dass Lerner nur die sprachlichen Formen erwerben können, die sie auch verarbeiten können. Daher betrachtet die PT das logische Problem beim Spracherwerb nicht als ein rein mathematisches Problem, sondern engt es ein auf die verarbeitbaren Möglichkeiten. Die PT leitet aus der Psycholinguistik eine Hierarchie der Verarbeitbarkeit ab, die mithilfe der LFG formalisiert wird und den universellen Verlauf des Spracherwerbs erklären kann. Diese Hierarchie ist in typologisch unterschiedliche Sprachen wie Englisch, Japanisch, Arabisch usw. implementiert und empirisch in umfangreichen Studien überprüft worden. Die PT benutzt zwei wesentliche Komponenten zur Modellierung von sprachlichen Prozessen, nämlich Unifikation und Mapping. Es lässt sich zeigen, dass die PT-Hierarchie mit diesen Prozessen auch Aussagen über den sog. Initial State beim Spracherwerb machen kann. Durch den formalen Rahmen der PT erfüllt sie eines der wesentlichen Kriterien einer „guten Theorie“. Sie ist problemlos falsifizierbar.

 

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Sprachwandel im gegenwärtigen Deutschen (09.11.2010 )

Prof. Dr. Heinz Vater (Universität Köln)

"Daß die Sprache in einem ständigen Wandel begriffen ist, ist etwas von ihrem Wesen Unzertrennliches" schrieb Hermann PAUL (1910: 369). Sprachwandel betrifft sowohl den Wortschatz als auch die Grammatik. Hier geht es um Sprachwandel in der Grammatik, im zentralen Bereich des Kasusgebrauchs. Ich will zeigen, dass der Titel des populären Buchs von Bastian SICK (2004) "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod", der von der umgangssprachlichen Dativumschreibung des Genitivs Gebrauch macht (vgl. meinem Vater sein Haus), nur einen Teilaspekt des gegenwärtigen Wandels andeutet. Was Sick präsentiert, ist nur die halbe Wahrheit  oder ein Viertel der Wahrheit: DI MEOLA (2000) zeigt, dass bei Präpositionen der Dativ oft durch den Genitiv ersetzt wird (z.B. bei trotz, dank, entgegen, entsprechend und samt). Auch bei Verben wird Dativ oft durch Genitiv ersetzt. Seit Langem werden zudem Dativ durch Akkusativ und Akkusativ durch Dativ (nicht nur in der Umgangssprache!) ersetzt. Man findet sogar Ersetzung des Akkusativs durch den Genitiv und Ersetzung aller drei obliquen Kasus durch den Nominativ. Alle vier Kasus des Deutschen werden zunehmend miteinander vermischt. Man kann daraus schließen, dass die Kasusdifferenzierung im Deutschen nach und nach abgebaut wird  eine Entwicklung, die in den anderen germanischen Sprachen bereits vor Jahrhunderten begann und dort zum völligen Abbau des Kasussystems geführt hat.

 


 

Konstruktionsgrammatik und Erstspracherwerb  (23.11.2010)

Dr. Arne Zeschel (Syddansk Universitet)

Empirische Studien des kindlichen Erstspracherwerbs haben einen wesentlichen Beitrag zur Herausbildung und Konkretisierung konstruktionsgrammatischer Modellvorstellungen geleistet, die sich nun ihrerseits wachsender Popularität in diesem Feld erfreuen. Der Vortrag gibt einen kurzen Überblick über zentrale Annahmen, Schwerpunktsetzungen und Befunde dieser Forschung, die mit Verweisen auf einige exemplarische Studien zu den genannten Themenkomplexen illustriert werden. Im Anschluss wird eine datenintensive Korpusstudie zum Gebrauch basaler Argumentstruktur-Konstruktionen des Englischen in kindgerichteter Sprache präsentiert und überprüft, wie sich konstruktionsgrammatische Hypothesen zur Bedeutungshaltigkeit abstrakter grammatischer Strukturen sowie ihrer Erlernbarkeit aus dem Input zu den erzielten Ergebnissen verhalten. Slides will (and discussion can) be in English, der Vortrag selbst hingegen ist auf Deutsch.

 


 

Bimodales Bootstrapping: Sprachanbahnung durch Gebärdensprache für Kinder mit der Mikrodeletion 22q11 (14.12.2010)

Prof. Dr. Helen Leuninger (Hochschule Fresenius, Idstein)

 "Jona sprach lange überhaupt nicht. Zufällig (!!) entdeckte ich die gebärdenunterstützte Kommunikation und habe Gebärden gepaukt und angewandt. Jona übernahm zuerst die Gebärden, dann lautierte er zu den Gebärden und, als seine Worte verständlich wurden, ließ er die Gebärden weg."(Zitate aus einer Fragebogenstudie, Kompetenzzentrum Sprache (2006).

Das an der Klinik für Mund- Kiefer- und Plastische Chirurgie (Leitung: Prof. Dr. Sader) angesiedelte Kompetenzzentrum Sprache betreut auf Initiative der Betroffenenorganisation kids 22q11 Kinder mit der Mikrodeletion 22q11, einem Syndrom, das mit vielfältigen somatischen und kognitiven Beeinträchtigungen einhergeht. Eine Gruppe von Kindern steigt nicht in die lautsprachliche Kommunikation ein. Daher bieten wir in einem von den Freunden und Förderern, der Hochschule Fresenius, Idstein und der Klinik für Mund- Kiefer- und Plastische Chirurgie, Kompetenzzentrum Sprache geförderten Projekt solchen Kindern in Hausbesuchen Gebärdensprache an. Die Hausbesuche werden von gehörlosen Personen durchgeführt. Dazu haben wir eine DVD erstellt, mit deren Hilfe auch die Eltern dieser Kinder Gebärdensprache lernen können und dies auch tun. Über das Mikrodeletionssyndrom und über Ergebnisse und Erfahrungen aus einer ersten Pilotstudie werde ich in meinem Vortrag berichten.

 


 

That is the question (11.01.2011)

Prof. Haj Ross (University of North Texas)

This talk will concern the architecture of emphasis – more specifically, the grammar of pseudocleft sentences.   I propose that pseudocleft sentences like what I like is tofu are to be derived from structures whose main verb is be, whose subject is an embedded question, and whose object is a sentence which could be an answer to the embedded question:  [what I like]S is [I like tofu]S.   From this source, all variants of pseudoclefts will arise by the operation of three basic rules: Cleft Sentence Formation, Copula Switch, and Sluicing.

            The first of these shortens the underlying structure by deleting parts of the post-copular "answer" sentence that repeat parts of the pre-copular embedded question.   In our example, what is repeated is the sequence I like, so what Cleft Sentence Formation (CSF) will produce is the original sentence itself:  what I like is tofu.   [CSF is sometimes optional, which I will comment on briefly.]   The rule of Copula Switch interchanges subject and object of be, not only in pseudoclefts, but also in other types of copular sentences.   Some results of Copula Switch appear below:  

 

            Sonny is King of Prussia.                          -->        King of Prussia is Sonny.   

            Telemig is on the fourth floor.                   -->        On the fourth floor is Telemig.   

            The man with three BMW's is happy.       -->        Happy is the man with three

 

                  Thus Copula Switch produces (I like) tofu is what I like.   The final rule, Sluicing, applies to delete repeated parts of questions, leaving only the wh-phrase that heads the clause;  an example would be (the shortened version of) They said that Tim was eating, but they didn't say what (Tim was eating).   The sluiced version of the copula-switched pseudo-cleft sentence we have been discussing would be I like tofu(,) is what.   There are other rules that fit in with these, but these three will serve to give a general overview of the types of sentences that will be focal in the analysis.

       I will discuss at some length an interesting phenomenon:  many types of pseudo-cleft are only grammatical when the main copular verb is either is or was. That is, while prototypical pseudoclefts can appear with any type of complex auxiliary, or with various kinds of non-finite forms of be (e. g., What my sainted aunt caught [was / may have been / seems to have been / may not be / etc. ] a fruit bat]), the limited cases, which are quite numerous, only appear with the simplest kind of copula (What she tried [was / *may have been / *seems to have been / etc.] to convert it.).   Another example of the same restriction is My sainted aunt caught a fruit bat, [ was / *seems to have been ] what.   The reason for such a restriction remains obscure, to put it mildly.

 


 

Beobachtungen zur grammatischen Variation im neuen Schweizer SMS-Korpus (25.01.)

Prof. Dr. Elisabeth Stark (Universität Zürich)

 

Der Vortrag thematisiert die Verwendbarkeit von SMS-Daten für die sprachwissenschaftliche Forschung, v.a. für Varietätenlinguistik und Grammatiktheorie. Er stellt zunächst kurz die Arbeiten am neuen Schweizer SNS-Referenzkorpus sms4science.ch  (cf. http://www.sms4science.ch) dar, um einzelne zentrale Aspekte der Datenerhebung und --verarbeitung in der Sprachwissenschaft anhand von wichtigen Fragestellungen zur Sprachverwendung in neuen Medien zu diskutieren. Dann wird er erste Ergebnisse der Datenauswertung zur Kongruenzmarkierung und Negation in den französischen SMS darlegen und nach den sich daraus ergebenden Implikationen für eine adäquate sprachwissenschaftliche  Beschreibung und Erklärung der Phänomene fragen.


Discourse Particles as Heads and Attractors in German and in Bangla (15.02.2011)

Prof. Dr. Josef Bayer (Universität Konstanz)

 

In this talk, it will be argued that discourse particles (a.k.a. modal particles) play an important and so far underestimated role in the functional architecture of the clause. Discourse particles have traditionally been taken to be adverbs, a view that is supported by their modificational nature. A popular argument against head status comes from the Head Movement Constraint. On the other hand, there are good reasons to analyze discourse particles as functional heads. Strong support for this view comes from the fact that discourse particles can attract sub-clausal constituents with which they undergo movement. In part I, it will be shown how standard appearances of discourse particles can be accommodated in the clause structure of German, and in which way discourse particles contribute to the illocutionary force of an utterance. Important insights come from marked cases in which the particle attracts a sub-clausal constituent. The trigger for this is a structurally encoded form of emphasis. It will be shown how these cases can be captured in a theory in which projections headed by particles are on a par with other functional projections. In part II, the discussion will be extended to data from current joint work on Bangla with P. Dasgupta. Discourse particles in this languages are enclitics which attract constituents of different size. Parallels between wh-scope and the scope of emphasis as induced by discourse particles suggest a common structural core. Viewed as heads and attractors, discourse particles in both languages appear to have a central place in syntax and are certainly not as idiosyncratic as traditional grammar has occasionally put them.