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Variabler Versfuß

Der variable Versfuß wurde von William Carlos Williams in seinem Mammutwerk "Patterson" entwickelt und basiert auf der Idee, dass jede Zeile genau einem Atembogen entspricht. Im Unterschied zu Kadenz entspricht die Länge der Zeile dabei einem Kolon, es ist also eine isokolische Figur. Grundlegend dafür ist die von William Carlos Williams in den 1940er Jahren entwickelte Idee des „veränderlichen Metrums“ bzw. der triadischen „step-down-line“, die dessen Gedichtbände The Desert Music und Journey to Love sowie Teile von Paterson V prägt.

Williams begriff seine Theorie des „Variablen Versfußes“ und der damit zusammenhängenden „step-down-line“ als „Lösung des Problems der modernen Vers“, als den „Höhepunkt“ einer zeitlebens andauernden Suche nach einer neuen Form der Prosodie (vgl. Cushman 1985). Williams‘ triadische Anordnung der jeweils etwas stärker eingerückten Dreizeiler folgt dabei einem rhythmischen bzw. post-metrischem Prinzip, denn trotz der teils stark divergierenden Silbenhäufung in den einzelnen Zeilen geht Williams von der Isochronie jeder Einzelzeile aus. Jede einzelne Zeile umspannt einen einzigen Betonungsbogen, der zeitliche Abstand zwischen zwei Zeilen ist dabei immer in etwa gleich groß. Der folgende Auszug aus dem Gedicht To Daphne and Virginia zeigt dies. Es ist an der amerikanischen Alltagssprache orientiert, die graphische Anordnung der einzelnen Zeilen entspricht der Aufteilung des Textes in gleichmäßige rhythmische Einheiten

The smell of the heat

is boxwood when rousing us

     a movement of the air

stirs our thoughts

that had no life in them

     to a life in which

two women agonize

to live and to breathe is no less—

     two young women.

Andere Beispiele wären etwa die Gedichte The Descent oder Asphodel, that greeny flower. Als Erfinder des Variablen Versfußes und dessen step down line wurde Williams zum Vorbild der Black Mountain Poets Charles Olson, Robert Duncan, Robert Creeley und Denise Levertov sowie den Autoren der Beat-Generation – Allen Ginsberg, Lawrence Ferlinghetti, Jack Kerouac und William S. Burroughs –, wie John Lowney zeigen konnte. In Deutschland sind seine Gedichte um 1951 in der von dem jungen Rainer Maria Gerhardt veröffentlichten Zeitschrift Fragmente übersetzt und publiziert worden, später folgten dann Walter Höllerer in der Zeitschrift Akzente und Hans Magnus Enzensberger im Museum der modernen Poesie von 1960, wo Williams als wichtigster amerikanischer Autor nach Ezra Pound fungiert. Beeinflusst von Williams' variablem Versfuß sind neben Enzensberger auch Autoren wie Nicolas Born, Jürgen Becker und Rolf Dieter Brinkmann, deren Alltagslyrik sich formal an Zeilengestaltung und Rhythmisierung des variablen Versfußes orientierte. Das Musterbeispiel für den Variablen Versfuß und dessen Idee der 'breath controlled line' stammt jedoch von Ernst Jandl.

Literatur:

Berry, Eleanor: 'Williams' Development of a New Prosodic Form-Not the 'Variable Foot,' But the Sight Stanza, in: William Carlos Williams Review 7 (1981), S. 21-29.

Cushman, Stephen : William Carlos Williams and the Meanings of Measure, New Haven and London: Yale University Press 1985.

Lamping, Dieter: William Carlos Williams, deutsch: Zur Rezeption moderner amerikanischer Lyrik in Deutschland, in: Arcadia: Internationale Zeitschrift für Literaturwissenschaft, 1994, Vol.29(1), S. 43-57.

Lowney, John: The American Avant-Garde Tradition: William Carlos Williams, Postmodern Poetry, and the Politics of Cultural Memory, Bucknell University Press 1997.

Williams, William Carlos: Pictures from Brueghel and Other Poems: Collected Poems 1950-1962, New York 1962, S. 157.