Springe direkt zu Inhalt

„Tragik vor der Moderne“, interdisziplinäre Tagung im Seminarzentrum der FU Berlin

17.02.2010 - 19.02.2010

Interdisziplinäre Tagung vom 17.-19.02.2010 in Berlin, Tagungsleitung gemeinsam mit Dr. Regina Töpfer (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main)


„Seit Aristoteles gibt es eine Poetik der Tragödie, seit Schelling erst eine Philosophie des Tragischen.“ – so beschreibt Peter Szondi in seinem Essay ‚Versuch über das Tragische‘ das Verhältnis von antiker (und mittelalterlicher) Praxis tragischen Handelns und ihrer theoretischen und subjektphilosophischen Reflexion in der Moderne.

Szondi faßt prägnant eine Auffassung zum Tragischen in Moderne und Vormoderne zusammen, die seit der Frühen Neuzeit, in geschichtlicher Beschleunigung und Prononciertheit seit etwa 1800, die Diskurse über Wesen und Idee des Tragischen bestimmt und in Hegels Konzept von dem Tragischem als allgemeinem Weltzustand gipfelt, in dem durch die Kollision gleichrangiger Werte der notwendige Untergang eines Protagonisten herbeigeführt wird. Über Hegel wirkt dieses (pseudo-)metaphysische Konzept vor allem im deutschen Sprachraum bis in die Gegenwart hinein und hat sich in zahlreichen Interpretationen antiker und mittelalterlicher Texte niedergeschlagen.

Damit wird der Antike, noch radikaler aber dem gesamten Mittelalter, die Fähigkeit und das Bewußtsein abgesprochen, die für die Moderne zentrale Kategorie des Tragischen zu denken und als Modus des In-der-Welt-Seins kritisch zu reflektieren. Während die Antike als Zeit gilt, in der Tragik zwar objektiv beschrieben, aber nicht in ihrer subjektiven Ursache analysiert werden konnte, wird das Mittelalter insgesamt als untragische Epoche klassifiziert, da das christlich-mittelalterliche Weltbild, in dem jeder nach seinem Verdienst behandelt werde, keinen Raum für Tragik lasse.

Anknüpfend an die anglo-amerikanische Forschung sowie neuere Beiträge in der Erforschung der aristotelischen Poetik ist jedoch zu fragen, inwieweit sich diese metaphysische Deu­tungsperspektive für die Literatur vor der Moderne eignet und die Absolutsetzung eines in seiner historischen Genese nachvollziehbaren „modernen Sonderwegs“ in der Bestimmung des Tragischen einer kritischen Revision standhalten kann.

Die geplante Tagung widmet sich diesen Fragen und untersucht, welche Formen des Tragischen und der Tragödie für die Antike und das Mittelalter kennzeichnend sind und inwiefern sich diese von genuin modernen Konzepten unterscheiden. Damit sollen die literarische Gestaltung und theoretische Reflexion in Texten untersucht werden, die vor dem Paradigmenwechsel in der deutschen Theoriegeschichte entstanden sind.

Angestrebt wird eine Konzentration auf die Handlungsstruktur poetischer Texte der Antike und des Mittelalters. Diese soll in den Beiträgen und Diskussionen unter Berücksichtigung der modernen Wirkungsgeschichte und der in ihr formulierten philosophischen Tragikentwürfe sowie alternativer Tragikkonzepte (vor allem des Aristoteles) analysiert werden.

Diese Hinwendung zu einem poetologischen Verständnis erlaubt es, auch in der nichtdramatischen Literatur Strukturen und Elemente tragischen Handelns zu erkennen. Es ist sowohl zu untersuchen, wie Homers ‚Ilias‘ oder Episoden in Vergils ‚Aeneis‘ mit Hilfe tragödientheoretischer Begriffe gedeutet werden können, als auch wie das Leiden der Protagonisten in der mittelalterlichen Heldenepik oder in den höfischen Romanen dargestellt und motiviert wird.

Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Klassischen Philologen und Mediävisten sollen die Kontinuitäten und Brüche in dem Transfor­mationsprozeß tragischen Erzählens erarbeitet und Konsequenzen für die Interpretation von Literatur vor der Moderne abgeleitet werden.

Zeit & Ort

17.02.2010 - 19.02.2010

J 32/ 102 FU Berlin