Einführung in die Filmnarratologie |
So hat der französische Strukturalist Roland Barthes in seiner „Einführung
in die strukturale Analyse von Erzählungen“ die Beschaffenheit von
Erzählungen umrissen. Für Barthes können alle Systeme eine Erzählung
‚tragen‘, die über einen zeichenhaften Charakter verfügen,
also ganz allgemein Zeichensysteme sind. Damit sind nicht nur Textsysteme als
eine Form von Zeichensystem gemeint, sondern auch andere kulturelle Ordnungen,
die aus Bildern oder mündlicher Sprache bestehen. ‚Zeichenhaft‘
bedeutet im strukturalistischen Sinne das arbiträre Verhältnis zwischen
einem Signifikant (Bezeichnendes) auf der Ausdrucksebene und einem Signifikat
(Bezeichnetes) auf der Inhaltsebene. Die Narratologie als wissenschaftliche
Analysemethode hat sich, nachdem sie sich zunächst der Literatur gewidmet
hat, an Barthes’ oben zitierter transmedialer Auffassung orientiert. Inzwischen
gibt es narratologische Untersuchungen, die sich u. a. mit Fotografie, Theater,
Comics und Videospielen beschäftigen.
Wenn man – wie es in den folgenden Lerneinheiten geschehen wird –
einen Spielfilm wie einen Erzähltext narratologisch analysieren möchte,
muss man sich zunächst die Frage stellen, ob ein Film genauso erzählt
wie Literatur. Dass in einem Film neue Welten entworfen werden, in denen Dinge
passieren können, die in der Realität nicht möglich sind, scheint
auf den ersten Blick ganz offensichtlich. Ebenso leuchtet unmittelbar ein, dass
dabei eine Geschichte erzählt wird, die sich innerhalb bestimmter Zeiten,
an bestimmten Orten und mit bestimmten Personen abspielt. In diesem Sinne scheint
das erzählerische Potential des Films dem der Literatur sehr ähnlich zu
sein. Aber wie werden bestimmte Blickwinkel und Perspektiven oder Gefühle
der Figuren vermittelt? Wer ist eigentlich der Erzähler in einem Film,
wenn niemand eine berichtete Rede mit einer Inquit-Formel einleitet? Und wo
genau ist dieser Erzähler im Film zu finden? Wie bei literarischen Texten
gibt es auch im Film die Unterscheidung zwischen einer Untersuchung des ‚Was?‘
und des ‚Wie?‘ Mit anderen Worten, die meisten Filmnarratologen
beschäftigen sich hauptsächlich mit der Frage, wie der Film seine
Erzählung präsentiert. Neben so genannten plot-Untersuchungen, die
sich eher mit der Dramaturgie und der Geschichte, also dem ‚Was?‘
eines Films beschäftigen, ist die Präsentation der Erzählung
einer der Hauptgegenstände der Filmnarratologie, die als ‚junge‘
Wissenschaft ständig im Begriff ist, Schwerpunkte, Terminologie und Erkenntnisinteresse
zu wechseln. Ältere Forschungen zur Erzähltheorie haben dem Film aufgrund
dieser Fragen zwar ein hohes erzählerisches Potential bescheinigt, bemängelten
aber weiterhin, dass der Film nicht fähig sei, die inneren Prozesse einer
Figur darzustellen. Das war oft die Grundlage für eine Diskussion, in der
dem Film sein erzählendes Moment im Sinne von Platon abgesprochen wurde:
Weil der Film nicht fähig sei, diegetisch zu erzählen, also Distanz
zwischen dem Zuschauer und der erzählten Welt mit Hilfe der Erzählung
von Ereignissen oder auch von Worten zu vermitteln, sei der Film doch eher zu
den klassischen mimetischen Künsten wie dem Theater zu zählen und
habe keinen Erzähler.
Wer den Film mit den gleichen Parametern wie der Literatur misst, wird allerdings
dem Medium nicht gerecht und verkennt, dass der Film eben nicht zu denjenigen
Zeichensystemen gehört, die zugleich auch schriftsprachliche Textsysteme
sind. Aus diesem Grund schreibt der Filmwissenschaftler James Monaco in seinem
Handbuch „Film verstehen“:
Während der literarische Erzähler über verschiedene Formen von Mimesis und Diegesis den mentalen Zustand und die Gedanken einer Figur vermittelt, übernehmen im Film andere Instanzen diese Funktion. Diese Instanzen sind durchaus mit dem Erzähler zu vergleichen, sie werden daher auch filmischer Erzähler oder narrative Instanz genannt und können mit Hilfe der Filmnarratologie erschlossen werden. Wie in der Literatur lassen sich an den Film Fragen stellen, die sowohl auf der Ebene der Geschichte beantwortet werden können als auch – und das zum größten Teil – auf der Ebene der Erzählung. Beide hängen in der Praxis untrennbar zusammen, aber in der Theorie ist es möglich, sie getrennt voneinander zu analysieren. Denn nach wie vor gilt das Genettesche Diktum: „Geschichte und Narration existieren […] nur vermittelt durch die Erzählung.“ Gérard Genette: Die Erzählung. 2. Auflage. München 1998, S. 17. Im Folgenden wird aus diesem Werk nur mit Seitenangabe zitiert.
Einige Kategorien konnten dabei übernommen
werden, in vielem musste die Filmwissenschaft allerdings neu ansetzen und erhebliche
Modifikationen leisten.
Das Modul „Einführung in die Filmnarratologie“ orientiert
sich an dem Modul „Einführung in die Narratologie“. Die erfolgreiche
Absolvierung des vorliegenden Moduls setzt also die Kenntnis der Genetteschen
Grundbegriffe und deren Anwendung voraus. Im Folgenden werden die Grundlagen
der filmnarratologischen Analyse vermittelt: Nach einem Abriss zum filmischen
Zeichen folgt eine Darstellung der filmischen Geschichte und Erzählung.
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