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Laudatio zu Ehren von Günter Grass

Foto: David Ausserhofer

Prof. Dr. Eberhard Lämmert
Foto: David Ausserhofer

von Prof. Dr. Eberhard Lämmert

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Man kann darüber streiten, ob es sinnvoll ist, Schriftsteller neben verdienten Preisen für das, was sie uns schenken, auch mit Doktorhüten zu ehren. Wilhelm von Humboldt, dem wir die einzige wirkliche Reform unserer Universität seit 1800 danken, hat damals, im Zeichen der Genieästhetik, die Künste in seine Universität nicht aufgenommen – nicht etwa aus Geringschätzung, sondern aus Hochachtung vor ihnen, weil sie nicht lehrbar seien. Seither haben die Künste an deutschen Universitäten fast nur als historische Disziplinen ihren Ort. Doch die Erkenntnis, dass und wie Wissenschaften und Künste einander ergänzen, gewinnt an Boden und auch an Gründen.

Wer Wissenschaft betreibt, sucht Widersprüche auf und setzt seinen Ehrgeiz und auch seine Mühe daran, sie zu lösen, und wer sie gut betreibt, hat damit gleich die Tür zu neuen Widersprüchen aufgestoßen. Künstler dagegen, Poeten oder Bildhauer, Graphiker oder Ballettmeister, zeigen und lehren uns womöglich, mit den Widersprüchen, in und zwischen denen wir leben, umzugehen oder, selbst im Scheitern, sie zu durchschauen.

Was könnte einer Universität nötiger sein, als sich diesem, sie ergänzenden Weg der Erkenntnis zu öffnen, und was könnte sie besseres tun, als dazu (zwei) Schriftsteller als doctores honoris causa zu gewinnen, die beide zeit ihres Lebens krassen Erfahrungen mit den Widersprüchen ihrer Zeit ausgesetzt waren und die diesen Widersprüchen in ihrem Oeuvre derart Gestalt geben konnten, dass die Lust, sie zu lesen, und die Erkenntnis, die davon bleibt, im besten Fall unmerklich ineinander übergehen.

Günter Grass, für den ich hier zu sprechen habe, hat allerdings bereits mit dem ersten Satz einer Vorlesung über „Schreiben nach Auschwitz“ seine Frankfurter Studenten am eigenen Beispiel davor gewarnt, „zwischen Widersprüchen sesshaft“ zu werden (7). Mit wenigen Strichen zeichnet Grass dort vor einer anderen Generation die extremen Bedingungen, unter denen seine Generation sich zurechtzufinden hatte: auf Ideale eingeschworen und vor dem Hinsehen geblendet mit Glaubenssätzen wie „Niemals würde ein Deutscher…“ – bis über Trotz und Unfasslichkeit hinweg der Blick frei wurde dafür, es zugleich mit der eigenen Zeit und mit einer nun schrecklich aufgeschlagenen Vergangenheit aufzunehmen.

Ich wüsste keinen Text von Minutenlänge, in dem ich mich, um wenige Jahre älter als Grass, so wiedergefunden hätte mit eingeimpften Idealen, aufgeschrecktem Entsetzen, und bald dann auch mit dem gleichzeitigen Griff nach Schwerstarbeiterzulagen und dem unstillbaren Lesehunger. Ich bin dem Autor dankbar dafür. Doch in seiner Vorlesung ging es nicht um Autobiographie. Dort stand vielmehr an, einer jüngeren Generation, die sich 1990 den bald schon aufbrechenden Konflikten des Einigungsprozesses zu stellen hatte, eine Gegengeschichte zu erzählen von der Mühsal und von dem Gewinn, die es einbringt, mit Widersprüchen aktiv umzugehen.

In jedem seiner großen Romane und in den Novellen von „Katz und Maus“ bis „Im Krebsgang“ gibt es den oder gleich mehrere Erzähler, die, herausgefordert von Konflikten der Gegenwart, die sie beim Schreiben umgibt, Schicht um Schicht Vergangenheit aufdecken und sie, ohne Risse zu vernähen (35), so einander zuordnen, dass erkennbar wird, was Menschen jederzeit mitzutragen haben aus ihrer Herkunft, sei es, um den Stoff alter Kleider neu zu wenden oder bloß zu bleiben, was die jeweils „höheren Mächte“ aus ihnen machten. Schreiben gegen die Vergesslichkeit also, oder, wie Grass es einfacher nennt, „Schreiben gegen die verstreichende Zeit“ – aber so, dass niemals nur einer spricht und sagt, „wie es gewesen“ ist.

Anders als ein Historiker, der über erfundene Stimmen nicht verfügen kann, hat ein Schriftsteller – das wusste schon Viktor Scheffel und schrieb deshalb seinen „Ekkehard“ aus einer Habilitationsschrift zu einem Roman um – die Möglichkeit, aus der Vergangenheit Stimmen zu wecken, die nie zu Gehör, geschweige denn zu Papier gebracht wurden. Großzügiger und variantenreicher als je ein deutschsprachiger Autor zuvor hat Günter Grass solche Stimmen auch zu vorgeschobenen Erzählern gemacht. Doch strenger als andere gibt er ihnen, schon in den „Hundejahren“ und noch in „Mein Jahrhundert“, wo das letzte Wort seine Mutter hat, nur eine auf ihr jeweiliges Naturell eingegrenzte Lizenz, die Vergangenheit aufzuhellen. Aber gerade durch diesen wechselnden Zuschnitt wird unter seiner Hand die Vergangenheit so präsent wie sie real, nämlich in unterschiedlichen Erinnerungen, existiert. Auch die Blickabwendung von den Verbrechen des NS-Regimes, die vor Aller Augen lagen, und die Vergesslichkeit hernach, können so leibhaftig werden. Dass eben darum den Schriftstellern das „Schreiben nach Auschwitz“ aufgegeben bleibt, sagt der Satz, mit dem Grass seine Frankfurter Vorlesung enden lässt.

Dafür verbürgte sich der Zweiundsechzigjährige mit demselben Ernste, mit dem er sich bereits mit zwölf vorgesetzt hatte, ein Künstler zu werden, obwohl schon nach wenigen Jahren beinahe alles dagegen stand: Vertreibung und Hunger, Widerstand

der Eltern und ein Nichts an materieller Absicherung. Im Wortsinne mit eigener Hände Arbeit und einer Gradlinigkeit, die am Ende besticht, avanciert er vom Hilfshauer im Salzbergwerk zum Steinmetz und zum Bildhauer, und als Zeichner so gut wie als Gedichteschreiber hat er schließlich die Öffentlichkeit erreicht. Das Klima, das sein erstes Bändchen mit dem einladend verrätselnden Titel „Die Vorzüge der Windhühner“ durchweht, nennt ein niederländischer Kollege „streng, manchmal rauh, windig, […] auf überraschende Gegensätze bauend“, und er vermutet schon hier, was dem gesamten Oeuvre von Grass eignen wird: dass seine Texte mehr von bildnerischen als von sprachlichen Vorbildern“ zehren und dass „der Bezug zum ‚wirklichen Leben’ [nirgends] verloren ginge“ (GG.imAusl.,19, 21).

Tatsächlich hat Grass schon früh seinen Kunstverstand am Widerstand der Gegenstände, an der Materialität der Sprache und der Inhalte erprobt. Aber erst der Widerstand, den die Zeitläufte selbst seiner Suche nach lohnenden Inhalten entgegensetzten: der Mehltau der Selbstzufriedenheit und der Selbstvergessenheit, der in der zweiten Hälfte der 50er Jahre das Wirtschaftswunderland Bundesrepublik überzog, wurde der Auslöser der selbst verordneten poetischen Askese, die dem Paukenschlag der „Blechtrommel“ voraufging. Zwischen feuchten Wänden eines Pariser Hinterhauses und unterbrochen durch das Kohlenschleppen für den Zimmerofen entstand – wohlgemerkt aus einer Distanz, wie sie auf seine Weise auch der Trommler Oskar Matzerath sich selber gibt, nachdem er sich aus Gründen das Wachstum unter Seinesgleichen verweigert – der seinesgleichen suchende Roman, der in Deutschland Epoche machte.

Epoche: denn einen Erzähler, der in seiner Aufrechnung der Zeitgeschichte jedes Detail nachprüfbar genau nimmt und sie gleichzeitig mit einer „unentwegt wuchernden Menge Phantasie“ (GG.,Aufs.z.Lit.13) überwölbt und unter Wortkaskaden zerstäubt, hat man in Deutschland mit Sicherheit seit Döblin, davor aber einige Jahrhunderte nicht mehr gehabt, und auch im europäischen Umfeld fallen vor Joyce immer nur Namen von wetterfestem Glanz wie Rabelais, auf den Paul Celan ihn in Paris aufmerksam machte, und Cervantes mitsamt den anonymen Erfindern und Wiedergängern des europäischen Schelmenromans. Während der Autor einigen hochmögenden Kritikern, die den Zeitgeist der späten fünfziger Jahre präsentierten, selbst als ein Schelm im bösen Sinne oder etwas noch Böseres erschien – und diese Tonart der Kritik sollte jeden seiner großen Romane in Abwandlungen bis ans Ende des Jahrhunderts begleiten – sahen Beobachter von Frankreich oder von England her, genauer, was geschehen war: „über Nacht“ sei, nachdem im selben Jahr auch Uwe Johnsons „Mutmaßungen über Jakob“ erschienen, „die literarische Situation verwandelt […]. Mit ihren Büchern ist Deutschland wieder literarisch präsent“ (GG.im Ausl.,29).

Ein Ruck – folgenreicher als mancher später so genannte – ging aber auch durch die Generation, die am Ende des Krieges den NS-Staat in noch jungen Jahren hinter sich lassen und dies als Befreiung erfahren konnte. Nach Thomas Mann und Benn, die sie sich neu erobert hatte, und Brecht, den sie noch kostete, war der Schnitt fühlbar genug. Nun gab es Romane der eigenen Generation, die Leselust und Bereinigungseifer zu gleichen Teilen befriedigten. Und – um des Ehrendoktors zu gedenken, auf den diese Rede zielt – auch unter Studenten und Professoren der Germanistik gaben diese Bücher, und später die mit den „Hundejahren“ mitreißend vollendete „Danziger Trilogie“, den Anstoß zu einem neuen Dialog über Maßstäbe, die von nun an zu beachten, und Aufgaben, die neu zu bedanken waren. Denn aus unterschiedlicher Erfahrung halten beide nicht viel vom „ideologischen Weiß oder Schwarz“ (Nob.preisrede, 6), dafür viel vom genauen Hinsehen und vom forschenden Zweifel an festgeschriebenen Geschichtsbildern. Johnsons Sprache ist ein Lehrstück, weil sie auf das Genaueste noch den Grad der Ungenauigkeit zu treffen vermag, die jeder Rede anhaftet, die von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Und Günter Grass ist als Meister aller Grautöne der Autor, der wortgenauer als andere die Wirklichkeit trifft, wenn er sie phantastisch weitet wie im Schlusskapitel der „Danziger Trilogie“, wo er in einem ehemaligen Salzbergwerk unter Tage alle bis dahin ausgebreiteten Erinnerungen an die „Hundejahre“, die zwischen 1917 und 1957 zu durchleben waren, damit in den Schatten stellt, dass er an aberhundert Vogelscheuchen – ins Deutliche verzerrt – zur Gänze erkennen lässt, wie der Orkus dieser vier Jahrzehnte am Tage ausgesehen hat. Dass die Phantasie ein Teil der Wirklichkeit und zu deren Erkenntnis so notwendig ist wie Genauigkeit in dem, was man über sie aussagt, wissen von Günter Grass, der es bei Döblin gelernt hat, seither auch die Philologen, die ihn beim Wort nehmen. Und von der Freilegung der eigenen Geschichte, wie sie der große Wurf der „Danziger Trilogie“ vorgab, führen Spuren deutlich genug zur Selbstprüfung des Faches beim Münchner Germanistentag von 1966.

Die Weichselmündung und sein Danzig sind, auch seit er die Welt bereiste, für Günter Grass der unversiegliche Fischgrund seiner erinnernden Phantasie geblieben. Doch schon mit dem „Butt“ weitet er den Horizont seiner Geschichten bis zur jüngeren Steinzeit aus und hält mit sprühender „Tatsachenphantsie“ der Geschichtsschreibung, wie sie seit Menschengedenken herrscht, den „anonymen Anteil der Frauen an diesem Teil der Geschichte“ (Arnold, t+k 1,30: Moser 111) trotzig entgegen: Eine Gegengeschichte wiederum zu dem, was man, diesmal für einige Jahrtausende, unbedacht zur Normalität ernannt hatte. Und „Die Rättin“, mit der das erzählende Ich eine Raumkapsel teilt, blickt im Orwell-Jahr 1984 aus einer Zukunft auf eine Erde zurück, auf der die Menschheit sich schon selbst vernichtet hat. Weil ihr das, nicht zuletzt nach den Ermittlungen des „Club of Rome“, angesichts von fortschrittlich erzeugten Waffen, Müllbergen, verseuchtem Wasser und gestorbenen Wäldern tatsächlich droht, verändert sich dabei auch die Schreibsituation des Schriftstellers: Sein Erzählen wird in seiner Beharrlichkeit eine letzte Form des „Zuwiderhandelns“ gegen den „Schlaf der Vernunft“, der kein Morgen mehr zulässt – ein Hauch von Erinnerung an Scheherezad, die 1001 Nacht um ihr eigenes Leben erzählt.

Größeres als das eigene Fortkommen stand für den Stückeschreiber bereits auf dem Spiel, als er in Erinnerung an den 17. Juni 1953 „Die Plebejer proben den Aufstand“ gegen den Eigennutz schrieb, mit dem Brecht sich damals darauf beschränkt hatte, „aus der Aktualität Nutzen zu ziehen für seine Coriolan-Inszenierung“ (GG, Aufs.z.Lit.57). Zwei Jahrzehnte später nahm er das Stück – oder nahm es ihn – mit nach Calcutta, und da war nicht die Nachhilfe für eine bengalische Aufführung das vordringliche Ziel, vielmehr die Konfrontation mit einer ganz anderen Art von Elend, das der technisch aufgeklärte Fortschritt hinter sich zurücklässt: Millionen von Menschen, für die „das tagtägliche Verrotten, Unrat, Enge und Zerstörung […] die Realität des Lebens sind“, vor allem aber auch die Begegnung mit „der Würde noch der Elendesten“ (Vormweg 99, 123).

Das Buch, das danach Calcutta als einen „Spiegel unserer Welt“ vorstellt, spricht deshalb gleich dreifach: mit einem „handfest registrierenden“ Journal, mit einem umfangreichen Satz von Lithographien und mit einem großen Gedicht, seine Leser an und drückt auch mit dem provokanten Titel „Zunge zeigen“ mindestens dreifach aus, was geschehen soll: für die zerstörerische Stadtgöttin Kali ist es ein Zeichen der Scham, für den schaudernden Betrachter eine Aufforderung zu gründlicher Diagnose und eher beiläufig auch ein Zeichen des Zornes darüber, dass der komfortabel lebende Teil der Menschheit sich eher mit sich selbst beschäftigt. Aber er schreibt nicht nur ein Buch. Als einer, dem politische Einmischung und soziales Handeln seit den rauen Sechzigern selbstverständlich blieb, beteiligt er sich seither, auch wenn er es weiterhin mit dem Sisyphus hält, auf Dauer am „Calcutta social fund“.

Den Verlierern mehr als den Siegern der Geschichte gilt von da an womöglich noch intensiver die Aufmerksamkeit des kritischen Beobachters, auch wenn der Blick sich wieder mehr zurück nach Deutschland wendet, wo die Wende für ihn alsbald zu einer nachhaltigen Herausforderung wird. Zwar bringt sie die Versöhnung mit Polen um ein weiteres Stück voran. Aber im eigenen Lande traten rasch die Widersprüche zutage zwischen dem hohen Ton, in dem Regierung und Parteien von neuer Einheit sprachen, und dem, was den Beigetretenen unter dem Abräumeifer des Westens zur Einrichtung ihres neuen Lebens übrig blieb. Heute schon lässt sich voraussehen, dass der Roman „Ein weites Feld“ nicht als eine allzu brüske Gegengeschichte, wie die Kritik sich ereiferte, vielmehr als eine „wahrheitsgemäße Erzählung“ von den Selbstbeschädigungen, mit denen die Deutschen einmal mehr ihre Einheit bezahlten, seinen Ort unter den Geschichtswerken über diese Zeit finden wird.

Mit der unsentimental ergreifend erzählten Geschichte vom Untergang tausender Flüchtlinge und Vertriebener mit der „Wilhelm Gustloff“ vor Danzig haben Sie, lieber Herr Grass, dem neuen Jahrhundert eine erste Probe ihres Vorsatzes geben, sich mit den Opfern und den Vergessenen der Geschichte zu verbünden. Dabei war Ihrer Kunst, Vergangenheiten Schicht um Schicht freizulegen, diesmal die besondere Balance abgefordert, zwischen zu sühnender Schuld und begehrlicher Ausbeutung dessen, was Deutsche am Ende dieses Krieges zu erleiden hatten, das Grauen eines Schiffsuntergangs „wahrheitsgemäß“, das meint: mit gewissenhafter Einbildungskraft, zu erzählen. Den Millionen von Lesern, die seit der „Blechtrommel“ für Sie gestimmt haben, ist diesmal auch die binnendeutsche Kritik nahezu einmütig gefolgt.

Inzwischen sind Sie längst ein weltweit bekannter Autor, und die Frage stellt sich neu, was denn ein Doktorhut (der fünfte, soweit ich zähle), ein Berliner dazu, danach noch ausdrücken soll. Ich wähle ein einziges Moment heraus, das Ihre Berühmtheit sogar zur Voraussetzung hat: Die Erfahrung mit der Verbreitung der „Danziger Trilogie“ in vielen Sprachen hat Ihnen seit dem „Butt“ eine Idee eingegeben, die seither zu einem Eckstein Ihrer Lizenzvereinbarungen wurde: Nach dem Erscheinen jedes neuen Romans werden seine Übersetzer zu Arbeitstreffen eingeladen, die von Ihren deutschen und ausländischen Verlegern gemeinsam getragen werden. Eine Woche lang wird da „intensiv gearbeitet“ (Jürgs,154), und nicht nur Wörter, die Sie in nicht geringer Zahl erfinden, Redewendungen und Anspielungen, sondern auch artistische Spielformen finden dabei ihr bestmögliches Fortleben in ein oder auch zwei Dutzend anderen Sprachen.

Vielsprachigkeit, oder doch Ansätze dazu, werden im 21. Jahrhundert mehr und mehr zum Alltag gehören. Übersetzerkolloquien, wie Sie sie jedes Mal einrichten, stehen dafür ein, anspruchvoller Literatur am ehesten die Fülle der Register und damit auch die Mehrdeutigkeit zu erhalten, die es ihr erleichtern, in anderen Regionen sesshaft zu werden und womöglich auch deren Sprache anzureichern – mit allem Gewinn, den das für Menschen hat, die in unseren Zeiten mit oder gegen ihren Willen unverhofft aus Fremden zu Nachbarn werden und dazu mehr brauchen als nur eine neue lingua franca, die so, wie sie gemeinhin gesprochen wird, doch nur fürs Nötigste taugt.

Für andere Schriftsteller, aber ebenso für das Zusammenwirken aller Philologien und Sprachlehrer an den Universitäten haben Sie mit ihren Übersetzerrunden einen Maßstab gesetzt. So schließt die FU Berlin in die Bewunderung Ihres Lebenswerks auch die Umsicht ein, die Sie der Arbeit – oder auch der Kunst – des Übersetzens widmen. Das verdoppelt unseren Dank und unsere Freude darüber, Sie mit der höchsten akademischen Ehrenbezeigung, die eine Universität vergibt, in den Kreis ihrer Lehrmeister aufzunehmen – in der Gewissheit, dass Sie auch weiterhin zeichnend, modellierend und schreibend unsere Studenten und unsere Professoren Dinge lehren, von denen ihre Schulweisheit sich nichts träumen lässt.