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TOPOI, Research Area: C, Forschergruppe: C I a Languages: Description of Spaces in Times of Change: Diskursorte‘: Rom und Mailand in der Spätantike

TOPOI, Research Area: C, Forschergruppe: C I a Languages: Description of Spaces in Times of Change: Diskursorte‘: Rom und Mailand in der Spätantike

wiss. Mitarbeiterin: Judith Esders

Im Zentrum stehen die beiden Orte Rom und Mailand im 4./5. Jh., d.h. Rom als kulturelle und Mailand als politische Hauptstadt. Das Teilprojekt hat also die „Beschreibung“ von zwei „Räumen“ zum Ziel, die in diesen zwei Jahrhunderten Ort für intellektuelle und kulturelle Veränderungen waren, weshalb die an diesen Orten agierenden und schreibenden Personen als Akteure und die dort vorhandenen Institutionen als Plattformen ihrer Interaktionen im Zentrum stehen sollen.

Rom und Mailand werden als ,Diskursorte‘ bezeichnet, d.h. als Orte, wo – in der Darstellung der daran beteiligten Personen – bestimmte Diskussionen stattfanden, Positionen ausgehandelt oder autoritativ festgelegt und wo durch diese Verhandlungen Macht, Kultur, Wissen und/oder Ideologien inszeniert wurden. Prominente Anwesende – in Rom: Ambrosius, Symmachus, Nicomachus Flavianus, Hieronymus, Augustin, Pelagius, Servius usw., in Mailand: Ambrosius, Augustin, Manlius Theodorus, Claudian usw. – stehen zwar allein wegen ihrer Relevanz für die Kultur-, Philosophie-, Dogmen- und Kulturgeschichte im Zentrum des Interesses. Doch wird mit dem Bemühen, deren literarisch geführte Aussagen als Teile von Diskursen bzw. ihre Autoren als Teilnehmer an Diskursen zu verstehen, auch die Frage gestellt, inwieweit die von ihnen konzipierten Denksysteme als Resultat eines Zusammenspiels bestimmter außerliterarischer Faktoren bezeichnet werden können, d.h. politischer und kultureller Ereignisse und persönlicher Begegnungen an diesen Orten. Werden die in diesen Diskursen konzipierten Denksysteme als Resultat des Zusammenspiels dieser Faktoren verstanden, können sie in einem gewissen Maß letztlich sogar als kontingent gelten. So lassen sich einzelne Formulierungen und Theoreme, die in ihrer Wirkungsgeschichte teilweise auch als problematisch angesehen werden, oft erst dann erklären, wenn der lebensweltliche Kontext – der ,Sitz im Leben‘ – der Aussagen rekonstruiert werden kann.

Im Sinn der vom ,New Historicism‘ angeregten Forschungsperspektive wird versucht, Texte unterschiedlichster Konvenienz – nicht nur die sog. ,Höhenkammliteratur‘, sondern auch Briefe, Predigten, Konzilsakten, Inschriften – als Dokumentationen solcher Verhandlungen in ihrem historischen Kontext zu analysieren und zu verstehen. Dabei soll gezeigt werden, dass entweder die Lokalitäten, wo solche Ereignisse (Begegnungen, Diskussionen usw.) offenbar stattfanden, in der Literatur oft tatsächlich als Schauplätze besonderer geistesgeschichtlicher Ereignisse definiert wurden, oder dass die Entwicklung bestimmter Gedanken und Lehrkonzepte in der Literatur – in Briefen, philosophischen Dialogen, in – oft an einem bestimmten Ort lokalisiert und damit mit einer örtlichen Szenerie versehen wird. Als theoretische und methodische Grundlage soll Anthony Giddens’ Theorie der Strukturierung dienen: Sie bietet ein Instrumentarium für die Analyse von Interaktionen bzw. Interaktionssequenzen – auch: ,Episoden‘ genannt –, die durch bestimmte Raum-Zeit-Grenzen, aber auch bestimmte menschliche Akteure definiert sind, die bestimmte Positionen in der Gesellschaft einnehmen und die miteinander kommunizieren. Der Verlauf solcher Interaktionssequenzen ist einerseits durch das soziale System definiert, in dem sich eine Episode abspielt, also durch über längere Zeit fortbestehende Institutionen und Strukturen, und andererseits durch die Koinzidenz von Ereignissen und Handlungen und durch die Kopräsenz unterschiedlicher Akteure innerhalb einer Sequenz (am selben Ort). Dabei kann eine bestimmte, in der Regel kontingente Konstellation von Akteuren und Kommunikationsmöglichkeiten in spezifischen Raum-Zeit-Grenzen eine neue Situation herbeiführen oder Ausgangspunkt von sehr spezifischen Entwicklungen in der Ereignisgeschichte sein.

Der Gewinn der Untersuchung soll darin liegen, dass bestimmte Eigenarten der in dieser Zeit konzipierten Lehrsysteme, in denen einzelne Elemente, Gedankengänge, Argumentationsstrategien usw. für uns heute befremdlich und z.T. auch verstörend wirken, durch die Kontextualisierung in Rom und Mailand als Produkt konkreter Ereignisse oder Ereigniszusammenhänge, Begegnungen, Auseinandersetzungen mit Gegnern oder auch Gleichgesinnten erklärt werden können. Da diese Gedanken und Lehrsysteme teilweise eine starke Wirkung ausübten und folgenreich waren für die abendländische Geistesgeschichte, haben auch die Entstehungsbedingungen, zu denen die Orte ihrer Genese genauso gehören wie die Persönlichkeiten, die sie gedacht und geäußert haben, für manche Phänomene der Gegenwart noch Erklärungswert.