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Das gute Leben – Lebenswelt und Sinnverlust

© Birgit Rieger

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Themenführung:

Die Frage nach dem guten Leben ist eine Grundfrage der praktischen Philosophie, zu der neben der philosophischen Ethik auch die politische Philosophie und die Kunst gehören. In der gegenwärtigen ‚westlichen’ Diskussion beobachten wir eine Wiederkehr des Themas des guten Lebens. Diese Wiederkehr einer individualistischen Ethik zeigt, dass das gewachsene Bedürfnis nach Orientierung nicht mehr nur mittels einer universalistischen Moral und allgemeinen universalistischen (Menschen-) Rechten beantwortet werden kann, sondern wir auch und gerade in Fragen der individuellen Lebensführung und seiner normativen Verankerung verbindlichere Orientierung und Hilfestellung suchen. Das gute Leben ist relevant für die Frage nach der Motivation, aus welcher ‚Triebfeder’ (Kant) man also ein bestimmtes System moralischer Normen befolgen sollte; sie ist relevant für das zivilgesellschaftliche Engagement; sie ist relevant für die Problematik, welche Konzeption der Moral hier und heute angemessen ist; und sie entscheidet auch darüber, wenn zwischen den Grundbedürfnissen Konflikte auftreten, etwa zwischen dem Sicherheits- und Freiheitsbedürfnis; sie ist aber vor allem auch relevant für alle Fragen individueller Lebensführung, die in der Moderne in Gesellschaften mit unterschiedlichen Weltanschauungen nicht mehr allgemeinverbindlich vorgeschrieben werden können. Dabei ist die Kunst der klugen Lebensführung keinesfalls nur auf die ethische Bewältigung von Lebensproblemen beschränkt, sondern umfasst auch alles, was dem Sinnbedürfnis nach Deutungszusammenhängen, seien sie literarischer, künstlerischer oder gesellschaftspolitischer Natur, entspringt.

In der chinesischen Tradition hat die Frage nach dem guten Leben einen so zentralen Stellenwert, dass sie in alle Geisteswissenschaften ausstrahlt. Als Grundmotiv aller Ethiken prägt sie einen Handlungsbegriff, der weniger einem „Antwortgeschehen“ (Bernhard Waldenfels) entspringt, als vielmehr einem unablässigen, konkreten Wandlungsgeschehen von Mensch und Welt. So entsteht in der daoistischen Tradition das Prinzip der Verantwortung letztlich aus einer Ethik, die vor der Moral warnt und die existenzielle Entscheidung nicht von der Autonomie, sondern von den Lebensverhältnissen abhängig macht. Und auch in der Philosophie des Konfuzianismus mit ihrer Hinwendung auf den Menschen steht das praktische Leben im Zentrum. Wie in der Kunst ein jedes Werk sein eigenes Gesetz ausbildet, lässt sich auch das eigene Leben als ein Werk betrachten. Dies hat auch Konsequenzen für das Literatur- und Kunstverständnis. So haben in den literarischen Texten Chinas Geschichten nicht nur eine illustrierende Funktion, sondern bilden selbst Begriffe und Beweise aus. Dies bringt Probleme mit sich, die in einer interkulturellen Philosophie methodisch angemessen zu erörtern sind. Vor allem die German Studies Center Chinas sind in den komparatistischen Theorienbildungen und der interkulturellen Kommunikation fortgeschritten, also bei Fragen, ob ein „Mehr“ an Interkulturalität in lebenspraktischen Fragen, sei es in Form einer „offenen Hermeneutik“, eines emanzipatorischen Denkens, oder neuen Perspektiven in der allgemeinen Geschichtsschreibung, der philosophischen Theoriebildung und Argumentation mit dem Ziel einer gegenseitigen Aufklärung, weiterführend sind.

Legt man diese unterschiedlichen Problemstellungen im Rahmen einer Ethik des guten Lebens zugrunde, eröffnet sich eine Fülle von thematisch homogenen Forschungsfeldern für ein interdisziplinäres Alumni-Netzwerk mit chinesischen und deutschen Instituten der Geistes- und Sozialwissenschaften. Fragen nach den unterschiedlichen Individual- und Sozialethiken, nach Problemen eines psychologischen Hedonismus, nach Anerkennungstheorien, nach kollektiven Orientierungshorizonten, aber auch divergenten Lebensstandards können dabei ebenso thematisiert werden, wie allgemein-ethische bzw. kulturvergleichende Fragen nach Sinnbedürfnis, Selbstverwirklichung, Glückseligkeit, gesellschaftlicher Harmonie und Würde. 

Konferenz: Lebenswelt und Sinnverlust

Die Konferenz „Lebenswelt und Sinnverlust“ (Berlin, Freie Universität, 3. – 4. August) will lebensweltliche, diskurstheoretische und kulturwissenschaftliche Konzeptionen hinterfragen und auf ihre Brauchbarkeit für die interkulturelle Kommunikation mit dem chinesischen Kulturraum überprüfen. Sie geht von der Beobachtung aus, dass durch Rationalisierung und Internationalisierung der Lebenswelt normative Spielräume, die wir als präreflexive Hintergrundannahmen mit uns tragen, verloren gehen. Wir können diese Spielräume als Kultur oder als symbolische Gehalte unseres Lebens reflektieren, machen dabei aber die paradoxe Erfahrung, dass ein lebensweltliches Wissen, immer in der Gewissheit seines Nichtwissens besteht, so dass dessen Verlust nicht direkt kommunizierbar ist. Man kann dies als "dialektischen Negativismus" beschreiben, womit gemeint ist, dass die Antwort auf die Frage nach dem Gelingen des Lebens nur dann in den Blick kommt, wenn der Einzelne zunächst die Frage beantwortet, weshalb das Leben misslingen kann. Sinnverlust – Entkoppelung von Institutionen und Weltbildern – Entwertung von Traditionen – Verlust kultureller Kompetenzen haben dann einen indirekt-aufschlüsselnden Charakter und konfrontieren uns mit Fragen, ob das neoliberale Streben nach Glück und individueller Selbstverwirklichung nicht ein Verlust an sozialer Sicherheit und Orientierung ist; ob das Unbehagen in der Globalisierung eine Fortschreibung des Unbehagens in der Kultur ist (oder ihr genaues Gegenteil); ob die traditionellen Bindungen an Familie, Bildung und Politik nicht unter dem Einfluss einer zweckrationalisierenden Marktwirtschaft und Verwaltung, d.h. durch eine „Kolonisierung der Lebenswelt“ (Habermas), aufgelöst werden u.v.m.  Doch gerade wegen der Nichthintergehbarkeit der Lebenswelt (Husserl) sind wir bei der Beantwortung solcher Fragen für unsere Welt- und Selbstauslegung auf Fiktionen angewiesen, die uns – wie in der Literatur – ein gelingendes Leben im Modus der Unverbindlichkeit zeigen. Lebensweltliches Wahrnehmen und literarisches Darstellen, die subjektive Wirklichkeitskonstruktion eines Menschen und das fiktive Medium ihrer Kommunikation in den Imaginationsräumen der Literatur treten in eine enge Verbindung. Die (anthropologische) Leistung der Literatur besteht dann darin, Abbild einer umfassenden Lebenswelt zu sein.

Folgende Sektionen sind vorgesehen:

1. Lebenswelt und Literatur

2. Das ganze Leben

3. Forschungsprojekte

 → PROGRAMM (PDF)