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Troels Thorborg Andersen

Utopie lesen, schreiben, leben. Formen der Utopie bei Ernst Bloch und Rainald Goetz

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Bildquelle: Lorenz Becker

Doktorand/in

Ich studierte Germanistik und Philosophie in Kopenhagen, Tübingen und Bologna. 2017 absolvierte ich den Master in Germanistik mit einer Arbeit zur textuellen Entwicklung des Frühwerks Ernst Blochs Geist der Utopie im historischen Kontext der Jahre 1918-1923

Meine Forschungsinteressen sind vor allem: deutschsprachige Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts; das Verhältnis zwischen Literatur und Philosophie; Ästhetik zwischen Literatur und Musik; Subkulturen, Politik und deren literarischen Ausdruck.

Neben der akademischen Tätigkeit bin ich Übersetzer deutschsprachiger Literatur und Philosophie ins Dänische, u.a. Rainald Goetz, Christa Wolf und Hans Henny Jahnn. Von Zeit zu Zeit schreibe ich über Theater und Literatur, u.a. in der dänischen Onlinezeitschrift Atlas.

An Universität Kopenhagen, SoSe 2022, zusammen mit Prof. Christian Benne:

"Musik denken, Musik schreiben. Die Rolle der Musik in der deutschen Literatur- und Geistesgeschichte"

(Oberseminar, MA Germanistik)

Utopie lesen, schreiben, leben. Formen der Utopie bei Ernst Bloch und Rainald Goetz

In meiner Dissertation untersuche ich die Formen der Utopie zwischen philosophischer Begrifflichkeit und literarischem Stil. Utopien implizieren immer sowohl einen politisch-ethischen Inhalt des Guten – etwa des guten Staates, des guten Lebens oder des guten Arbeitens – als auch die Problematik der Verwirklichbarkeit dieses imaginierten Ideals. Die beiden Seiten der Utopie, das inhaltlich Ethisch-Politische und die Herstellungsproblematik, werden nicht ausschließlich mimetisch repräsentiert im Modus der Fiktion, sondern werden die beiden Seiten der Utopie immer auch durch die sprachlich-stilistische Formgebung des Textes mitreflektiert. Das Zusammenspiel von Inhalt und Form der Utopie, will ich in meiner Arbeit untersuchen.

Die Zweiseitigkeit der Utopie wurde in der (deutschsprachigen) Literaturwissenschaft meistens unter dem Kennzeichnen der Gattung behandelt. Seit Thomas Mores Utopia (1516) wird Utopie als eine spezielle literarische Gattung beschrieben. Obwohl die Forschung (vor allem Wilhelm Voßkamps) in den letzten Jahrzehnten die Gattungskriterien aufgelockert und dadurch der Gattung ‚Utopie‘ neue Möglichkeiten der Formgebung zuerkannt hat, steht eine grundlegendere Untersuchung des Zusammenspiels von vorgestelltem Inhalt und sprachlich-stilistischer Form der Utopie noch aus.

Ernst Blochs Nachdenken über Inhalt und Form der Utopie lädt, trotz vielfältiger Auseinandersetzungen mit dem Philosophen innerhalb der literaturwissenschaftlichen Utopieforschung, immer noch zu weiterer Erforschung ein. Bloch schreibt philosophisch über Utopie – d. h. er erkundet „den utopisch prinzipiellen Begriff“ (aus "Geist der Utopie", 1918/23) – anhand literarischer Formen wie Allegorien, Metaphern, Satzbrüche, Montagen, Gattungsmischungen. Er versucht mit anderen Worten, seinen philosophisch-theoretischen Begriff der Utopie anhand literarischer Formen zu beschreiben. In diesem paradoxen Bemühen untersucht er genau, wie die sprachlich stilistische Form der Utopie sowohl die Rezeption als auch die ethisch-politische Umsetzung der Utopie beeinflusst. Blochs Bemühen um einen „utopisch prinzipiellen“ bzw. einen philosophisch-theoretischen Begriff der Utopie, der sich notwendig in interpretationsbedürftigen und höchst subjektiven stilistischen Formen präsentiert, werde ich deshalb nachgehen.

In der jüngsten deutschen Literaturgeschichte habe ich bei Rainald Goetz ein mit Bloch ähnlichem Bemühen um Utopie identifiziert. Dies mag für die Goetz-Forschung, die meistens im Bereich der Gegenwartsliteratur bzw. Popliteratur angesiedelt ist, zunächst eine überraschende Feststellung sein, nicht desto weniger meine ich in der literarischen Formsprache Goetz‘ eine philosophisch-theoretische Vorstellung von Utopie erkennen zu können, die ethisch-politische Implikationen hat. Inhalt der Utopie Goetz‘ ist ethisch-politisch im Sinne der Zusammenkunft vom Produzenten und Rezipienten im Medium des Textes. Es geht mir also nicht darum, Goetz einer politischen Nähe zu Bloch unterstellen zu wollen, sondern möchte ich nachweisen, dass es bei Goetz ein mit Bloch verwandtem Nachdenken über Formen der Utopie zu erkennen gibt, die ohne Rücksicht auf literarische Stilfragen nicht zu entschlüsseln ist.

Von Bloch und Goetz ist somit zu entnehmen, dass Utopie und deren inhaltlichen Implikationen zunächst mit Blick auf Stil und Form des Textes untersucht werden muss. Dabei kann mit diesen Autoren erneut die Frage nach dem ethisch-politischen Potenzial der Literatur gestellt werden, allerdings nicht indem bei ihnen politische Gesellschaftsutopien identifiziert werden können, sondern indem ihr Nachdenken über die formalen Bedingungen einer utopischen Gemeinschaft im Medium des Textes untersucht wird. Ihr Denken über Utopie könnte vielleicht als eine Suche nach Interpretationsgemeinschaften bezeichnet werden.

Artikel:

"Ernst Blochs utopische Poetik". VorSchein 36: Marxismus und Philosophie. Doris Zeilinger (Hg.). Jahrbuch der Ernst-Bloch-Assoziation. Antogo Verlag 2019, S. 179-189.

"Troen på muligheden af en fuldstændig forandring af verden". Atlas. 14.12.2019. https://atlasmag.dk/kultur/scene/troen-p%C3%A5-muligheden-af-en-fuldst%C3%A6ndig-fornyelse-af-verden

"Literaturwissenschaft im Werden". Literaturwissenschaften in Berlin. 18.02.2021. https://literaturwissenschaft-berlin.de/literaturwissenschaft-im-werden/

"Schreiben fürs Leben und gegen den Tod". Nachbarschaften (Anthologie, ZfL). September 2021. http://zfl-nachbarschaften.org/2021/09/24/schreiben-fuers-leben-und-gegen-den-tod/#

"Founding an Open Access Journal" (Zusammen mit Jonas Mirbeth, Eileen Jahn, Naghmeh Esmaeilpour). Arbeitskreis Erstveröffentlichung. Juli 2022. https://erstveroeffentlichung.org/2022/07/05/founding-an-open-access-journal/


Rezension:
Larson Powell: The Films of Konrad Wolf. The Archive of Revolution. focus on German Studies 28 (2021). University of Cincinatti, S. 197-202. https://journals.uc.edu/index.php/fogs/issue/view/259/25

Lena Hintze: Werk ist Weltform. Rainald Goetz' Buchkomplex "Heute Morgen". Zeitschrift für deutsche Philologie. Bd. 140, Heft 4/2021, S. 629-633. https://zfdphdigital.de/ce/lena-hintze-werk-ist-weltform-rainald-goetz-buchkomplex-heute-morgen-bielefeld-transcript-2020/_sid/KGEQ-389948-Zh1U/detail.html


Interview:

"Forudilende vemod" (mit Leif Randt). Atlas. 02.01.2021. https://atlasmag.dk/kultur/b%C3%B8ger/forudilende-vemod

"Det handler om intimitet" (mit The Agency). bastard. 29.01.2021. https://bastard.blog/det-handler-om-intimitet/


Übersetzung:

Goetz, Rainald: Rave [de. Rave]. Det Poetiske Bureaus Forlag. København 2018.

Jahnn, Hans Henny: En lille rejse gennem København [de. Kleine Reise durch Kopenhagen]. Baltic Sea Library. https://www.balticsealibrary.info/69-balticsealibrary/texts/german/639-kleine-reise-durch-kopenhagen.html?tab=danish

Kirsch, Sarah/Morgner, Irmtraud/Wolf, Christa: Kønsbytning [de. Geschlechtertausch]. Det Poetiske Bureaus Forlag. København 2019.


Vortrag:

"Ernst Blochs revolutionsetik". Selskab for Marxistiske Studier. Roskilde Universitet. 1.-2. September 2017.

"Techno og filosofi. Om at oversætte Rainald Goetz' Rave". Tysk fredag. Københavns Universitet/Goethe Institut Kopenhagen. 16. März 2018

"Ernst Blochs utopische Poetik". Jahrestagung der Ernst-Bloch-Assoziation. Hamburg. 2.-4. November 2018.

"We'll never stop living this way" (zu Goetz und Utopie). Internationale Vereinigung für Germanistik. Palermo (online). 31. Juli 2021.

"Philosophie der Jugend" (zu Goetz' Walter-Benjamin-Lektüre). International Walter Benjamin Society. Berlin (online). 4.-6. November 2021.


Veranstaltung:

Mitorganisation der Jahrestagung der Friedrich Schlegel Graduiertenschule 2021: "Borrowed Wor(l)ds. Aneignung jenseits des Anführungszeichens". 29. Oktober 2021: https://www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/friedrichschlegel/aktivitaeten/FSGS-Jahrestagungen/2021-Jahrestagung/index.html

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