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Elisabeth Stark

Elisabeth Stark: Professorin für romanische Sprachwissenschaft an der Universität Zürich - Ein Interview

 

Bettina Werner:      Sehr geehrte Frau Professor Stark, Sie haben u.a. Romanistik studiert und sind jetzt als Professorin für romanische Sprachwissenschaft tätig. Inwiefern zeichnete sich zu Beginn Ihres Studiums Ihr späterer Werdegang ab?

Prof. Stark:          Ich habe zwar auf Lehramt studiert und mein Studium auch mit dem Staatsexamen abgeschlossen, da es in Bayern im Vergleich zum Magister häufig als der ‚höherwertige’ Abschluss angesehen wird, aber zwei Dinge haben mich dazu bewogen, keine Lehrerlaufbahn einzuschlagen. Erstens hat mich von Anfang an die Sprachwissenschaft sehr fasziniert. Ich wusste allerdings, dass Sprachwissenschaft leider in der Schule als solche weniger eine Rolle spielt, und dass Sprachwissenschaft eine eher universitäre Disziplin ist. Und dann habe ich im 5. Semester eine Erfahrung gemacht, die für mich den Ausschlag gab, mich endgültig gegen den Lehrerberuf zu entscheiden. Ich habe ein Blockpraktikum an einem Gymnasium absolviert, und das war für mich eine eher unbefriedigende Erfahrung – für die Kinder auch, glaube ich. Ich hatte zum Glück einen sehr guten Seminarleiter, der mir gesagt hat: „Wissen Sie, wenn Sie Lehrerin werden wollen, dann ist nicht die Frage, ob Sie eine gute Germanistin oder eine gute Romanistin sind, sondern es ist die Frage, ob Sie gerne mit Kindern arbeiten.“ Die Frage konnte ich definitiv mit „Nein“ beantworten. Ich wollte zwar gerne unterrichten, aber nur an der Uni und nicht an der Schule.

 

Werner:     Was sagte die fünfzehn- oder sechzehnjährige Elisabeth Stark, wenn sie gefragt wurde, was sie mal werden wolle?

Stark:        Lehrerin. Ich wollte Deutsch und Französisch studieren und dann Lehrerin werden.

 

Werner:     Gab es während Ihres Studiums einschneidende Eindrücke, Begegnungen, herausragende Dozenten, die einen bedeutenden Einfluss auf ihre berufliche Entwicklung hatten?

Stark:        Ja. Das eine war das allererste Linguistik-Seminar in Germanistik im ersten Semester. Da habe ich gewusst, das will ich machen, ich will selbst Sätze und Morpheme analysieren, und Gedichte lesen kann, muss aber nicht Teil der beruflichen Tätigkeit sein. Der andere entscheidende Einfluss war mein späterer Doktorvater, Wolf Dieter Stempel, ein Romanist, der selbst sehr, sehr gut Französisch kann und einfach ein toller akademischer Lehrer ist. So wusste ich, da bleibe ich: Ich möchte Linguistin werden.

 

Werner:     Welche Schwerpunkte in Ihrer Ausbildung haben sich im Nachhinein als besonders hilfreich für Ihren jetzigen Beruf erwiesen?

Stark:        Also, das ist wahrscheinlich bei Wissenschaftlern wahnsinnig langweilig, weil immer im gleichen Gebiet verbleibend. Mein Schwerpunkt im Studium war bereits die Sprachwissenschaft. Den Schwerpunkt habe ich aus Interesse gesetzt, nicht, weil ich unbedingt Professorin werden wollte - aber promovieren wollte ich schon.

 

Werner:     Wie sieht der Alltag einer Universitätsprofessorin aus?

Stark:         Es sollte so sein, dass wir wirklich viel oder wenigstens ausreichend Zeit haben, uns auf die Lehre vorzubereiten, bei in der Regel 9 Stunden Unterricht pro Woche. Das heißt, meist sollten 2 Tage, manchmal 3 Tage, gefüllt sein mit Vor- und Nachbereitung, dann auch mit Sprechstunden oder weiteren Gesprächen mit Studierenden und Kollegen. Bei 2 oder 3 Tagen regulärer Präsenzzeit an der Uni haben in der letzten Zeit aber leider die Gremienarbeit und die Verwaltungsarbeit  stark zugenommen, so dass nun eher die Sitzungstermine den Tag rhythmisieren, sowie die Vor- und Nachbereitung der Sitzungen. Das ist also neben der Lehre der Alltag, wenn ich an der Uni bin. Ansonsten bin ich eine Nicht-Präsenz-Professorin, das heißt, die anderen Tage der Woche verbringe ich in der Regel zu Hause mit Forschung, konkret in Jogginghose am Rechner, ungekämmt. Diese Art von Arbeit ist prinzipiell etwas, was die Studierenden auch kennen: Lesen und Schreiben am Rechner, versuchen zu verstehen, vielleicht e-mails mit Kollegen austauschen.

Das heißt, der Alltag sieht insgesamt wohl so aus, das ich zugegebenermaßen erst um 9 Uhr anfange, aber dann werden es regelmäßig 12 Stunden, meist 7 Tage die Woche. Das ist aber keine Last, wenn die Zeit wirklich frei bleibt zum Forschen, dem Kern meiner Tätigkeit aus meiner Sicht. Was ich angesichts der hoch erscheinenden Arbeitsbelastung vielleicht noch positiv sagen kann: In der vorlesungsfreien Zeit finden die Forschungsreisen statt und die Kongresse. Das bringt dann auch ein bisschen Entspannung und Freude durch den intensiven wissenschaftlichen Austausch und einfach auch das Wiedersehen mit den Kollegen aus aller Welt. Natürlich hat man davor auch Stress wegen der Vorbereitung des eigenen Vortrags, aber dann fährt man auf die Kongresse, trifft sich mit Kollegen und tauscht sich aus. Das sind sehr bereichernde Momente, die sich Studierende vielleicht noch nicht vorstellen können.

 

Werner:     Welche Fähigkeiten und Charaktereigenschaften schätzen Sie als besonders wichtig ein, um erfolgreich eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen?

Stark:        Fleiß - allererster Punkt; außerdem Disziplin und eine gewisse Art von ‚Leidensfähigkeit’. Sie merken, ich nenne nicht Intelligenz oder Begabung an erster Stelle. Natürlich geht es nicht ohne, aber eine reine Begabung ohne die Fähigkeit und den Willen zum disziplinierten kontinuierlichen Arbeiten führt eine wissenschaftliche Laufbahn schnell an ihr Ende. Fleiß ist also zentral, denn die Arbeitsumstände sind komplex und für manche sicher schwierig. Wir haben im Grunde ja keine fixen Arbeitszeiten, es sei denn, wir setzen sie uns selbst. Ich habe vorhin von 9 Stunden Lehre gesprochen und von den Sitzungen. Das sind aber trotzdem in der Woche nur 4 oder 5 fixe Termine. Ansonsten hindert mich niemand daran, jeden Tag bis in den frühen Morgen wegzugehen und bis 12 Uhr zu schlafen. Deshalb kann man diesen Beruf nur ausüben, wenn man sehr diszipliniert und fleißig ist. Die Sache mit der ‚Leidensfähigkeit’ ergibt sich aus der Kopplung aus hoher Arbeitsbelastung und finanzieller Unsicherheit bis zur ersten Berufung. Denn bis zur Professur, der Lebenszeitverbeamtung in Deutschland, ist es ein weiter Weg. Offiziell rechnet man maximal 12 Jahre vom Studienabschluss bis zur Professur. Das ist eine enorm lange Ausbildungszeit. Bis dahin gibt es oft lediglich Dreimonats- oder Halbjahresverträge. Das muss man selbst aushalten, vor allem aber muss es auch der Partner mitmachen.

Andere wichtige Fähigkeiten sind sicher Menschenkenntnis und politische Klugheit, denn es ist sehr schwierig, Allianzen zu bilden oder, schöner ausgedrückt, Netzwerke. Auch um eine Professur zu bekommen, muss man irgendwie bekannt sein, nicht gerade als das seltsame Genie, sondern eher auch als nett und offen. Trotzdem darf man nicht allen Menschen vertrauen, muss genau abwägen, was ist positiv, was ist negativ. Ich habe jetzt erst gelernt, dass man das braucht. Mir gehen diese Fähigkeiten leider manchmal ein bisschen ab.

 

Werner: Welche Eigenschaften wären eher hinderlich?

Stark:        Schüchternheit, Naivität und eine geringe Frustrationstoleranz. Auch wenn man genial ist, braucht man einfach Geduld. Man muss akzeptieren können, dass die allerbeste Idee von anderen nicht gut gefunden werden kann, auch wenn sie genial ist.

 

Werner:     Welche Ratschläge und Tipps würden Sie heutigen Bachelorstudierenden mit auf den Weg geben, die eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen wollen?

Stark:        Das Allerwichtigste ist ein gutes Zeitmanagement, denn die Bachelorstudiengänge verlangen sehr schnell sehr viele Scheine, das heißt, es sieht so aus, als ob man nicht in die Tiefe gehen könnte. Das kann man aber, wenn man seinen Alltag und sein Studium gut organisiert. So gut, dass man sagt: „Ich vertrödele jetzt nicht 3 Stunden mit Kaffeetrinken, sondern diese 3 Stunden nutze ich, um ein Buch zu lesen oder meine wissenschaftlichen Interessen voranzutreiben.“ Eine andere Sache ist, dass man, wenn man Geld verdienen muss, sich um ein Stipendium bemüht, damit man Zeit gewinnt und diese nicht im Job vertrödeln muss. Das Wichtigste ist, noch mal, ein gutes Zeitmanagement, dann geht’s. Zweitens ist wichtig, Kontakt zu den Dozierenden zu suchen. Alle meine Hilfskräfte oder Mitarbeiter sind mir natürlich deshalb aufgefallen, weil sie den Mund aufgemacht haben. Ein stummes Genie bemerkt man nicht. Selbst wenn man dann eine Arbeit korrigiert und sagt, Mensch, das ist hervorragend, würde man das stumme Genie nur selten ansprechen. Man würde sagen, na, er oder sie ist vielleicht schüchtern oder will vielleicht gar nicht. Deshalb ist die Kontaktaufnahme sehr wichtig.

 

Werner:     Der Anteil weiblicher Studierender in der Romanistik ist sehr hoch, der Frauenanteil unter den Professuren ist aber nach wie vor sehr gering. Welche Tipps und Ratschläge würden Sie speziell Studentinnen geben, die sich in dieser Männerdomäne behaupten wollen?

Stark:        Eigentlich gerade das, wovon ich eben gesprochen habe: Frauen sollten ihre Kommunikationsfähigkeit nutzen und sich viel mehr zu Wort melden. Vielleicht müssen sie sich immer noch den Rederaum erkämpfen. Wenn sie merken, es sind immer die gleichen zwei guten Jungs, die reden, dann müssen sie sich eben auch einmal melden, einfach um zu zeigen, ich bin hier.

Das andere ist das Selbstbewusstsein. Das wird Mädchen leider häufig abtrainiert. Notfalls sollten sich Frauen auch coachen lassen und nicht glauben, dass die Jungs das von selbst können. Sie sind oft gut im Vernetzen, im Sich Vordrängeln, im Sich Vorteile Verschaffen, und Mädchen sind darin eher schlecht. Die lassen immer alle vor: Die Mädchen sind oft die, die die Handouts austeilen, während die Jungs die sind, die in der Zeit das Handout lesen und sich dann melden. Man muss also Vorteile und Sichtbarkeit erkämpfen und darf nicht davon ausgehen, dass die anderen die Weisheit mit Löffeln gegessen haben. Die kochen auch nur mit Wasser, sind allerdings häufig geschicktere Netzwerker.

Werner: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Elisabeth Stark war bis Januar 2008 Professorin für romanische Sprachwissenschaft (Schwerpunkt Italianistik) an der Freien Universität Berlin und ist jetzt Ordentliche Professorin für romanische Sprachwissenschaft (unter besonderer Berücksichtigung der französischen Sprachwissenschaft) an der Universität Zürich.