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Trauerrede Student März

Nachruf der Studierenden auf Christoph März

Stellvertretend für viele Kommilitoninnen und Kommilitonen, die die folgenden Erinnerungen zusammengetragen haben, versuche ich, einige Schlaglichter auf den Lehrenden Christoph März zu werfen.

Wenn wir in den Seminarraum kamen, war er fast immer schon da. Beziehungsweise in der Nähe. Seine Ledertasche lag auf einem der vorderen Tische im Raum. Aus der Baumwolltüte hatte er einen Stapel meist antiquarischer Bücher, oft Folianten, daneben gelegt. Dann verließ er den Raum und lief in Gedanken versunken den Gang auf und ab. Dies bot ihm auch die Gelegenheit, noch seinen Schwarzen Krausen zu rauchen. Und wir konnten diese Minuten nutzen, um mit unseren Fragen seine Kreise zumindest kurzfristig zu stören.

Christoph März hat, auch wenn es immer wieder Phasen gab, in denen er kaum erreichbar war, klar gemacht, dass er für uns da ist und nicht anders herum. Wer ihn fragte, ob sie oder er bei ihm geprüft werden könne, musste sich als erstes herbe Kritik anhören. Nicht weil es wichtigeres oder dringenderes als Prüfungen für ihn gab, sondern weil es für ihn so selbstverständlich war, diese Leistung für seine Studierenden zu erbringen, dass ihm die Frage danach zu unterwürfig vorkam. Christoph März stellte sich in unseren Dienst, mitunter nahm er sich dabei weit zurück: Nach seiner krankheitsbedingten Abwesenheit im Sommer 2004 schrieb er einem Kommilitonen: „Nun habe ich doch die Korrektur Ihrer Hausarbeit übernommen; ich hoffe, das ist Ihnen nicht zuwider.“

Das mag als rhetorische Spielerei abgetan werden. Doch sein Umgang mit uns zeigte anderes. Dass er beispielsweise bereits in der zweiten Sitzung eines Semesters in der Regel alle Kursteilnehmer beim Namen kannte, zeugt von seinem Respekt gegenüber uns Studierenden und davon, wie wichtig ihm die Lehre gewesen ist. Dabei sah Christoph März uns immer auf gleicher Augenhöhe. Einer seiner Tutoren hatte ihn zum Essen eingeladen, ein Vorhaben, das die Mutter des Einladenden unerhört fand. Christoph März antwortete auf die Einladung folgendermaßen: „Herzlich gern nehme ich Ihre Einladung an, aber bitte sagen Sie doch Ihrer Mutter, dass man niemals Hierarchen oder Subarchen einlädt, sondern immer Menschen.“ Bevor er allerdings zusagte, fragte Christoph März seine Hilfskraft nach einer Einschätzung der Lage.

Ich möchte noch einmal auf die bereits angesprochene Hausarbeit eingehen, die unter anderem mit folgendem Kommentar an den Verfasser zurückging: „Die zaghaften Versuche, gegen die Forschungsliteratur auch einmal anzuschreiben, hätten kantiger ausfallen können.“ Christoph März wollte unsere Meinungen hören und lesen, nicht die der Forschungsliteratur. Deshalb verlangte er auch ohne wenn und aber eigene Übersetzungen der alten Texte. Nur über das selbst gewonnene Verständnis der Originale sei eigene Erkenntnis zu gewinnen, so sein Credo. Auch sonst verlangte er ein gehobenes Maß an Grundbildung: Freies und spontanes Herleiten des Textsinns ohne Hilfsmittel sowie das Beherrschen der Ablautreihen im Schlaf wollte er voraussetzen können. Sollte den Seminarteilnehmern kulturelles und allgemeines Grundwissen fehlen, zeigte er sich persönlich betroffen und war eiligst bemüht, die entdeckten Lücken kurz und anschaulich zu schließen. Seine Hausarbeitskorrekturen waren außerordentlich penibel. Selbst bei den nebensächlichsten Zitaten hat er jedes fehlende Komma angemahnt. Auch legte er wie kaum ein Zweiter Wert auf die Verbesserung von Stilblüten und Ausdrucksfehlern in unseren Seminararbeiten.

Eigenes Denken war für Christoph März dennoch nie allgültig richtig und vor allem bedeutete es eigenes Zweifeln. So war er stets offen für Meinungen und kontroverse Diskussionen. Er wollte nicht seine Sicht der Dinge verbreiten, sondern gemeinsam offene Fragen klären. Wichtiger als vorgekaute Standpunkte war es ihm, zum Nachfragen und Zweifeln anzuregen. Für ihn gab es nie die eine Lesart; jede Tradition konnte und musste in Frage gestellt werden. Kaum eine Sitzung verging, ohne dass Christoph März bereit war, seinen eigene Meinung zu hinterfragen und uns versprach, diesen oder jenen Punkt nochmals nachzuschlagen. Sollten wir ihn auf etwas gebracht haben, was der Prüfung durchs Nachschlagen stand hielt, war ihm die Freude über diese Horizonterweiterung in der kommenden Sitzung deutlich ins Gesicht geschrieben. Und wenn Christoph März etwas derart interessant fand, dass er der Meinung war, es könnte bei der Vorbereitung auf das Referat, beim Abfassen der Hausarbeit helfen, dann bekamen wir schnell ein Buch aus seiner Privatbibliothek ausgeliehen.

Entgegenkommend und großzügig haben wir ihn erlebt. Und, was bei der Vorbereitung dieser Sätze von vielen immer wieder angesprochen wurde, mit einem großen Schalk im Nacken. Es war ein leiser, spielerischer Witz, meist staubtrocken und oft so subtil, dass es dauerte, bis er, wenn überhaupt, verstanden wurde. So trocken Christoph März’ Humor war, so spröde schien seine Art. Wer aber als Hilfskraft, Tutor oder Prüfungskandidatin mit ihm zu tun hatte, weiß, wie viel Herzlichkeit und Anteilnahme er seinen Mitmenschen entgegen brachte.

Trotz allen Schalks und aller Freude war auch seine tiefe Traurigkeit immer präsent. Zwar forderte er von uns einiges an Leistung und Wissen und stellte sich in unseren Dienst, doch war im das Abprüfen von Leistungen prinzipiell zuwider. Mir gegenüber hat er mehrfach klar gemacht, wie sehr ihn der Leistungsdruck an der Hochschule belastete. Benotete Scheine, Zwangsberatung für die so genannten Langzeitstudierenden oder  Eingangsvoraussetzungen für Module waren ihm ein Gräuel. Er träumte vom freiwilligen Lernen und lebte damit im permanenten Widerspruch zur Realität, was ihn, sicher nicht nur aufgrund der eben angeführten Beispiele, sichtbar belastete. Auch seine kleine fragile Handschrift zeugt von einer Zerbrechlichkeit, die nicht hilfreich sein konnte, wenn es darum gehen sollte, über andere zu urteilen.

Die ältere Abteilung unseres Instituts hat mit dem Tod von Christoph März noch stärker als zuvor mit Personalnot zu kämpfen. Aber diese lässt sich mit dem Willen der Verantwortlichen in Institut und Fachbereich auffangen.

Wir haben aber vor allem einen lieben Menschen verloren, der, auch wenn er es selbst kategorisch ablehnte, in diesen Beziehungen zu denken, ein Lehrer für uns war.

Jörg Lothar Braun