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Grußwort des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Klaus Wowereit

zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an den Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk

Klaus Wowereit

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Sehr geehrter Herr Professor Hempfer, sehr geehrter Herr Professor Kirchner, sehr geehrter Herr Professor Mattenklott, meine Damen und Herren,

sehr geehrter Herr Pamuk, ich begrüße Sie sehr herzlich in Berlin. Ich freue mich sehr, dass Sie gekommen sind, und dass Sie heute die Ehrendoktorwürde der Freien Universität entgegennehmen.

Diese Ehrung sollte ja bereits vor einem Vierteljahr stattfinden. Sie haben die Reise damals kurzfristig abgesagt, was viele Menschen auch hier in Berlin besorgt aufgenommen haben. Seinerzeit hieß es, die Reise würde Sie in Gefahr bringen.
Die besorgten Reaktionen auf Ihre Absage haben einen überaus realen Hintergrund: Orhan Pamuk hat Feinde, gefährliche Feinde. Und ich sage das ganz deutlich: Das sind nicht nur seine Feinde, das sind unser aller Feinde. Und das sind auch Feinde eines EU-Beitritts der Türkei.
Es sind ideologische Fanatiker, die Freiheit, Demokratie und Toleranz verachten und dafür über Leichen gehen. Sie sind verantwortlich für den öffentlich begangenen Mord an Ihrem Freund, dem türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink. Und sie sind sich ihrer Sache so sicher, dass sie auch Ihnen, dem Literatur-Nobelpreisträger, öffentlich drohen.
Solche Drohungen verfehlen leider selten ihr Ziel. Die massiven Einschüchterungen sind auch eine Art versuchter Mord: Sie sollen mundtot machen.

In solchen Fällen wirkt der Westen immer etwas hilflos. Wir verurteilen solche barbarischen Akte, wir geben Schutz, aber unsere offene Gesellschaft kann keine absolute Sicherheit gewähren.
Was wir tun können und tun müssen ist weniger und mehr zugleich:

  • Wir müssen bedrohte Schriftsteller in unsere Mitte nehmen,
  • Wir müssen zeigen, dass jeder Angriff auf sie auch ein Angriff auf uns ist und ihn entschlossen abwehren.
  • Wir müssen zu einem Klima der Toleranz beitragen, zu einer demokratischen Kultur des Streits auch über historische Fragen – einer Kultur, in der nicht Waffen zählen, sondern die Überzeugungskraft der Fakten und Argumente.
  • Wir müssen darauf einwirken, dass andere Länder Demokratie und Rechtsstaatlichkeit genauso achten wie wir. Dies sind Grundpfeiler unseres europäischen Selbstverständnisses, die beim besten Willen nicht verhandelbar sind. Wie für alle anderen Länder, die bereits der EU beigetreten sind, gilt dies auch für die Türkei.

Ich befürworte eine EU-Mitgliedschaft der Türkei. Aber die Türkei muss ihren Weg demokratischer und rechtsstaatlicher Reformen entschlossen weitergehen. Es darf nicht sein, dass Extremisten Verbrechen begehen und dabei sogar von Behörden geduldet oder geschützt werden.
Die Freiheit des Geistes und des Wortes zu garantieren und wenn nötig entschieden zu verteidigen, darin liegt das historische Vermächtnis der Freien Universität.
Wenn die FU heute Orhan Pamuk die Ehrendoktorwürde verleiht, dann ist damit auch die hohe Wertschätzung eines Werkes verbunden, das sich einer einzigartigen kulturellen Vielfalt verdankt und diese auch und immer wieder zum Gegenstand macht.
Orhan Pamuk gibt seiner Heimat ihr weitgespanntes kulturelles Gedächtnis zurück. Diesen enormen Reichtum, den Pamuk in jeder Zeile seiner Romane ausbreitet, gibt es freilich nicht geschenkt. Denn ebenso wie vom geistig-kulturellen Reichtum kündet sein Werk auch vom geschichtlichen Wandel. Und damit verbunden von Kampf, Untergang, Mord, Zerstörung, Unterdrückung und Verdrängung.
Denken Sie nur an den Roman „Rot ist mein Name“, der im Istanbul des Winters 1591 spielt. Zu Anfang spricht ein Toter. Er war ein berühmter Buchmaler, der sich dazu hat verleiten lassen, die Welt nicht mehr aus der Perspektive Gottes, sondern des Menschen darzustellen. Der autonome Künstler, der an Gottes Stelle rückt: Das wurde ihm zum Verhängnis. Dieser Buchmaler - er heißt Fein Efendi – bezahlte dafür mit seinem Leben. Seine Leiche liegt am Grunde deines Brunnens und findet keine Ruhe, solange sie nicht entdeckt und bestattet und der Mörder gefunden wird.

Der Autor steht selbst für jenes moderne Künstlertum, das Fein Efendi zum Verhängnis wurde. Aber er urteilt nicht über die Geschehnisse: Er erzählt.
Der osmanischen Buchmalerei singt er Hohelied und Abgesang zugleich. Ja, er bedient sich in diesem Roman selbst der Technik der Miniaturmalerei. 59 Stimmen bringt Orhan Pamuk hier zum Sprechen. So hält er die Tradition lebendig.

Und zugleich ist der Fortschritt - hier vertreten durch die venezianische Porträtkunst - nichts Bedrohliches, sondern überaus faszinierend. Dieser Fortschritt ist nicht aufzuhalten und hat längst jene erfasst, die sich ihm gewaltsam widersetzen. So liegt eine besondere Pointe darin, dass der Mörder, der selbst Künstler ist, an seinem individuellen Stil erkannt wird, den er als Vertreter der Tradition gar nicht haben dürfte.

Ein alter Diplomat schwärmt von der Besonderheit und Unvergleichlichkeit des Menschenbilds in der Renaissance-Malerei:

[ich zitiere:] „Diese Möglichkeit schafft das neue Verfahren, das den Menschen so malt, wie das Auge ihn sieht, und nicht, wie der Verstand ihn erblickt“.

Menschen und Dinge so zu erkennen, wie sie sind oder wie man sie selbst sieht: Das ist der Fortschritt, den wir im Westen als Aufklärung bezeichnen. Darin liegt gewiss auch Orhan Pamuks künstlerisches Credo.

Immer wieder wechselt in Orhan Pamuks Werk die Perspektive, nichts und niemand wird ausgeschlossen: Mann und Frau, Ost und West, Islam und Laizismus, Himmel und Hölle, Tradition und Fortschritt – all das sind Gegensätze, die Orhan Pamuk literarisch verbindet.

In diesem künstlerischen Verfahren liegt eine zutiefst humane und demokratische Sicht auf die Welt. Und diese Sichtweise, die nichts ausschließt oder unterdrückt, kann dazu beitragen, eine politische und kulturelle Zerrissenheit zu lindern. Anders gesagt: Orhan Pamuks Werk zeigt, wie die Welt besser werden kann: Indem man erinnert, indem man die Geschichte, wie sie wirklich gewesen ist, zum Sprechen bringt.

Ich danke Ihnen, sehr geehrter Herr Pamuk, dass Sie nach Berlin gekommen sind. Ich gratuliere Ihnen zur Ehrendoktorwürde der Freien Universität und wünsche Ihnen einen anregenden und angenehmen Aufenthalt in Berlin.